Controllermagazin 4/2020

28 Controller Magazin | Ausgabe 4 RECHNUNGSLEGUNG ders als bei Finanzierungsleasingverhältnissen nach dem Vorgängerstandard – nicht der zugrunde liegende Lea­ singgegenstand selbst aktiviert, sondern ein Nutzungs­ recht an diesem Gegenstand (IFRS 16.22). Diese Feinheit ist für die Frage nach der Konservativität der Bilanzie­ rung allerdings weniger entscheidend. Im Vordergrund steht vielmehr, dass sich der Verbind­ lichkeitsausweis auf der Passivseite erhöht. Die Zah­ lungsverpflichtungen aus diesen Leasingverhältnissen werden nun also direkt aus der Bilanz ersichtlich, was bis dato nur für Finanzierungsleasingverhältnisse gegeben war. Zahlungsverpflichtungen aus Operating-Leasing­ verhältnissen mussten (mühsam) aus dem Anhang her­ ausgesucht werden, das Bilanzbild haben sie jedoch nicht getrübt. Durch IFRS 16 entfernt sich die Leasingbilanzierung wei­ ter vomHGB, welches nach wie vor eine Zurechnung des Leasinggegenstandes beimwirtschaftlichen Eigentümer fordert. In der Praxis wird daher regelmäßig auf die Un­ terteilung in Operating-Leasing und Finanzierungslea­ sing entsprechend der steuerlichen Leasingerlasse zu­ rückgegriffen. Der Schritt der IFRS, von dieser traditio­ nellen Zweiteilung abzukehren und stattdessen eine bi­ lanzwirksame Erfassung grundsätzlich aller Leasingneh- merverhältnisse vorzunehmen, führt zu einer Erhöhung des Verbindlichkeitsausweises, einhergehend mit einer Erhöhung des bilanziellen Verschuldungsgrades. Dies kann zweifelsohne als konservative Maßnahme bezeich­ net werden, selbst wenn die Bilanzierungsnormdahinter revolutionär daherkommen mag. Dieser Schritt in Rich­ tung Konservativität war auch keineswegs unbeabsich­ tigt. Vielmehr war es genau die Intention des Standard­ setzers, die Zahlungsverpflichtungen aus Leasingverhält­ nissen in der Bilanz sichtbar zu machen und somit einen Verbindlichkeitsausweis zu erhalten, der die tatsächli­ chen ökonomischen Verhältnisse besser widerspiegelt. 10 Die nach HGB nach wie vor vorgenommene Unterschei­ dung in Operating- und Finanzierungsleasing ist prob­ lembehaftet. Auf Seiten der bilanzierenden Unterneh­ men besteht durch entsprechende Vertragsgestaltun­ gen die Möglichkeit, eine Off-balance-Bilanzierung zu erreichen und damit die Passivierung von Leasingver­ bindlichkeiten zu vermeiden. 11 Der Schritt der IFRS hin zu einer bilanzwirksamen Erfassung der Leasingverhältnis­ se führt also sowohl zu einer konservativeren als auch zu einer realistischeren Bilanzierung, die einen wesentli­ chen bilanzpolitischen Spielraum eindämmt. Vorsicht und eine möglichst ökonomische Betrachtungsweise müssen somit keineswegs in Widerspruch zueinander stehen. Gerade vor diesem Hintergrund wird es interes­ sant sein zu beobachten, wie der deutsche Gesetzgeber auf die internationalen Entwicklungen zur Bilanzierung von Leasingverhältnissen reagiert. Auch wenn sich mo­ mentan keine Änderungen der bestehenden handels­ rechtlichen Vorschriften abzeichnen, könnten ähnliche Vorschriften ein geeignetes Mittel sein, die langjährigen durch das Steuerrecht beeinflussten handelsrechtlichen Regelungen im Sinne der bestehenden Grundsätze zu modernisieren. Umsatzrealisierungsmodell nach IFRS 15 Mit Blick auf den zu beobachtenden Trend zu mehr Vor­ sicht in der IFRS-Rechnungslegung fällt IFRS 15 etwas aus der Reihe. Das HGB lässt gemäß des im Zusammenhang mit dem Vorsichtsprinzip stehenden Realisationsprin­ zips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) eine Vereinnahmung von Umsatz erst dann zu, wenn dieser auch tatsächlich reali­ siert ist (Completed-Contract-Methode). Dahingegen haben die IFRS bereits vor der Einführung von IFRS 15 die Tür für eine vorzeitige Umsatzrealisierung nach der Per­ centage-of-Completion-Methode geöffnet. IFRS 15 än­ dert zwar die Kriterien für eine vorzeitige zeitraumbezo­ gene Umsatzrealisierung während der Leistungserbrin­ gung, schafft diese jedoch nicht ab. Ob diese nun restrik­ tiver als zuvor oder im Gegensatz sogar häufiger zur Anwendung kommt, lässt sich pauschal nicht beantwor­ ten. Die Zielsetzung des IFRS 15 bestand primär nicht da­ rin, diese Methode zu erweitern oder einzugrenzen. Im Fokus stand die Schaffung eines einheitlichen, mit den US-GAAP harmonisierten Modells zur Umsatzrealisie­ rung, das bisherige Graubereiche ausmerzt. 12 Materielle Änderungen in Bezug auf die Umsatzrealisierung kön­ nen sich zwar durchaus ergeben, können aber nicht per se einer vom Standardsetzer beabsichtigten Richtung zugewiesen werden. Es zeigt sich also, dass nicht jedes der großen Standard­ setzungsprojekte eine Erhöhung der Konservativität zur Folge hat. Es existiert folglich keine „Agenda“ des Stan­ dardsetzers, die IFRS mit jeder Neuerung konservativer zu gestalten. Ein solcher Trend kann lediglich durch ein­ zelne Regelungen beobachtet werden. So bestätigte der IASB-Vorsitzende Hans Hoogervorst selbst vor einigen Jahren, dass sich durchaus Elemente des Vorsichtsprin­ zips in einigen Standards wiederfinden, auch ohne dass diesem Grundsatz eine besonders grundlegende syste­ matische Bedeutung zugemessen wird. 13 Aktuelle Entwicklungen zur Goodwill-Bilanzierung Auch nach Abschluss der drei beschriebenen Großpro­ jekte ist der Drang des Standardsetzers zur Überarbei­ tung nicht gestillt. Es wird längst überlegt, welche weite­ ren Änderungen die Qualität der Informationsversor­ gung der Abschlussadressaten erhöhen können. Als ein wesentlicher Faktor hierbei wurde die Folgebewertung des auch als Goodwill bezeichneten Geschäfts- oder Fir­ menwerts identifiziert. Dieser entsteht bei Unterneh­ menszusammenschlüssen, wenn die Erwerbskosten das neubewertete bilanzielle Nettovermögen übersteigen. DR. DAVID SHIRKHANI ist Referent bei Rödl & Part- ner imBereich Capital Mar- kets & Accounting Advisory Services. Seine Tätigkeits- schwerpunkte liegen in der Rechnungslegungsberatung, Abschlussprüfung sowie der Fach- und Grundsatzarbeit. david.shirkhani@roedl.com

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