DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 8/2019
9 8|2019 Gestaltungsprinzipien der Gründerzeitstadt mit ihren Schmuckplätzen und Schaufassaden zur Straßenseite hin, wollten die Architekten des Neu- en Bauens der 1920er Jahre viel Licht, Luft, Sonne und Grün für jede Wohnung bieten. Sie lösten die dichte Blockbebauung zugunsten locker bebauter Wohngruppen im Grünen auf, trennten mit Blick auf gesunde Wohnverhältnisse das Wohnen vom Arbeiten und schufen überschaubare Nachbar- schaftenmit den dazugehörigen Gemeinbedarfs- einrichtungen. Dienstleistungenwurden punktuell an Plätzen und im Straßenraum angeordnet. Anstelle des Kontrastes von öffentlichem und privatem Freiraum, von repräsentativer Straßen- fassade und Hinterhof in der parzellierten Stadt, wurde der fließende Wohn-Außenraum zum Ge- staltungsprinzip des Siedlungsbaus. Das Ergebnis war ein enormer Qualitätsgewinn des Wohnens und ein Zugewinn an Freiraum. Der Preis dafür war der Bedeutungsverlust des Straßenraumes als potenzieller Kommunikationsraum. Was war der planerische Grundansatz? Dieses Prinzip wurde auch im Wohnungsbau der 1950er und 1960er Jahre nach dem Leitbild der „aufgelockerten Stadtlandschaft“ fortgesetzt, nur in größerem Maßstab, um die Wohnungsnot zu überwinden. Interessant im historischen Rück- blick ist: Die locker bebauten Wohngruppen nach dem Vorbild der anglo-amerikanischen „neigh- borhoods“ im Westen unterschieden sich in ihrer räumlichen Organisation kaumvon den „Sozialis- tischenWohnkomplexen“ imOsten Deutschlands. Die Quartiere waren von „innen“ nach „außen“ geplant; sie wurden von der Wohnung und den Bedürfnissen ihrer Bewohner her gedacht – we- niger vom Eindruck, den sie von der Straßenseite her machen. Fragen, die sich die Planer stellten, waren z.B.: Wie kommt das Schulkind –möglichst ohne eine Straße queren zu müssen – zur Schu- le? Wie kommen die Bewohner zu Fuß im Grünen von der Wohnung zumQuartierszentrumoder zur Bushaltestelle, ohne an einer verlärmten Straße entlanglaufen zu müssen? Wahrnehmungsproblem Je mehr gebaut wurde und je größer die Wohnge- biete wurden, umso stärker tauchte einWahrneh- mungsproblemauf. Die Qualitäten der Siedlungen liegen im Innenraum, weniger im Straßenraum. Damit waren sie für Vorbeifahrende und selbst für Besucher nicht sofort wahrnehmbar, was sich später als „Image-Killer“ erweisen sollte. Als Reaktion auf die Kritik an den Siedlungen – wie „gestalterische Monotonie“ oder „fehlendes städtisches Leben“ – wendeten sich die Planer in der Bundesrepublik auf Anraten von Sozialwis- senschaftlern wie Hans Paul Bahrdt oder Alexan- der Mitscherlich dem Leitbild „Urbanität durch Dichte“ zu. Sie behielten seit Mitte der 1960er Jahre beim Entwurf der großen Wohnstädte wie Gropiusstadt oder Märkisches Viertel im Ein qualitätsvoll gestalteter Freiraum ist in den großen Wohnsiedlungen bedeutsam. Er animiert Anwohner, sich dort zu treffen, gemeinsam Aktivitäten zu starten und stärkt damit das Gemeinwesen Der Rahmenplan für die Erneuerung der Berliner Großsiedlung Fennpfuhl hat das ursprüngliche Konzept eines attraktiven Innenraums aufgegriffen: die Revitalisierung ist gelungen, das zeitweise leerstehende Kaufhaus (r.) wurde zu Wohnungen umgebaut Quelle: HOWOGE, Fotos: Andreas Süß Quelle: degewo, Foto: JensRötzsch Quelle: degewo
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