Controller Magazin Special 5/2020

14 Weiters unterteilen sich komplexe Systeme in aktive Elemente (b, d), die sich selbständig verändern, und passive Elemente (a, c, e, f, h, g). Durch die aktiven Elemente weisen kom- plexe Systeme eine Eigendynamik auf. Sie wartennicht auf die Eingriffe des Aktors, son- dern verändern sich selbständig. Sowohl die Elemente selbst als auch die Beziehungen zwischen den Elementen können sich ohne Einwirken verändern. Als Konsequenz be- stimmt der Input (Eingriffe des Manage- ments) nicht mehr allein den Output. Viel- mehr ist der Output vom Input und den Zuständen des Systems abhängig. Daher überraschen sie uns permanent in ihremVer- halten. Forrester bezeichnet sie als intuitions- widrig, weil sich bekannte Erscheinungen plötzlich anders verhalten als wir es aus der Erfahrung erwarten. 8 Dies gilt auch für ma- schinelle Forecasts auf Basis künstlicher Intel- ligenz, die letztlich aus Vergangenheitsdaten (Zuständen des Systems) die Zukunft treffsi- cher voraussagen sollten. Die Eigendynamik komplexer Systeme unter Berücksichtigung des Bremermanʼschen Limits hat tiefgreifen- de Konsequenzen: das Ideal der exakten Vor- aussage wird unmöglich. Vielmehr müssen wir uns mit Mustern begnügen. Zuletzt haben Führungskräfte in komplexen Systemen auch nur eingeschränkte Steue- rungsmöglichkeiten. Um die Ziele zu errei- chen, muss der Aktor den Zustand bestimm- ter Elemente verändern. Die Elemente des Systems zerfallen für den Aktor in Elemente, die direkt beeinflussbar (strichpunktierte Li- nien vom Aktor zu den Elementen a, d, g), indirekt beeinflussbar (b, e, h) oder nicht be- einflussbar (c, f) sind. Zusätzlich ist die iso- lierte Beeinflussung der Elemente schwierig, da sie hochgradig vernetzt sind und der Ak- tor von den Elementen selbst beeinflusst wird (strichlierte Linien von den Elementen a, e, h zum Aktor). Damit ergibt sich neben der eingeschränkten Prognosemöglichkeit auch eine limitierte Steuerungsmöglichkeit. Zusammenfassend lässt sich aus den beiden Bereichen ableiten, dass das Ideal exakter Prognosen aus kybernetischer und system- theoretischer Sicht auch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz und maschineller Fo- recasts ein unerreichbares Ideal bleibt. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass maschinelle Forecasts keine Verbesserung imControlling bewirken können. Einerseits kanndas gleiche Ergebnis durch Automatisierungmit weniger Aufwand erreicht werden, andererseits kann durch die Komplementarität menschlicher und maschineller Informationsverarbeitung eine Qualitätsverbesserung erzielt werden. Die Komplementarität menschlicher undmaschineller Informationsverarbeitung Die Frage warum maschinelle Forecasts menschlichen überlegen sein können, lässt sich vor allem aus dem Blickwinkel mensch- licher Rationalitätsdefizite beantworten. Die Leistungen bzw. vielmehr die Limitatio- nen des menschlichen Gehirns in der Infor- mationsaufnahme und -verarbeitung lassen sich wie folgt zusammenfassen: 9 ▶ Menschen können nur jene Informatio- nen verwenden, die sie gelernt haben oder die extern (z.B. auf Papier) rasch ver- fügbar sind. Das menschliche Gehirn weist dabei Schwächen imWiederauffin- den von Informationen auf. ▶ Der menschliche Problemlösungsraum ist relativ klein. Es können nur wenig Informa- tionen gleichzeitig verarbeitet werden. Im Kurzzeitgedächtnis können nicht mehr als 5-9 Informations- bzw. Sinneinheiten, sog. ʻchunksʼ, gleichzeitig verarbeitet werden. 10 ▶ Das Gehirn ermüdet und kann nur für be- grenzte Zeit kontinuierlich Probleme lö- sen. Kontinuierliches Denken über einen längeren Zeitraumwird von einer steigen- den Fehlerhäufigkeit begleitet. ▶ Das Gehirn arbeitet relativ langsam. Die Geschwindigkeit, hängt jedoch von der Art und Bekanntheit des Problemtyps ab: die blitzartige menschliche Mustererken- nung ob ein Apfel frisch oder faulig ist vs. der Trägheit beim Kopfrechnen. Neben den kapazitiven „Könnensdefiziten“ gibt es auch verhaltensorientierte Defizite. Beispielsweise begnügen sich Menschen mit dem Erreichen ihres individuellen An- spruchsniveaus und streben nicht notwendi- gerweise das erreichbareMaximuman, oder sie entscheiden zum persönlichen Vorteil und nicht zum Vorteil für das Unternehmen. Den kognitiven Limitationen und Verhal- tensweisen wurde in der Literatur breiter Raum gewidmet. Die lange Liste identifizier- ter „biases“ zeugt davon. Nachfolgende Bei- spiele zeigen typische menschliche Defizite bei der Erstellung von Forecasts: ▶ Selbstüberschätzung führt häufig zu opti- mistischen Prognosen ▶ Menschen richten Prognosen unbewusst an einem „Anker“ bzw. Orientierungspunkt aus. Beim Forecast können dies beispiels- weisedieBudget- oder Vorjahreswerte sein. ▶ Die Aufnahmebereitschaft für neue Infor- mationen wächst, wenn diese die Inten­ tiondes Entscheidungsträgersunterstützen ▶ Machtbedingte Informationsverzerrungen wie der Verlust von Ansehen, führen dazu, dass Prognosen selbst dann noch aufrecht gehalten werden, wenn sich bereits das Gegenteil abzeichnet ▶ Diskontierung – da entfernte Probleme weniger bedeutsam erscheinen als un- mittelbare, werden negative Entwicklun- gen nicht sofort kommuniziert Aus den genannten Beispielen wird offen- sichtlich, dass sich durch den Einsatzmaschi- neller Forecasts die Prognosequalität stei- gern lässt. Einerseits kann ein größeres Maß an Informationen in den Forecast einfließen, andererseits unterliegen maschinelle Fore­ casts nicht den interessensbedingten Ver- zerrungen („emotionsloser forecast“). Dabei ist jedoch Vorsicht geboten. Einwesentliches Prinzip künstlicher Intelligenz ist die Fähig- keit zu lernen und sich zu verbessern. Opti- mierungsalgorithmen sind in der Lage, die Treffsicherheit des Modells zu bestimmen und es anzupassen, umdie zukünftige Treff- sicherheit zu erhöhen. Auch wenn KI-Sys­ teme kein Eigeninteresse haben, können menschliche biases durch die dem System

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