Controllermagazin 4/2020

80 IT / DIGITALISIERUNG Controller Magazin | Ausgabe 4 Oehler: Gerne. Um mehr herauszukriegen, muss ich in die einzelnen Transaktionen oder in die dokumentierte Kommunikation bei Kundenkontakten einsteigen, denn dort liegen noch zahlreiche unerkannte Zusammen­ hänge . Auch vor unstrukturierten Texten sollte nicht haltgemacht werden. Nehmen Sie die Pipeline-Analyse im Vertrieb. Was waren die Gründe für eine Kaufent­ scheidung in der Vergangenheit? Gab es Gesprächsnoti­ zen, die einen Zusammenhang zur Kaufentscheidung zeigen? Passiv kann damit die aktuelle Pipeline bewertet und in einen Forecast transformiert werden. Aktiv kön­ nen Maßnahmen zur Verkaufsförderung entwickelt und abgeschätzt werden. Biel: Können Sie bitte Ihre Überlegung an einemBeispiel festmachen und uns verdeutlichen? Oehler: Beispielsweise über den eben geschilderten Sach­ verhalt: Wie bekomme ich aus der Pipeline-Analyse ei­ nen realistischen Jahresendforecast, so wie es der Cont­ roller für die gesamte Erfolgssicht braucht? Rohstoff sind unter anderem die aus dem maschinellen Lernen er­ mitteltenKaufwahrscheinlichkeiten der Sales Pipeline. Wie erzeugt man allerdings eine vollständige Jahres­ endvorschau aus den Erkenntnissen dieser Analyse? Kon­ kreter beispielsweise im März, wenn die aktuelle Sales Pipeline bis Oktober voraussichtlich nahezu komplett ab­ gearbeitet sein wird. Die aktuelle Pipeline läuft irgend­ wann aus, sodass der Forecast bis zum Jahresende dar­ aus nicht vollständig ableitbar ist. Folglich muss ich ent­ weder auf diese wichtige Information, die Kaufwahr­ scheinlichkeit aller Einzelfälle in der Pipeline verzichten oder mir die Mühe machen, zu transformieren. Das ist nicht trivial, denn ich muss mir Gedanken über die Pipe­ line-Entwicklungmachen. Raten Sie, für was ich plädiere. Biel: Die Bewertung des Nutzens ist offenbar kein leich- tes Unterfangen … Oehler: Die Bewertung des Nutzens ist immer eine schwierige Frage . Aber der Controller lässt sich im Gro­ ßen und Ganzen auch nicht von der Frage abschrecken, was denn nun eigentlich der ROI der Budgetierung oder anderer Controllingswerkzeuge ist. Die Kosten-Nutzen- Relation eines Soll-Ist-Vergleichs wird auch selten hinter­ fragt. Es sollte nicht mit zweierlei Maß gemessen wer­ den. Dass ein gesteigertes Wissen über die Zusam­ menhänge wertschöpfend ist, wenn denn es richtig ge­ nutzt wird, steht außer Frage. Alles Weitere ist eher eine Frage der Überzeugung. Biel: Ich möchte tiefer fragen: Wie kann es gelingen, aus diesen Informationen für die verschiedenen Prozesse (Forecast, Planung und Kontrolle) bessere Erkenntnisse und Steuerungsgrößen zu generieren? Oehler: Aus theoretischer Sicht ergibt sich hier ein riesiges Potenzial. Stellen Sie sich vor, jede Entscheidung ist plötz­ lich hinsichtlich der Wirkungen transparent. Sie planen eineMarketingaktion oder stellen neue Leute imVertrieb ein. Was ist aus Erfolgssicht alles von diesen Maßnah­ men betroffen? Empirisch bestätigte Wirkungsketten helfen dabei. Biel: Dies klingt aber sehr optimistisch, manche Control- ler/-innen haben schonMühemit den Tücken herkömm- licher Methoden. Oehler: Auch ich möchte vor zu viel Optimismus war­ nen . Maschinelles Lernen ist der Blick in die Vergangen­ heit. Es sind nur Aussagen zu Situationen sinnvoll, die schon vorgekommen sind. Sie gaben in der Vergangen­ heit beispielsweise maximal 5% Rabatt. Woraus soll das maschinelle Lernen schließen, wie die Wirkung nun von 20% Rabatt, wie in Ihrer Rabattinitiative geplant, aus­ sieht? Die klassische Linearitätsannahme wie wir sie in der Regression aber auch in der Grenzplankostenrech­ nung kennen, ist anzuzweifeln. Biel: Bitte lassen Sie uns einen anderen Aspekt in die Dis- kussion bringen, der vielleicht auf den ersten Blick nicht viel mit unserem Thema zu tun hat, nämlich die zuneh- mend in der BWL und imControllingwichtiger werdende Verhaltensorientierung. Sehen Sie einen Themenbezug? Oehler: Ja, durchaus. Ein Punkt, der noch nicht ausrei­ chend betrachtet worden ist. In der Schnittstelle Infor­ matik-Controlling beschäftigen wir uns sehr starkmit der Entscheidungsorientierung wie bereits skizziert. Was ist aber mit der Verhaltensorientierung , wie Sie berechtig­ terweise fragen?Wir kennen alle Fälle von unrealistischer Planung. Wie erkennen Sie allerdings beispielsweise Überoptimismus? Wie zeigt sich ein Hockey-Schläger- Effekt? Warum kann maschinelles Lernen nicht das Con­ trolling dabei unterstützen, Planungsentscheidungen hinsichtlich ihrer Konsistenz zu durchleuchten?Wenn Be­ trugserkennung gut funktioniert, warum kann dann nicht mit den gleichen Mitteln zielinkongruentes Verhal­ ten aufgedeckt werden? Was dann damit letztendlich gemacht wird, ist eine andere Frage. Mit entsprechenden Maßnahmen kommen Sie dem Ziel, einen konsistenten Plan zu erzeugen, deutlich näher. Biel: Und welche Potenziale sehen Sie für Maßnahmen, z.B. zur Bewertung und Steuerung von Kunden, zur Kos- tensenkung usw.? Oehler: Auch das hängt wieder an Ursache-Wirkungsbe­ ziehungen. Transparenz über Wirkungsbeziehungen ist das eigentliche Öl der Unternehmenssteuerung , das die Entscheidungen im Unternehmen antreibt. Wenn ich abschätzen kann, wie meine Kunden auf höhe­ re Rabatte reagieren, kann ich doch viel besser eine Ra­ battaktion bewerten. Das kann ich dann einfach mit ei­ nem Kundenwert verbinden. Das gleiche gilt auch für Marketing- oder vertriebliche Kampagnen. Nicht alles PROF. DR. KARSTEN OEHLER ist Professor für Controlling an der Provadis Hochschule Frankfurt und Solution Archi- tect und Domain Expert für Advanced Analytics bei CCH Tagetik in Unterschleißheim. Er beschäftigt sich seit vielen Jahrenmit der Ausgestaltung von Informationssystemen imControlling. karsten_oehler@yahoo.de DIPL.-BW. ALFRED BIEL arbeitet heute als freier Fach- journalist für verschiedene Medien als Autor, Intervie- wer und Rezensent. Er hat in verantwortlichen betriebs- wirtschaftlichen Tätigkeiten in Industrieunternehmen umfangreiche praktische Erfahrungen erworben, und über den Fachjournalismus vielfältige journalistische Kenntnisse und intensive Fachkontakte gewonnen. Der Deutsche Fachjourna- listen Verband DFJV und der Internationale Controller Verein ICV verliehen ihm die Ehrenmitgliedschaft. alfred.biel@gmx.de

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