Controllermagazin 4/2020
75 Controller Magazin | Ausgabe 4 WEBER-KOLUMNE jeweiligen Portfolios können zwar auf der Ebene der Ma- nagementprozesse und Ressourcen kritisch hinterfragt werden; der monetäre wirtschaftliche Erfolg ist aber erst auf der Ebene des Portfolios relevant. ImZweifel müssen ein „Blockbuster-Wirkstoff“ oder ein erfolgreicher Bör- sengang eines Start-ups das Scheitern einer großen Zahl anderer Forschungsprojekte bzw. Unternehmensgrün- dungen mitfinanzieren. Der Abbruch eines Projekts oder die Schließung eines Start-ups sind der hohen Unsicher- heit von Innovationen geschuldet und deshalb als ein Normalfall, nicht als eine Fehlinvestition zu bezeichnen. Letzterer Begriff kann nur auf das Portfolio insgesamt bezogen werden. Eine solche Sichtweise ist Controllern aus dem normalen Geschäftsbetrieb heraus nicht geläufig. Dort müssen sich alle einzelnen Objekte – Produkte, Aufträge, Investi- tionen – für sich alleine rechnen. Nur strategische Aspek- te können Abweichungen von dieser Regel begründen, und Controller sind entsprechenden „strategischen Prä- mien“ gegenüber – berechtigter Weise – grundsätzlich sehr skeptisch eingestellt. Die besondere Beziehung zwischen Controlling und In- novationen besitzt eine weitere, noch grundsätzlichere Facette: Controlling bedeutet bekanntermaßen Ratio- nalitätssicherung. Controller versuchen, der Kraft des besseren Arguments Platz zu verschaffen und aus den unterschiedlichsten Gründen resultierende Fehler in Entscheidungsprozessen zu verhindern. Die Beurtei- lung, ob etwas rational ist, setzt Wissen über das vor- aus, was in einer bestimmten Situation richtig ist. Sol- ches zu generieren und zu verwenden, steht im Kern der Aktivitäten von Controllern. Erfahrungen der Ver- gangenheit, Benchmarkingwerte, Sollkosten und vie- les andere mehr dienen hierfür im Einzelfall. Gegen diese Werte wird das Ist gemessen oder die Zukunft geplant. Insofern ist es auch folgerichtig, dass Abwei- chungsanalysen einen großen Stellenwert im Arbeits- feld der Controller einnehmen und dabei der Schwer- punkt darauf liegt, Abweichungen zu vermeiden oder entstandene wieder zu beseitigen. Innovationen schaffen dagegen neues Wissen. Ob eine Innovation gelingt, ist deshalb nicht bekannt. Damit fehlt die Messlatte für richtiges Handeln. Controller sind ihres wichtigsten Handwerkszeugs beraubt. Zum Glück aber hat die Rationalität viele Facetten bzw. Ebenen. Sie bezieht sich nicht nur auf das Ergebnis einer Handlung („die Investition wird einen positiven Kapitalwert erzie- len“), sondern auch auf den Prozess („die verfügbaren Planungsinformationen sind bestmöglich in die Ent- scheidung eingeflossen“) und die dafür erforderlichen Ressourcen („alle wichtigen Know-how-Träger waren an der Entscheidung beteiligt“). Gerade dann, wenn das Er- gebnis einer Handlung sehr unsicher ist, kommt der Pro- zess- und der Ressourcenebene eine wichtige Bedeutung zu. Alles im Prozess richtig gemacht zu haben, ist zwar kein Garant für ein erfolgreiches Ergebnis; wer auf der Ebene der Prozesse und Ressourcen Fehler macht, wird ein solches aber nur rein zufällig erzielen können. Die Ra- tionalitätssicherungsaufgabe ist im Bereich hoher Er- gebnisunsicherheit also nicht nur anders als im „norma- len Geschäft“, sondern auch vielschichtiger und damit anspruchsvoller für die Controller. Eine letzte spannende Facette der Beziehung zwischen Innovation und Controlling sei mit der Bedeutung von Fehlern angesprochen. Fehler sind imBereich optimier- ter Prozesse etwas, was es möglichst zu vermeiden gilt. Zwar darf jeder einen Fehler machen, den aber bitte nur einmal. Fehler sind allerdings auch eine wesentli- che Quelle von Innovation und Lernen. Das zeigt schon die Genetik. Würde das Erbgut immer mit 100%iger Genauigkeit reproduziert, gäbe es keine Evolution; wäre die Fehlerrate sehr hoch, ebenso wenig, weil die Nachkommen nicht lebensfähig wären. Alles bis ins Kleinste zu optimieren, schafft hohe Effizienz. Aller- dings leidet darunter die Möglichkeit zur Weiterent- wicklung. Dieses müssen Controller wissen, wenn sie wieder einmal auf der Jagd nach dem letzten Quänt- chen Slack im Unternehmen sind. Mit dieser Jagd kann eine wesentliche Quelle von Innovationen versiegen, was sich langfristig rächt. Innovationen sind damit für Controller kein einfaches Feld. Die hohe mit Innovationen verbundene Unsi- cherheit macht Denkweisen und Prozeduren erforder- lich, die von denen im normalen geschäftlichen Kon- text stark abweichen. Mit dem üblichen Tool- und Mindset können die Controller in innovativen Berei- chen viel Porzellan zerschlagen. Insofern verwundert es nicht, dass sie von manchem Leiter einer For- schungs- und Entwicklungsabteilung eher als Feind denn als Freund gesehen werden. Wer ein hilfreicher Partner werden will, muss sowohl auf der fachlichen Ebene (z. B. hinsichtlich des Zusammen- spiels der unterschiedlichenRationalitätsebenen) als auch der kulturellen Ebene entsprechend hinzulernen. Je wichtiger Innovationen für das Überleben der Unternehmen werden, desto wichtiger wird die Fähigkeit der Control- ler, auch in einem innovativen Kontext Nutzen zu stiften. Um vertrauter mit dem Thema zu werden, wäre es viel- leicht eine gute Idee, „zu üben“, Innovationen – falls noch nicht geschehen – auch in den Controllerbereich hinein- zutragen, hier entsprechend tätig zu werden. Was war denn Ihre letzte Innovation im Controlling? Wie viele In- novationen brauchen Sie denn, umdort auf der Höhe der Zeit zu bleiben?Wasmüssten Sie denn verändern, umals Controller kreativer zu werden? Aber vielleicht können Sie diese Fragen ja auch schon jetzt aus dem ff beant- worten … PROF. DR. DR. H.C. JÜRGEN WEBER ist Direktor des Instituts für Management und Control- ling (IMC) der WHU – Otto Beisheim School of Manage- ment, Campus Vallendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar. Er ist zudemMit- glied des Kuratoriums des Internationalen Controller Vereins (ICV). juergen.weber@whu.edu
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