CONTROLLER Magazin 1/2020
80 Unternehmensintern verursachte Varianzen wird man in aller Regel eher beeinflussen kön- nen als unternehmensextern verursachte Schwankungen. Beispielsweise wird ein mittel- ständisches Unternehmen kaum die Auftrags- bearbeitungs-Reihenfolge eines großen Mono- pol-Lieferanten beeinflussen können und wird somit vielfach dessen Lieferverzögerungen ak- zeptieren müssen. Gemäß Häufigkeit und Auswirkungen der ein- zelnen Varianzen können Bearbeitungsschwer- punkte gebildet werden (z. B. nach Produkten, Kunden, Mitarbeitern, Prozessabschnitten ...). Zweckmäßig ist dabei, das Mura-Aufkommen ganzheitlich aus der Vogelperspektive zu be- trachten, um Zusammenhänge im Zusam- menspiel der operativen Einheiten zu erken- nen (Beispiel: Wie beeinflussen Auftragsän- derungen des Vertriebs das Working Capital entlang der gesamten Wertschöpfungsket- te?). Ebenfalls aus der Vogelperspektive sollte analysiert werden, ob die verwendeten KPIs (Key Performance Indicator)- und Incentive- Systeme rein abteilungsorientiert (insbeson- dere für die operativen Einheiten) aufgebaut sind oder ob sie ausreichend prozessorientiert auch Working-Capital-/Cashflow-orientierte Elemente enthalten. Andernfalls müsste hier nachjustiert werden. Nach dem Motto „Was gemessen wird, wird auch befolgt“ sind die KPI’s für die Arbeits- schwerpunkte zu messen, sind Vorgaben zu erstellen und die Abweichungen zu steuern. Ziel ist, unbeabsichtigten Bestands- sowie ge- nerell Working-Capital-Aufbau zu verhindern, um somit Cashflow zu generieren. Denn schließlich gilt: (Bestands-)Fett-Sein scha- det der unternehmerischen Gesundheit! Fußnoten 1 ... Wir achten ausschließlich auf die Zeitachse – von der Auftragserteilung durch den Kunden bis zum Zahlungseingang. Und wir reduzieren die Zeitstrecke durch Reduzieren der nichtwert- schöpfenden Prozesse, also der Verschwendung (Übersetzung des Verfassers) Ohno T (1988) To- yota Production System. Portland, Oregon 2 vgl dazu auch Hopp W J, Spearman M L (2011) Factory Physics. 3rd ed. Long Grove IL weg – entlang der Wertschöpfungskette ver- größert und der Cashflow beeinträchtigt wird. Häufig gehen Veränderungen – dem Kunden- wunsch entsprechend – vom Vertrieb aus, dem jedoch vielfach die Transparenz auf WoC-Aus- wirkungen nicht plausibel ist, was prinzipiell für die anderen operativen Einheiten gleicherma- ßen gilt. Der erste Schritt sollte also sein: Vari- anzen und ihre Auswirkungen transparent ma- chen, messen und hernach reduzieren. Messung von Mura Es bietet sich an, die Ursachen und Auslöser sowie die Häufigkeit und Auswirkungen der Va- rianzen zu erfassen. Ursachen für Varianzen in der Wertschöpfungskette können insbesondere sein: · Nachfrage-Schwankungen · Prozesszeit-Streuung · mangelhafte Liefertermineinhaltung (An-/Auslieferungen) · Verschiebung von Abrufaufträgen · große Losgrößen/Batch Processing · Rüstzeit-Streuung · Fehler/Stillstände · Materialengpässe · Nacharbeit · Auftragsänderungen (inhaltlich/zeitlich) · Änderung/Auftragsprioritäten · eingeschobene Eilaufträge/„Chefaufträge“ Die Auslöser für Varianzen und damit für Ab- weichungen vom ursprünglich geplanten deter- ministischen Soll können sein · unternehmensextern: durch Planungsver- schiebungen seitens Kunden, Lieferanten ... · unternehmensintern: Streuungen durch Un- wägbarkeiten im Prozess, mangelhafte Da- tenqualität, nicht abgestimmte Planungsän- derungen ... Neben dieser „Mikro-Sicht“ für einzelne Tätig- keiten gibt es eine „Makro-Sicht“ auf Tätig- keitspakete oder komplette Aufträge. Fallbeispiel: Ein Hersteller von Baubeschlägen vereinbart mit seinem Kunden, dass für ihn auf Termin produzierte Ware bereitgestellt und ab Termin innerhalb eines Zeitfensters von 3 Mo- naten abgerufen wird. Der Vertrieb geht zu- nächst davon aus, dass die Ware nach 1,5 Mo- naten abgerufen wird, stimmt später – der Be- triebsauftrag ist bereits ausgelöst – dem Kun- denwunsch zu, das Zeitfenster um 2 Monate zu verschieben. Der Kunde ruft am Ende des ver- schobenen Zeitfensters ab. Die Gesamtdurch- laufzeit des Auftrags verlängert sich im Ver- gleich zur ursprünglichen deterministischen Planung um 3,5 Monate. Ergebnis bei der stochastischen Mikro- als auch Makro-Sicht ist, dass sich durch Varianzen und Überbelastung Verschwendung ergibt. Insbe- sondere sind mehr Bestände (bzw. WIP: Work- in-Progress) entlang der Wertschöpfungskette vorhanden, als gemäß deterministischer Pla- nung vorgesehen. Fazit: Ver- und Aufschieben der Aufträge macht (Bestands-)fett! Darüber hinaus verzögert sich durch spätere Ausliefe- rung der Zahlungseingang. Beides erhöht das WoC und mindert den Cashflow. Während Maßnahmen zur Muda-Reduzierung im Rahmen von Lean-Management-Projekten üblich sind, wird die Betrachtung von Varianzen (Mura) und nachfolgender Überbelastung (Muri) nach Erfahrung des Autors regelmäßig ver- nachlässigt. Dabei ist derzeit bei nachlassender Auslastung der Betriebe verstärkt festzustellen, dass Kundenaufträge kurzfristig eingeplant, in- haltlich oder zeitlich verändert, Prioritäten bei Betriebsaufträgen verändert ... und dadurch Varianzen generiert werden. Ergebnis ist in aller Regel, dass das WoC – über alle Aufträge hin- Cashflow Autor Prof. Dr. Heinz-Jürgen Klepzig lehrte an der Hochschule Augsburg. Er war als Berater und Ge- schäftsführer in der Kienbaum-Unternehmensgruppe mit den Arbeitsschwerpunkten Effizienzverbesserung und Krisenma- nagement betraut. Zudem ist er langjähriges Mitglied im Fach- arbeitskreis „Working Capital Management“ des Internationalen Controller Vereins (ICV). E-Mail: hj.klepzig@t-online.de
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