Controllermagazin 4/2020
71 PRAXIS Controller Magazin | Ausgabe 4 wendigen, relevanten Daten für bestimmte Aufgaben spezifizieren, um sie im Folgen- den gezielt verarbeiten zu können. Darüber hinaus müssen Finanzfachleute Herkunft und Verarbeitung von Finanzdaten in IT-Sys- temen auf einer ausreichend hohen Ebene, aber nicht im Detail, verstehen, um deren Plausibilität beurteilen zu können. Die zu- künftige Bedeutung von Descriptive, Predic- tive und Prescriptive Analytics erfordert sehr gute analytische Kompetenzen von Control- lern zur Vorbereitung taktischer, operativer und strategischer Entscheidungen auf allen Ebenen des Unternehmens. Die Entschei- dungsfindung auf Basis unstrittiger Fakten wird künftig noch näher an oder im Extrem sogar in Echtzeit stattfinden. Daneben ge- winnen Kompetenzen wie Kommunikati- ons-, Veränderungs- und Lernfähigkeit von Finanzfachleuten in zunehmend agiler den- kenden und handelnden Chemiefirmen enorm an Bedeutung. These 3: Die digitale Transformation fordert das Organisationsdesign der Finanzabteilung heraus. Eng verbunden mit neuen Verantwortlich- keiten und Kompetenzen ist die Frage, ob sich Buchhalter, Controller, Steuerfachleute und Treasurer eher zu Spezialisten oder zu Generalisten entwickeln. In hoch speziali- sierten, kleinen Finanzabteilungen wird es überwiegend Experten geben. Im Finanz bereich von KMUs werden auch in Zukunft Beschäftigte aus Synergiegründen eher Ge- neralisten mit mehreren Aufgaben sein. Ihre Zahl sinkt allerdings mit steigendem Digita- lisierungsgrad. Als Konsequenz kristallisieren sich zwei ext- reme Organisationsmodelle für die Finanz- funktion in Chemieunternehmen heraus. Ein extremes Szenario ist eine kleine, zentrale Fi- nanzorganisation mit wenigen, stark spezia- lisierten Finanzexperten, die primär die Pro- zess- und Daten-Ownership innehaben. Buchhalter und Controller im operativen Geschäft gehören in diesem Szenario den operativen Geschäftsbereichen an. Das entgegengesetzte Szenario ist eine große Finanzabteilung, die alle ein- und ausgehen- den Finanzinformationen und die Schnitt- stellen zu allen anderen Organisationsein- heiten selbst steuert. Ob ein Unternehmen sich für eines dieser Ext- reme oder für einen Mittelweg entscheidet, hängt u. a. von seiner Größe, seinem digitalen und Prozessreifegrad und der der Finanzabtei- lung zugemessenen Bedeutung für die Steue- rung des Unternehmens nach erfolgter digita- ler Transformation ab (Zurlino et al., 2019). These 4: Digitale Technologien müssen auch im Rechnungswesen konsequent eingeführt und beherrscht werden. Damit ein Unternehmen in der Chemie 4.0 den vollen Wertbeitrag seiner Finanzab- teilung erzielen kann, muss neben durch- gängigen Prozessen und kompetentem Personal auch die dritte, oft überbetonte Säule der digitalen Transformation stim- men, die sichere Beherrschung der wirk- lich für die eigenen Aufgaben relevanten Digitaltechnologien. Vier davon werden hier für den Einsatz im Finanzwesen ex- emplarisch skizziert. Big Data spielen – heute primär in großen Chemieunternehmen – bereits eine wichtige Rolle bei Lieferanten- und Kundenanalysen, statistischer Versuchsplanung, Produktopti- mierung, Prozessstabilisierung oder als Basis von Instandhaltungsstrategien. Der Vorteil, Entwicklungs-, Einkaufs-, Produktions-, Pro- dukt- und Vertriebsstrategien, die auf funk- tionsbezogenen Big Data Pools beruhen, mit der Finanzplanung und dem Risikomanage- ment auch kleinerer undmittlerer Unterneh- men zu verknüpfen und vernetzen, liegt auf der Hand (Stäglich et al., 2017). Anhand der Robotic Process Automation, RPA , (Herrmann et al., 2017) wird eine Effi- zienzsteigerung im Finanzwesen zunächst durch Automatisierung bzw. Digitalisierung besonders anschaulich (Erxleben, 2017). In Chemieunternehmen ist im Finanzwesen eine Vielzahl von Rechnungen aus Einkauf und Verkauf zu bearbeiten. Ihre Komplexität ist im Einkauf durch die von Lieferanten ge- wählten Rechnungsformate deutlich höher als die im Vertrieb, der eigene Standards für Kundenrechnungen vorgeben kann. Zu- nächst werden unzählige, wenig komplexe Kundenrechnungen durch Softwarecompu- ter erfasst und konsolidiert. Für komplexere Lieferantenrechnungen wird ggf. vorher zu- sätzlich eine automatische Texterkennung (Optical Character Recognition, OCR) erfor- derlich. Sobald in Zukunft Abschlüsse und Planungen anstehen, wird die schnelle, auto- matische Konsolidierung sämtlicher, fehler- freier Finanzdaten durch die digitale Vernet- zung der einzelnen CRM-, SRM- undweiteren Systeme möglich. Künstliche Intelligenz, KI , oft schon in F&E oder zur Optimierung von Produktion und Instandhaltung eingesetzt, bietet der Finanz- abteilung z. B. beim repetitiven Auslesen von Rechnungen und Belegen, Automatisie- ren des Zahlungsverkehrs, Erkennen von Anomalien der Buchungsvorgänge, Behe- ben von Prozessschwächen oder Überprüfen von Simulationen vielfältige Anwendungen. Sie übernimmt einerseits repetitive Aufga- ben, scheitert aber andererseits an der Übernahme kognitiver Aufgaben wie Inter- pretationen oder Entscheidungen unter Be- rücksichtigung weicher Faktoren, wo nach wie vor die Expertise von Spezialisten und ihre ganzheitliche Sicht auf die Wertschöp- fungskette gefragt bleibt. Blockchain ist ein gutes Beispiel für die Übertragung einer digitalen Technologie aus der Finanzbranche in die Finanzabtei- lung einer Chemiefirma. Das Prinzip der ver- teilten Kontobücher (Voshmgir, 2019) erfüllt ein Hauptanliegen der Finanzabteilung, die revisionssichere Verfolgung von Transaktio- nen mit Lieferanten, Kunden, Konzernge- sellschaften und Niederlassungen. Smart Contracts sind ein weiterer Vorteil der Distri- buted Ledger, da sie schnell und fehlerfrei Vertragsinhalte wie Material- oder Produkt- „Zur Digitalkompetenz der Controller muss in Zukunf t u. a. die Selektionsfähigkeit gehören.” ©sanjeri – www.istockphoto.com
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