Controllermagazin 4/2020

27 Controller Magazin | Ausgabe 4 RECHNUNGSLEGUNG des entsprechenden Unternehmens fokus­ siert. Durch die erwähnte hohe Bedeutung des Vorsichtsprinzips wird die wirtschaftli­ che Lage in dem Sinne verzerrt, dass sich der Kaufmann „eher ärmer rechnet“ als er ei­ gentlich ist. Eine vorsichtige Rechnungsle­ gung führt tendenziell eben dazu, dass das Nettovermögen eher unterbewertet wird. 4 Dies mag für Fremdkapitalgeber im Sinne des Gläubigerschutzes vorteilhaft sein, wird für Eigenkapitalinvestoren, die den wahren ökonomischen Wert eines Unternehmens ermitteln wollen, jedoch eher zum Nachteil. Analog wird auch argumentiert, dass sich die IFRS zudem für die interne Unterneh­ menssteuerung besser eignen als das HGB und somit eine Harmonisierung des inter­ nen und externen Rechnungswesens voran­ bringen könnten. 5 Die Vorteilhaftigkeit des HGB wiederum er­ gibt sich neben dem ausgeprägten Gläubi­ gerschutzgedanken aus der Tatsache, dass sich das Regelwerk nicht nur zur Informati­ onsvermittlung eignet, sondern auch zur Bemessung von Ausschüttungen oder zur Ermittlung der Steuerbelastung herange­ zogen werden kann bzw. wird. IFRS-Großprojekte der letzten Jahre Vor dem Hintergrund des beschriebenen Spannungsverhältnisses zwischen HGB und IFRS stellt sich die Frage, ob konservative Bi­ lanzierungsnormen auch rein aus der Pers­ pektive der Informationsvermittlung heraus betrachtet eine gewisse Vorteilhaftigkeit mit sich bringen. Indizien dafür liefern die letzten Entwicklungen aus der IFRS-Welt. Betrach­ ten wir die drei großen Standardsetzungs­ projekte der letzten Jahre, so fällt auf, dass sich durchaus konservative Elemente zuneh­ mend in den IFRS-Regelungen wiederfinden. Neues Wertminderungsmodell nach IFRS 9 Betrachten wir zunächst die durch IFRS 9 im Geschäftsjahr 2018 neu eingeführten Ände­ rungen zur Bilanzierung von Finanzinstru­ menten. Die Neuregelungen gehen zurück auf die letzte große Finanzkrise, welche die Frage aufwarf, ob die bis dato gültigen Nor­ men etwaige Wertminderungen von Finanz­ instrumenten zu spät antizipieren und folg­ lich eine Überbewertung finanzieller Ver­ mögenswerte in den IFRS-Bilanzen vorliegt. Durch die Überarbeitung sollte sicherge­ stellt werden, dass eine angemessene Risi­ kovorsorge für bevorstehende Kreditausfäl­ le gebildet wird. 6 Mit der Einführung von IFRS 9 wurde also konkret das Ziel verfolgt, die Bilanzierung konservativer bzw. vorsich­ tiger zu gestalten. Setzte eine Erfassung von Wertminderun­ gen nach IAS 39 noch das Vorliegen eines konkreten Verlustereignisses voraus (sog. incurred loss model), soll nach IFRS 9 eine frühzeitigere Erfassung von Wertminderun­ gen durch das sog. expected loss model er­ reicht werden. 7 Demnach werden auch für erwartete Kreditverluste bereits Risikovor­ sorgen gebildet, ohne dass ein konkreter An­ haltspunkt für eine Wertminderung vorliegt (IFRS 9.5.5.1). Die konkrete Bemessung der erwarteten Kreditverluste ist abhängig vom individuellen Finanzinstrument, sodass vor allem für Finanzinstitute komplexe Berech­ nungen notwendig werden. Für klassische Industrie- oder Dienstleistungsunterneh­ men betreffen wesentliche Ausfallrisiken oftmals vorrangig Forderungen aus Liefe­ rungen und Leistungen. Hier kommt ein ver­ einfachtes Modell nach IFRS 9.5.5.15 zur An­ wendung. Auch hier sind jedoch erwartete Kreditverluste zu schätzen. Hierzu werden erwartete (pauschale) Ausfallwahrschein­ lichkeiten ausgehend von Vergangenheits­ informationen ermittelt und entsprechend erfolgswirksam Risikovorsorgen gebildet. Diese Vorgehensweise erinnert stark an die durch das Vorsichtsprinzip beeinflusste Bi­ lanzierung von Kundenforderungen nach HGB. Neben Einzelwertberichtigungen für konkret identifizierte Risikofälle sind auch Pauschalwertberichtigungen vorgesehen. Banken haben nach § 340 f HGB darüber hin­ aus die Möglichkeit, weitere Abwertungen zur Vorsorge gegen die besonderen Risiken dieses Geschäftszweiges vorzunehmen. Sol­ che pauschale Reduzierungen des Forde­ rungsausweises ohne konkrete Anhalts­ punkte aus reinen Vorsichtsgründen waren den IFRS bislang fremd. In den neuen Vor­ schriften zur Wertminderung von Finanz­ instrumenten ist also durchaus ein deutli­ cher Trend hin zu einer vorsichtigeren Bilan­ zierung zu erkennen. 8 Wie weit die Annäh­ rung von IFRS und HGB in diesem Bereich geht, zeigt die aktuell geführte Diskussion, inwiefern sich die nach IFRS ermittelten Kre­ ditrisikovorsogen auch für eine Übernahme in die HGB-Bilanzen von Banken eignen. 9 Bilanzwirksame Erfassung von Leasingverhältnissen nach IFRS 16 Eine fundamentale Änderung der Bilanzie­ rung von Leasingverhältnissen wurde durch den seit 2019 verpflichtend anzuwendenden IFRS 16 ausgelöst. Die Neuerungen betref­ fen vor allem die Leasingnehmerseite, wo nicht länger in Operating- und Finanzie­ rungsleasingverhältnisse entsprechend der Zurechnung des wirtschaftlichen Eigen­ tums unterschieden wird. Stattdessen wer­ den grundsätzlich alle Leasingverhältnisse bilanzwirksam erfasst, D. h. vom Prinzip her analog bisheriger Finanzierungsleasingver­ hältnisse behandelt. Ausgenommen davon sind kurzfristige Leasingverhältnisse und solche in Bezug auf einen Vermögenswert von geringem Wert (IFRS 16.6). Somit ent­ fällt durch IFRS 16 beim Leasingnehmer in der Regel die Möglichkeit der Abbildung „off balance“ durch Behandlung der Leasing­ zahlungen als Aufwand der entsprechenden Periode. Vielmehr wird sowohl ein Vermö­ genswert auf der Aktivseite als auch eine Leasingverbindlichkeit auf der Passivseite der Bilanz erfasst. Entsprechend des right- of-use-Ansatzes des IFRS 16 wird zwar – an­ Summary Obwohl vermutet werden könnte, dass sich die IFRS durch Neuerungen immer weiter vom konservativen HGB entfer- nen, lässt sich im Gegenteil vielmehr ein gewisser Trend zur Stärkung der „Vor- sicht“ in den IFRS erkennen, auch ausge- löst durch die Erfahrungen vergangener Krisenzeiten. Anders als 2009, als durch das BilMoG das HGB eine Annäherung an die IFRS erfuhr, stellt sich teilweise die Frage, ob sich nunmehr nicht eine gewisse „Annäherung“ der IFRS an das HGB ergibt – natürlich ohne dass eine solche ursäch- lich vom IASB beabsichtigt ist. Der vorlie- gende Beitrag betrachtet die aktuellen Entwicklungen in der internationalen Rechnungslegung vor diesem Hinter- grund und erläutert, inwiefern eine ge- wisse aus dem deutschen Handelsrecht bekannte Konservativität zunehmend Einzug in die IFRS-Regelungen erhält.

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