Controllermagazin 4/2020
69 Controller Magazin | Ausgabe 4 PRAXIS Wenn von Digitalisierung in der Chemie- branche die Rede ist, stehen zunächst digita- le Technologien wie Big-Data-Analysen der Märkte, Künstliche Intelligenz in F&E, das In- ternet der Dinge in der Produktion und die zustandsbasierte Instandhaltung im Fokus (Keller, 2018). Die technische Ausgangsbasis für die „Chemie 4.0“ ist gut. Der Automatisie- rungsgrad von Labor-, Herstell- und In- standhaltungsprozessen ist aus wirtschaft- lichen, ökologischen und aus Sicherheits gründen zumTeil schon seit Jahrzehnten auf hohemNiveau. Indirekt wertschöpfende Prozesse, wie sie im Finanz- und Rechnungswesen anzutref- fen sind, standen bislang weniger im Fokus und weisen einen noch geringen Automati- sierungs- bzw. Digitalisierungsgrad auf. Es gibt gute Gründe, das zu ändern. These 1: Managementprozesse einer Chemiefirma kommen nicht ohne Finanzdaten aus – Ak tuelle Verantwortlichkeiten spiegeln das nichtwider undmüssenkorrigiertwerden. Um Prozesse wie Purchase-to-Pay (P2P) und Order-to-Cash (OTC) digital zu vernet- zen, müssen sie vonAnfang bis Ende durch- gängig werden. Dazu bedarf es neuer und funktionsübergreifend geregelter, forma- ler und inhaltlicher Verantwortlichkeiten sowohl für Prozessschritte als auch für Stamm- und Transaktionsdaten. Dass dies heute noch nicht der Fall ist, zeigen folgen- de Beispiele: Beispiel 1: P2P-Prozesse Der Rechnungseingang ist in vielen Chemie- unternehmen wegen der hohen Anzahl von Lieferantenrechnungen und ihrer Formate einer der ressourcenintensivsten Schritte. Der Anteil an manuellen, repetitiven Trans- aktionen ist hoch und gekennzeichnet durch Medienbrüche, Dateninkonsistenzen und Workarounds, alle zu Lasten von Effektivität und Effizienz (Spieß, 2019). Auch wenn Text- und Bilderkennungssoftware in KMUs ver- einzelt bereits Erfassungszeiten verkürzen, müssen Buchhalter oft nochmanuell erfass- te Daten prüfen und für spätere Prozess- schritte korrigieren, auch um Compliance- Risiken zu minimieren, siehe Abb. 1. Beispiel 2: OTC-Prozesse ImOTC-Prozess ist die Erfassung von Kun- denaufträgen bis zur Verbuchung eigener Rechnungen bereits weitgehend auto matisiert. Der Belegaustausch erfolgt bei chemischen KMUs jedoch noch oft als Pa- pierdokument undnur auf Kundenwunsch elektronisch. Solche Medienbrüche redu- zieren den Nutzen von Dokumentenma- nagementsystemen, erfordern manuelle Korrekturen der Kontoauszugsverarbei- tung und beeinträchtigen so Effizienz und Liquidität imUnternehmen, siehe Abb. 2. Lösungsansätze für die Praxis Ein wesentliches Ziel der Digitalisierung ist es, Prozesse wie P2P und OTC schneller, ef- fektiver und effizienter zu gestalten (Möller, 2019). Neben Einkäufern, Supply Chain- und Vertriebsmitarbeitern profitieren auch Buch halter, Controller und Treasurer, indem sie sich auf die Überwachung der Finanzdaten und -flüsse, das frühere Eingreifen bei Ano- malien und die proaktive Vermeidung von Compliance-Verstößen konzentrieren kön- nen. Dazu müssen durchgängige Prozesse von Anfang bis Ende störungsfrei gestaltet und ausgeführt werden. Sie stehen und fal- len mit klar geregelten, funktionsübergrei- fenden Verantwortlichkeiten für Prozesse und Daten, künftig mehr noch als heute, siehe Abb. 1 und 2. So darf z. B. nur die Funk- tion „Finanzen“ für die systemseitige Sicherstellung aktueller Umrechnungskurse Abb. 1: Typische Datenmit Finanzbezug imP2P-Prozess Summary Chemieunternehmen stehen im Gegen satz zu anderen Branchen erst am Be ginn der digitalen Transformation. Da bei ist die rein technische Ausgangsbasis für die Kernprozesse der „Chemie 4.0“ durchaus vielversprechend. Für die Pro zesse des Rechnungswesens gilt dies hingegen deutlich weniger. Der Beitrag formuliert Thesen, die es umzusetzen gilt, damit Unternehmen die maximale Wertschöpfung aus ihrer digitalen Transformation realisieren. Im Fokus des Beitrags stehen die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der che mischen Industrie.
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