Controllermagazin 4/2020
57 Controller Magazin | Ausgabe 4 PRAXIS Das entwickelte Geschäftsmodell unter- stützt den Strategieentwicklungsprozess, da bestehende Strukturen kritisch hinterfragt werden und bei den Beteiligten ein fundier- tes Problembewusstsein für weiterführende Analysen erwächst. Zugleich entstehen be- reits erste Ideen, wie neue Technologien ein- gesetzt werden können. Das Business Model Canvas erfordert eine detaillierte Klärung der Nutzer und der Beziehungen zu diesen. Im Zentrum des Modells steht das Wertver- sprechen (Value Proposition). Es ist zu klären, welchen Wert man den Nutzern bietet und bei welchen Problemen man den Nutzern dabei hilft, diese zu lösen. So ist es beispiels- weise einWertversprechen des Produktions- controllings, aussagekräftige und aktuelle Berichte mit Plan-/Ist-Vergleichen für unter- schiedliche Nutzergruppen bereitzustellen und Entscheidungs- und Planungsvorlagen für das Management mit Handlungsemp- fehlungen zu versehen. Abb. 2 zeigt das Busi- ness Model Canvas des Produktionscontrol- lings bei AGCO/Fendt. 2. SWOT-Analyse In den Workshops zur Erstellung des Busi- ness Model Canvas sind Fragestellungen aufgetreten, die im Rahmen einer SWOT- Analyse beleuchtet wurden. Insbesondere die steigenden Einflüsse der VUCA-Welt machten sich als Risiken immer deutlicher bemerkbar. Aus den zunehmenden Stück- zahlschwankungen aufgrund der hohen Volatilität der Märkte resultiert eine Pla- nungsunsicherheit, die beispielsweise das Aufbereiten einer aussagekräftigen Ent- scheidungsgrundlage über eine Erweite- rung der Produktionskapazität erschwert. Folglich muss das Produktionscontrolling dem Management mehrere Szenarien zur Risikoabschätzung ausarbeiten, die auf al- ternativen Annahmen beruhen. Die rasch steigende Datenmenge sowie die vielgestaltigen Einflussfaktoren und Abhän- gigkeiten betrieblicher Kennzahlen nehmen unterdessen durch Industrie-4.0-Anwen- dungen weiter zu. So können beispielsweise Maschinendaten aus der Produktion in Echt- zeit mit externen Daten zu neuen Kennzah- len verknüpft werden. Das Produktionscon- trolling muss solche Abhängigkeiten und Einflussfaktoren erfassen und in Kennzah- len integrieren, um Entwicklungen frühzei- tig zu erkennen und um rasch reagieren zu können. Als kritisches Thema wurde zudem eine unzureichende Datenbasis aufgrund von unterschiedlichen Datenquellen, Sys- temschnittstellen und Verzögerungen iden- tifiziert. Chancen bietet hingegen ein ver- stärkter Wissenstransfer innerhalb des AGCO Produktionscontrollings. Als weitere Stärke wird das motivierte und verände- rungsbereite Controllingteam angesehen. Die SWOT-Analyse auf Grundlage des Busi- ness Model Canvas zeigte drei wesentliche Entwicklungsfelder auf: a) Weiterentwicklung der Geschäftsprozes- se, insbesondere eine engere Zusammen- arbeit mit der IT-Abteilung und eine inten- sivere Auseinandersetzung mit neuen Technologien wie beispielsweise Machine Learning und Robotic Process Automation (RPA). Diese neuen Ansätze bieten die Chance, das Nutzerversprechen weiter zu verbessern und die Kostenstruktur zu op- timieren. b) Eine individuellere und schnellere Inter- aktion mit den Nutzern des Produktions- controllings, unterstützt durch intelligen- te Systeme der Digitalisierung. c) Das dritte Handlungsfeld umfasst innova- tive Produkte und Dienstleistungen zur Befriedigung der Nutzerbedürfnisse, wo- durch beispielweise auch das noch weit verbreitete „Excel-Reporting“ ersetzt wird. Nach der Aufbereitung des controllinginter- nen Wissens wurden 15 qualitative Inter- views mit Nutzern des Produktionscontrol- lings durchgeführt, umderen Bedürfnisse in die Strategieentwicklung einzubinden. Für die verschiedenen Nutzergruppen wurde jeweils ein Interviewleitfaden entwickelt. Identifiziert wurden dabei der spezifische Informationsbedarf einzelner Personen- gruppen, aber auch Schwachstellen und Optimierungspotenziale. 3. Methoden zurWissensgenerierung Das innerhalb des Produktionscontrollings entwickelte Geschäftsmodell und die Er- kenntnisse aus der Nutzerbefragung wur- den in einemweiteren Schritt zusammenge- führt und in einen Kontext eingeordnet. Hierfür wurden drei Methoden verwendet. Im ersten Schritt wurden die einzelnen Sta- keholder, wie etwa die Meister in der Pro- duktion, nach ihrem Rollenverständnis, ih- ren Interessen, der Motivation und dem Selbstbild, charakterisiert (vgl. Abb. 3). Nach der Erstellung der Stakeholderpro file wurden in einem zweiten Schritt die Beziehungen und die Unterschiede über alle Stakeholdergruppen hinweg analy- siert. Hierfür wurde ein Persona-Synthe- se-Cluster erstellt, bei dem unabhängig von der Stakeholderzugehörigkeit nach Widersprüchen, nach der Motivation, nach Gemeinsamkeiten, aber auch nach über raschenden Einsichten gefragt wurde. Hier- bei wurde etwa der Bedarf einer weiteren Kennzahl erkannt oder es wurden Unter- schiede in der Bewertung verschiedener Ziele entdeckt. In einemdritten Schritt wurde eine Target- Group-Analyse durchgeführt, bei der die Stakeholderprofile und das Persona-Synthese-Cluster Eingang fanden. Anhand der Verhaltensattribute, ob Personen eher kennzahlenbasiert oder intuitiv entschei- den und ob Personen eher selber anweisen oder stärker auf Anweisungen anderer re- agieren, wurden Nutzer-Bedürfnis-Kom- binationen entwickelt. Dies erfolgte in ei- nem iterativen Prozess, vorwiegend wis- sens- und erfahrungsbasiert. Hierdurch wurde beispielsweise erkannt, dass die bis- herigen Leistungen des Produktionscont- rollings stärker an den Bedürfnissen der Geschäftsführung undWerkleitung ausge- richtet waren als an den operativen Einhei- ten. Die Identifikation und verhaltensbe zogene Zuordnung der Nutzer-Bedürfnis- Paare konnte die Komplexität im Strate gieentwicklungsprozess verringern und es wurden nutzerspezifisch Bedürfnisse iden- tifiziert. Dies diente als Grundlage für die Entwicklung konkreter Ideen für die Digita- lisierungsstrategie des Produktionscontrol- lings, um einen nutzerspezifischen Mehr wert zu generieren. Abb. 3: Workshop zur Stakeholderanalyse
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