CONTROLLER Magazin 1/2020
85 Entsprechend sollte der Leser nicht vorschnell annehmen, dass ihm solche Fehler nicht unter- laufen könnten. Für den Controller lohnt ein ge- nauer Blick auf das Grundmuster entsprechen- der Entscheidung, um diese Gefahr für sich und das Unternehmen einzuschränken. Dabei wird es sich bei der Vielzahl von Fehlentscheidungen nicht um den Controller persönlich, sondern das Unternehmen handeln, womit typischer- weise Investitionen oder einzelne Einkaufsvor- gänge, als auch Verkäufe oder Einstellungen betroffen sind. Die Willenskraft Willenskraft ist kein Thema für Controller. Dar- über verfüge man, in ausreichendem, über- durchschnittlichem Maße. Bei streng rational vorgehenden Entscheidern kann diese Eigen- schaft schon durch die Berufsbezeichnung vor- ausgesetzt werden. Außer vielleicht im Be- triebsrestaurant ... So wird bereitwillig dem Bestsellerautor Reinhard Sprenger zugestimmt, wenn dieser feststellt: „... dass der Mensch sich gegenüber anderen Lebe- wesen durch Freiheit und Selbstbestimmung auszeichnet. Dass er frei wählt und entscheidet – egal, was die Hirnforschung meint hervorzaubern zu können an Tröstungen für Willensschwache. Und dass er insofern verantwortlich ist.“ 1 Damit sind die hier angeführten Entscheider schlicht selber schuld. Sprenger wird sicherlich zuzustim- men, wenn er die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln betont; der Controller soll sich selbst für sein Handeln verantwortlich machen. Dennoch lohnt ein zweiter Blick auf die Entwick- lung gravierender Fehlentscheidungen, um diese zu vermeiden. Die Ursache vieler Fehlentscheidungen hat ei- nen Namen: die Willenskraft bzw. die Willens- schwäche. Hier bietet das Buch: „Die Macht der Disziplin“ von Roy Baumeister und John Thier- ney interessante Erkenntnisse. Vor allem ein Versuch ist im hier gewählten Zusammenhang interessant: Die Versuchsteilnehmer durften ei- nen ganzen Tag lang nichts essen und betraten dementsprechend hungrig den Versuchsraum. Vor ihren Plätzen standen drei Schlüsseln mit unterschiedlichem Inhalt: ofenwarme Plätzchen, Schokolade und Radieschen. Einige Versuchs- teilnehmer durften Plätzchen essen, andere Schokolade, weitere mussten mit den Radies- chen vorliebnehmen. Letzeres fiel auch deshalb schwer, weil die Probanden einige Zeit alleine im Raum verblieben und die Radieschen-Esser Plätzchen und Schokolade sehen und riechen mussten, ohne zugreifen zu können. Es gelang den Teilnehmern, der Versuchung zu widerste- hen; dass hierzu erhebliche Willenskraft erfor- derlich war, bedarf nicht der Erläuterung. Anschließend wurden alle Testteilnehmer in ei- nen anderen Raum gebracht, um eine Geomet- rieaufgabe zu lösen, welche tatsächlich unlösbar war. Mit diesem Vorgehen lässt sich die Willens- kraft eines Menschen zuverlässig ermitteln. Die- jenigen, die Plätzchen oder Schokolade essen durften, versuchten sich durchschnittlich zwan- zig Minuten an den Aufgaben, die Radieschen- Esser hingegen nur acht Minuten lang, also we- niger als die Hälfte. Der Grund war relativ ein- fach: Letztere hatten ihre Willenskraft bereits in hohem Maße dazu eingesetzt, den Plätzchen und der Schokolade zu widerstehen. Willenskraft ist keine statische, sondern eine dynamische Größe, welche sich wie ein Muskel erschöpft. 2 Ein gemeinsames Kennzeichen von Menschen in hohen Positionen ist, dass diese fortlaufend Ent- scheidungen treffen, den ganzen Arbeitstag lang, und dass diese von erheblicher Relevanz sind. Hierzu bedarf es entsprechender Willens- kraft, welche sich im Laufe des Tages erschöpft. Weiterhin gibt es keine spezielle Willenskraft für einzelne Aufgabenfelder. Radieschen und Geo- metrie haben so wenig miteinander zu tun, wie die Speisenauswahl in der Kantine und eine Pro- jektbeurteilung. Wer sich auf einen Marathonlauf vorbereitet oder abnehmen möchte, sollte nicht parallel Entscheidungen treffen, die große Wil- lensstärke benötigen. 3 Um Willenskraft aufzubringen, bedarf es wei- terhin einer körperlichen Vorrausetzung: der Glukose. Liegt der Blutzuckerspiegel unter ei- ner gewissen Grenze, zeigen Versuchsteilneh- mer eine schwächere Willenskraft, die Selbst- disziplin nimmt dramatisch ab. Nun sollen sich Entscheider nicht fortlaufend mit zuckerhalti- gen Lebensmitteln versorgen, die kurzfristig den Blutzucker nach oben pushen, als vielmehr Nahrung zu sich nehmen, die einen langsamen Auf- und Abbau gewährleistet. Damit soll kein Urteil über den aktuellen Trend des Intervallfas- tens ausgesprochen werden, eine Kombination aus Fasten und Entscheiden wird jedoch die Entscheidungsqualität erheblich verschlech- tern. Dabei zeigt sich die Verschlechterung wie im Radieschen-Experiment. Es wird sich kürzer mit dem Sachverhalt beschäftigt, schneller ent- schieden, nicht selten etwas durchgewunken, was bei intakter Willenskraft auf entschiedene Ablehnung stoßen würde. Selbst Entscheidungen großer Bedeutung sind vom Blutzuckerstand abhängig, wie eine Unter- suchung israelischer Berufungsrichter zeigte, die über die vorzeitige Begnadigung von Straf- tätern entschieden. Das Schema war offen- sichtlich: Ein hoher Blutzuckerspiegel nach dem Frühstück oder Mittagessen führte zu 70 Pro- zent Freilassungen, während diese Quote bis kurz vor der nächsten Mahlzeit auf 15 Prozent sank. 4 Wer weniger Willenskraft hat, neigt zu einfacheren Optionen. Dabei ist es leichter, den Delinquenten weiter im Gefängnis zu lassen, als das Für und Wider der vorzeitigen Haftentlas- sung sorgfältig abzuwägen. 5 Dass schwerwiegende Fehlentscheidungen oft in den Abendstunden fallen, liegt nicht zuletzt daran, dass im Tagesverlauf getroffene Ent- scheidungen die Willensstärke schwächen. So wurde vor Versuchsteilnehmern ein Tisch mit verlockenden Waren aufgebaut. Eine Gruppe betrachtet diese nur, die andere traf Entschei- Autor Dipl.-BW (FH) Steuerberaterin Susanne Schneider ist im Rechnungswesen eines Industriekonzerns in Essen tätig. CM Januar / Februar 2020
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