Controllermagazin 4/2020

26 Controller Magazin | Ausgabe 4 Wie konservativ sollen Rechnungslegungsnormen sein? Diese Frage ist ein häufig diskutierter Streitpunkt in der Bilanzierungswelt. Gerade in Krisenzeiten, wie z. B. der letzten großen Finanzkrise, werden immer wieder Stim­ men laut, die eine vorsichtige Bilanzierung propagieren. Somachen die aktuellen Entwicklungen rund umdie Co­ rona-Krise diese Diskussion aktueller denn je. Die Frage nach dem angemessenen Maß an Vorsicht in den Unter­ nehmensbilanzen ist auch deshalb so kontrovers, weil das deutsche HGB und die internationalen Rechnungsle­ gungsnormen IFRS hierauf unterschiedliche Antworten geben. Während das HGB immer noch stark durch das Vorsichtsprinzip geprägt ist, weichen die IFRS in vielen Punkten von den konservativen Grundsätzen des deut­ schen Handelsrechts ab. Der internationale Standardsetzer IASB ist ständig be­ strebt, die IFRS weiterzuentwickeln und hinsichtlich et­ waiger Verbesserungspotentiale neu zu beurteilen. Ge­ rade in den letzten Jahren ergaben sich als Folge dessen einige Regeländerungen. Während im Geschäftsjahr 2018 neue Standards zur Bilanzierung von Finanzinstru­ menten (IFRS 9) und zur Umsatzrealisierung (IFRS 15) eingeführt wurden, folgte in 2019 die erstmalig ver­ pflichtende Anwendung des neuen Standards zur Lea­ singbilanzierung (IFRS 16). Doch auch nachdem diese drei Großprojekte abgeschlossen wurden, herrscht kei­ neswegs Stillstand in der IFRS-Welt. Aktuell wird die Bi­ lanzierung des Geschäfts- oder Firmenwerts – auch als Goodwill bezeichnet – einer kritischen Überprüfung un­ terzogen. Das Spannungsverhältnis zwischen HGB und IFRS Das Spannungsverhältnis zwischen HGB und IFRS liegt begründet in der unterschiedlichen Rechnungslegungs­ konzeption der beiden Standards. Das deutsche Han­ delsrecht ist ein Vertreter der kontinentaleuropäischen Rechnungslegungsnormen, welche sich durch eine starke Betonung des Gläubigerschutzes – also einem Fokus auf Fremdkapitalgeber – auszeichnen. Ausfluss ist eine eher konservative und vorsichtige Bilanzierung. Im Gegenzug zählen die IFRS zu den angelsächsisch geprägten Rech­ nungslegungsnormen. Diese sind stärker an den Eigenka­ pitalgebern ausgerichtet, welche an einer möglichst rea­ listischenDarstellung der wirtschaftlichen Situation inte­ ressiert sind. Das Vorsichtsprinzip rückt damit verglichen mit dessen Bedeutung imHGB in den Hintergrund. 1 Im aktuellen Rahmenkonzept des IASB wird der Grund­ satz der Vorsicht (prudence) zwar erwähnt, stellt aller­ dings nur ein untergeordnetes Prinzip des Neutralitäts­ grundsatzes dar. Folglich ist im Sinne der Neutralität im Falle von Unsicherheiten eine angemessene Sorgfalt zu­ grunde zu legen (IFRS Conceptual Framework 2.16). Die Beachtung des Vorsichtsgrundsatzes darf jedoch nicht zu einer grundsätzlich asymmetrischen Behandlung von Aufwendungen und Erträgen führen (IFRS Conceptual Framework 2.17). Mit der untergeordneten Bedeutung des Vorsichtsprinzips in Zusammenhang steht beispiel­ weise die in den IFRS an einigen Stellen erlaubte oder sogar gebotene Fair-Value-Bilanzierung, also die Bewer­ tung von Vermögenswerten über die historischen An­ schaffungskosten hinaus. 2 Die weniger vorsichtige Bilan­ zierung nach IFRS führt dazu, dass sich ein tendenziell höheres Periodenergebnis und auch ein höheres Eigen­ kapital im Vergleich zumHGB ergibt. 3 Die Vorteilhaftigkeit der unterschiedlichen Konzeptio­ nen kann ausgiebig diskutiert werden. Generell wird den IFRS – nicht zuletzt aufgrund ihres eigenen Anspruchs, möglichst entscheidungsrelevante Informationen für Kapitalgeber bereitzustellen (IFRS Conceptual Frame­ work 1.2.) – eine bessere Eignung für die Erfüllung der In­ formationsfunktion zugesprochen. Das HGB ist im Ge­ genzug weniger stark auf die Vermittlung eines mög­ lichst realistischen Bildes der wirtschaftlichen Situation IFRS Werden die IFRS immer konservativer? EineWürdigung aktueller Entwicklungen in der internationalen Rechnungslegung. VON CHRISTIAN LANDGRAF / DAVID SHIRKHANI CHRISTIAN LANDGRAF, WP, CPA ist Partner bei Rödl & Partner und leitet den Bereich Capital Markets & Accounting Advisory Services. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Beratung und Prüfung börsennotierter und international tätiger Familienunternehmen sowie der internationalen Fach- und Gremienarbeit. christian.landgraf@roedl.com

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