DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 9/2019
31 9|2019 schlecht genutzten Gewerbegrundstücken und in Gewerbegebäuden könnten bundesweit rund 1,3Mio. Wohnungen entstehen. Rechnet man die von den Experten bereits früher ermitteltenMög- lichkeiten hinzu, die sich aus der Dachaufstockung vonWohngebäuden ergeben, so resultiert einNeu- baupotenzial von bis zu 2,7Mio. Einheiten – und dies, ohne zusätzliche Flächenversiegelung. „Büro- und Geschäftshäuser sowie 1-geschossi- ge Discounter mit ihren Parkplätzen bieten ein enormes Potenzial für zusätzliche Wohnungen“, sagt Prof. Dr. Karsten Tichelmann von der TU Darmstadt. Auch wirtschaftlich sei die Nutzung dieses Potenzials sinnvoll. „Der prinzipielle Vor- teil von Aufstockungen und einer verdichteten Ausnutzung bebauter Grundstücke gegenüber dem Neubau“, heißt es in der Studie, „liegt im bereits vorhandenen Grundstück einschließlich der Erschließung und der Außenanlagen.“ Dadurch steige der Wert des Grundstücks. Einzelhandelsflächen besser nutzen Ein Potenzial von 400.000 Wohneinheiten haben die Experten auf den Flächen von 1-geschossigen Supermärkten und Discountern errechnet. Damit greifen sie eine Diskussion auf, welche die Branche seit längerembewegt. In München und Berlin ha- ben sog. Supermarktgipfel stattgefundenmit dem Ziel, Gebäudeeigentümer und Supermarktbetrei- ber dazu zu bewegen, sich von den 1-geschossi- gen Filialen zu verabschieden. Eine imAuftrag der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung undWohnen erstellte Studie hat ergeben, dass auf dieseWeise allein in der Hauptstadt bis zu 36.000 Wohnungen geschaffen werden könnten. Doch es bleibt nicht bei Appellen. Bereits Anfang 2018 hat Aldi Nord angekündigt, an mindestens 30 Standorten in Berlin gemischt genutzte Im- mobilien errichten und so in Kombination mit Aldi-Filialen gut 2.000 Wohneinheiten schaffen zu wollen. Eine ähnliche Strategie verfolgen Lidl und die zur Tengelmann-Gruppe gehörende Trei Real Estate. Dabei geht es den Einzelhändlern nicht nur umdie Bekämpfung der Wohnungsknappheit, sondern auch ums Geschäft: Mit der gemischten Nutzung verbinden sie die Erwartung, von den Kommunen größere Verkaufsflächen genehmigt zu bekommen, als das bisher der Fall war. Die Umsetzung braucht allerdings Zeit. Derzeit seien in Berlin zwei Projekte in der Bauphase und rund 17 in Vorbereitung, teilt die Pressestelle von Aldi Nord auf Anfrage mit. Die Projekte bezögen sich ausschließlich auf Berlin. An anderen Stand- orten gelte: „In Ausnahmefällen und erst wenn alle Optionen mit den Städten zur Erreichung der Großflächigkeit ausgeschöpft sind, können wir Kompromisslösungen wie z.B. Mischnutzungen Ein bundesweit beachtetes Pilotprojekt: In München hat die GEWOFAG einen Parkplatz mit 100 Wohnungen überbaut (siehe auch DW 10/2017, S. 34) in Betracht ziehen.“ Lidl hat bundesweit nach ei- genen Angaben bisher gut zehn gemischt genutzte Projekte realisiert und verschiedene weitere in Vorbereitung. Unproblematisch ist eine solche Nachverdichtung allerdings nicht. „Auch in den großen Metropo- len lässt sich eine Wohnbebauung nicht überall umsetzen – z. B. in Industriegebieten oder an vielbefahrenen Bahnstrecken“, sagt ein Sprecher von Lidl. In Innenstadtgebieten wiederum muss der Anlieferverkehr so organisiert werden, dass die Anwohner nicht zu stark vom Lärm belästigt werden. Und dannmuss an bestehenden Handels- standorten auch noch der Supermarktbetreiber (der ja nicht immer mit dem Immobilieneigen- tümer identisch ist) bereit sein, den laufenden Mietvertrag vorzeitig zu beenden. Wohnen auf dem Parkhaus Einweiterer Vorschlag von Pestel-Institut und TU Darmstadt zielt auf die Nutzung von Parkhausdä- chern. Immerhin ca. 20.000Wohneinheiten (oder entsprechende Flächen für soziale Infrastruktur wie z.B. Kitas) könnten nach ihren Berechnungen auf diesemWeg entstehen. Tatsächlich ist der Vor- schlag bereits umgesetzt worden: Der Parkhaus- betreiber und -eigentümer Contipark hat auf den obersten Etagen des Parkhauses „AlteWallgasse“ amFriesenplatz in Köln 31 Eigentumswohnungen errichtet. Dafür mussten oberen zwei Parkebenen abgetragen und ein neues, separates Treppenhaus mit zwei Aufzügen gebaut werden. Leicht zu realisieren sind solche Projekte nicht, wie eine Sprecherin von Contipark erläutert. Sie nennt v.a. baurechtliche und technische Hürden: Oft sei ein (zeit- und kostenintensiver) vorhaben- bezogener Bebauungsplan erforderlich, und häu- fig seien die Traglastreserven des Bestandsgebäu- des begrenzt. Zudem seien brandschutztechnische Auflagen zu berücksichtigen. „Auchwenn die Zahl von 20.000 Wohneinheiten auf Parkhausdächern in deutschen Innenstädten rechnerisch und damit theoretischmöglich ist, ist sie in der Realität unter den derzeit gegebenen Umständen nur schwer zu erreichen“, stellt die Contipark-Sprecherin des- halb fest. Immerhin gibt es einzelne vergleichbare Projekte kommunaler Wohnungsunternehmen. So ist die WOBAK Städtische Wohnungsbaugesellschaft mbH Konstanz mit ihrer Überbauung einer Tief- garage für den Deutschen Bauherrenpreis 2020 nominiert worden. Sechs Reihenhäuer in Holz- bauweise hat die WOBAK errichtet und so eine zuvor brachliegende Fläche der Wohnnutzung zugeführt. Die kommunale GEWOFAG Holding GmbH in München ihrerseits hat bereits mehrere Preise für ihre Überbauung des Parkplatzes am Dantebadmit 100Wohnungen – ebenfalls in Holz- Systembauweise – erhalten. 900.000 Wohnungen in Bürogebäuden Das größte Potenzial überhaupt sehen Pestel-In- stitut und TU Darmstadt im Bürosegment. Nach ihren Berechnungen könnten 560.000Wohn- Quelle: GEWOFAG, Foto: Roland Weegen
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