Controllermagazin 4/2020

81 IT / DIGITALISIERUNG Controller Magazin | Ausgabe 4 lässt sich klären, doch wo es planbar er­ scheint, sollten entsprechende Algorithmen angewendet werden. Biel: Können außerdem die Szenario- und Analysetechnik unterstützt und wirksamer gemacht werden? Oehler: Die Szenariotechnik im klassischen Sinne ist sehr stark qualitativ ausgerichtet. Sie kann natürlich unterstützt werden. Aller­ dings kommen wir häufig auch an Grenzen der Quantifizierbarkeit . Zum Teil sollen ja grundlegende Änderungen beschrieben wer­ den. Nehmen Sie den Umbruch in Bezug auf die Elektrifizierung des Automobilantriebs. Wie wollen Sie mit maschinellem Lernen eine realistische Prognose der nächsten 15 Jahre erzeugen? Aber in der Tat sollten die Ergebnisse aus maschinellemLernen auch in der Simulation genutzt werden. Biel: Können wir auch hier mit Ihren Erfah- rungenwieder etwas in die Praxis einsteigen? Oehler: Ich bin immer wieder überrascht, mit welcher Sorglosigkeit Simulationen aufge­ baut werden: Lineare Modelle wie beispiels­ weise „Menge mal Preis gleich Umsatz“ und „Umsatz minus Kosten gleich Betriebser­ gebnis“ werden verwendet, um grundlegen­ de Fragestellungen zu beantworten: „Wenn wir den Preis erhöhen, welcher EBIT kommt dann raus?“ Preis-Absatz-Effekte werden nicht berücksichtigt, obwohl sie das Ergeb­ nis stark beeinflussen. Das klingt trivial, wird aber leider zu häufig praktiziert. Biel: Zusammenfassend die Frage, wo sehen Sie den stärksten und wichtigsten Einfluss der Digitalisierung auf das Controlling? Gibt es vielleicht schon ein „Lieblingswerkzeug“? Oehler: Das wohl beliebteste neue Werk­ zeug im Controlling ist die Prozessautoma­ tisierung, Robotic Process Automation . Ein hoch interessantes Werkzeug, operative Verarbeitungsprobleme im Controlling zu lösen. Im Unterschied zur Makroprogram­ mierung der Office-Produkte laufen solche Programme anwendungsübergreifend und sind natürlich komfortabler zu konfigurie­ ren als die etwas in die Jahre gekommenen Makro-Generatoren. Biel: Und welche Knackpunkte gibt es hier? Oehler: Die Gefahr besteht darin, dass Pro­ zessprobleme durch schnelle Lösungen überdeckt werden. Ich habe schon mehr­ fach erlebt, wie Bots geschrieben wurden, die Daten aus SAP in Excel transformiert haben, oder die Daten von verschiedenen Excel-Lösungen zusammengeführt haben. Bevor ich allerdings so einen Bot (weitge­ hend automatisiertes Programm) aufsetze, sollte ich mir Gedanken machen, ob in der Berichtskette nicht etwas falsch läuft. Mit solchen Bots werden häufig Notlösungen geschaffen und Strukturprobleme werden unter Umständen nicht angegangen. Daher ist dieses beliebte Werkzeug meiner Auf­ fassung nach gar nicht das wichtigste. Ich glaube, dass eher eine Demokratisierung der Analyse-Werkzeuge der wichtigste Treiber für ein besseres Controlling ist. Biel: „Demokratisierung“? Etwas, was Privi- legierten vorbehalten war, allgemein zu- gänglich, erreichbar machen? Oehler: Demokratisierung bedeutet, dass der Aufbau von Analysen, Simulationen, Be­ richten und auch Planungsmasken deutlich einfacher werden muss . Künstliche Intelli­ genz kann hier sinnvoll eingesetzt werden, zum Beispiel um Berichte oder Simulations­ modelle natürlich sprachlich zu entwickeln. Ich beschreibe also in einem Chat dem Bot, welche Analyseanforderungen ich habe. Mein Gegenüber macht dazu Vorschläge und lernt dabei auch meine Präferenzen kennen. Ähnliches gilt auch für die Erstel­ lung von Simulationsmodellen. Auch hier kann mich ein Bot auf wesentliche Wir­ kungsbeziehungen hinweisen. Biel: Controller/-innen werden auf diese Weise weniger von Experten abhängig? Ein „Traum“ für im Controlling Tätige? Oehler: Ja, der Controller ist so immer weni­ ger vonSpezialisten abhängig. Eine lang ge­ hegte Hoffnung wird nun langsam greifbar. Biel: Sie haben uns Angebotemöglicher Ver- fahren und neueWege sowie Nutzenpoten- ziale skizziert. Bitte lassen Sie uns nun dis- kutieren, wie sich diese Stufe, wenn wir es so nennen wollen, erreichen lässt. Welche Schritte sind – hier nur skizzenhaft möglich – notwendig? Oehler: Aller Anfang ist in der Tat schwierig. Out of the Box-Lösungen gibt es leider noch zu wenig. Einige Anbieter bieten zumindest natürlichsprachige Schnittstellen an. Auch der komfortablen Erstellung von Treiber­ strukturen zur Simulation wird seitens der Anbieter große Bedeutung geschenkt. Hier möchte ich an die natürliche Experimentier­ freude im Controlling appellieren, also diese Funktionen auch auf eine mögliche Eignung zu testen. Biel: Dies erfordert sicherlich einiges an Zeit. Wo liegen denn heute Grenzen in der Systemunterstützung? Oehler: Da gibt es noch einiges zu tun. Der Controller muss noch Geduld aufbringen, was die Integration von operativenMachine- Learning-Ansätzen in Planungsanwendun­ gen angeht. Als Controller möchte ich nicht alles neu erfinden, sondern Erkenntnisse aus Kundenabwanderungen, vorausschauende Wartung, Ausschussanalyse etc. nutzen. Schließlich stecken hier wichtige Treiberin­ formationen für meine Zielplanung drin. Die Nutzung ist nicht so einfach, weil diese Infor­ mationen als Grundlage für operative Ent­ scheidungen erstellt werden, damit aber auch viel zu detailliert sind. Das Controlling muss diese Informationen aufbereiten, da­ mit es sie auch nutzen kann. So sollte eine möglichst realitätsnahe EBT- und Cash-Si­ mulation durchführbar sein, ohne auf einzel­ ne Kunden, Stücklisten oder Wartungspläne usw. zurückgreifen zu müssen. Hier gibt es bereits vielversprechende Ansätze, so dass Simulationen deutlich verbessert werden können. Aber auch hier gilt: Das Verständnis über die Zusammenhänge entwickelt sich unternehmensspezifisch. Der Controller soll­ te mit offenen Ohren und Augen durchs Un­ ternehmen gehen und sich die bestehenden Ansätze zum maschinellen Lernen genau anschauen. Was könnte man davon für eine Verbesserung der Controlling-Werkzeuge gebrauchen? Biel: Naheliegend ist die Frage: Was bedeu- tet diese Entwicklung für die Skills der Cont- roller/-innen, ihre Fähigkeiten und vielleicht auch ihre Verhaltensweisen. Wie schätzen Sie diesen Anpassungsbedarf ein? „Ich bin immer wieder überrascht, mit welcher Sorglosigkeit Simulationen aufgebaut werden.”

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