CONTROLLER Magazin 1/2020

59 Unternehmenspraxis entwickelt. Trotz seines hohen Bekanntheitsgrades gibt es in der Fach- literatur noch keine allgemeingültige Definition. 5 Im Allgemeinen besteht in der Literatur Kon- sens darüber, dass es sich bei einem Shared Service Center um eine Organisationseinheit handelt, in der unterstützende Prozesse für in- terne und ggf. auch externe Kunden erbracht und durch eine gemeinsame Nutzung von Res- sourcen gebündelt werden. 6 Liegt hierbei der Fokus des SSCs auf der Kostenreduktion, emp- fiehlt es sich, einfache, repetitive Prozesse in das SSC zu verlagern (Center of Scale – CoS), und nach einem Standort mit einem relativ niedrigen Lohnkostenniveau zu suchen. Sollen hingegen komplexe Aufgaben, die eine ent- sprechende Expertise benötigen (Center of Ex- pertise – CoE) im Center bearbeitet werden, ist insbesondere die Qualifikation der Mitarbeiter ausschlaggebend. „ D ata will talk to you if you’re willing to listen.” (Jim Bergeson) Bei dem Begriff der Reporting Factory besteht unter den Experten ein Konsens darüber, dass es sich um eine spezifische Form des SSCs han- delt, welche als zentrale Einheit Tätigkeiten bün- delt, die für die Bereitstellung von Berichten not- wendig sind. Die Betrachtung als SSC begründen die Experten damit, dass die Reporting Factory zum einen interne Dienstleistungen für verschie- dene Unternehmensteile erbringt. Zum anderen ist ihr Aufbau ähnlich dem klassischen SSC, in- dem die Reporting Factory neben dem Aufbau durch ein Target Operating Model (TOM) auch Service Level Agreements als Steuerungsbe- standteile besitzt, was sie von einer Zentralabtei- lung unterscheidet. Einer der Experten merkt an, dass die Unternehmen in der Praxis bewusst den Begriff des CoE nicht mit einem SSC gleich- setzen möchten, um zu vermeiden, dass hiermit die Auslagerung ausschließlich transaktionaler Tätigkeiten sowie der Niedriglohnkostenbereich assoziiert werden. Relevanz der Reporting Factory jetzt und in Zukunft Die gegenwärtige Verbreitung von SSC im Allgemeinen schätzen alle Experten als sehr hoch ein. Insbesondere die IT und die Buch- haltung sehen sie als Bereiche, in denen sehr viele SSC vorzufinden sind. Einer der Theorie- experten merkt an, dass alle Unternehmen mit einem Umsatz von über 100 Mio. Euro in min- destens 80% der Fälle ein SSC besitzen. Ins- besondere für Konzerne, die Gesellschaften über verschiedene Länder verteilt haben und dadurch bestimmte Tätigkeiten parallel vollzie- hen, wird die Einführung eines SSC als sinnvoll erachtet. Die Studie ergab, dass 77% der be- fragten Unternehmen bereits ein SSC besitzen oder aktuell beim Aufbau eines solchen sind. Der überwiegende Teil dieser Unternehmen besitzt dabei ein SSC im Bereich des Accoun- tings und in der IT. Als Grund für den Aufbau wurde hauptsächlich die Kostenreduktion ge- nannt. Die jeweiligen SSC befinden sich bei der Mehrheit der befragten Unternehmen in Nied- riglohnländern. Dabei wurde Polen am häufigs- ten genannt. Im Vergleich hierzu gaben ledig- lich 23% der Befragten an, dass sie eine Re- porting Factory besitzen , die mit der Defini- tion innerhalb dieser Arbeit übereinstimmt. Auffällig ist, dass die Reporting Factory bei denjenigen Unternehmen vorhanden ist, die zuvor bereits ein SSC in einem anderen Be- reich – vornehmlich im Accounting – aufge- baut haben. Als Begründung auf die Frage, wa- rum es keine Reporting Factory gibt, antworte- te der überwiegende Teil, dass sich damit noch nicht explizit beschäftigt wurde. Ergo hat sich kein Unternehmen bewusst gegen eine Re- porting Factory entschieden. Von dem Begriff der Reporting Factory und deren Aufbau hatten lediglich 30% der Befragten – ohne Reporting Factory, eine klare Vorstellung. Der Eindruck, dass die Reporting Factory sich noch nicht mehrheitlich durchgesetzt hat, wird von den Experten aus der Theorie bestätigt. Der Hauptgrund für diese Entwicklung liegt dabei auf dem noch wenig stark durchdrungenen Effizienz- gedanken im Controlling. Dies beruht u. a. auf der Individualität des Reportings im Vergleich zum Accounting. Es existieren bspw. bei der Ausge- staltung des Reportings Präferenzen in den Un- ternehmen, die eine Standardisierung erschwe- ren. Einigkeit besteht darin, dass mit steigender Größe des Unternehmens auch die Relevanz und Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Einführung ei- ner Reporting Factory zunimmt, da die Prozesse Dimensionen annehmen, in denen eine Bünde- lung zu Effizienz- und Effektivitätsvorteilen führt. Hierbei spielen Größe, Komplexität und Organisa- tionsstruktur einer Unternehmung eine wesentli- che Rolle. Ein Experte sieht derzeit eine große Nachfrage der Factory bei Unternehmen mit über 1 Mrd. Euro Umsatz, wobei er die Nachfrage in der Bank- und Versicherungsbranche als noch „nicht so ausgeprägt“ einschätzt. In diesen Bran- chen steht der Effizienzgedanke im Reporting noch nicht im Vordergrund. Jedoch geht er davon aus, dass dieser im Zuge der Digitalisierung stark zunehmen wird, da – unabhängig von der Bran- che – jedes Unternehmen von der Digitalisierung betroffen ist und schnell sowie flexibel auf die Marktveränderungen reagieren muss. Hierfür hält er die Reporting Factory als prädestiniert. Self-Service Funktionalitäten sind bei 80% der befragten Unternehmen ohne Reporting Factory in geringem Umfang vorhanden. Die restlichen 20 % besitzen keine Self-Service Funktionalitäten. Derzeit planen ca. 50% davon einen intensiven Ausbau des Self-Service Ange- bots. Es gibt mehrheitlich eine höhere Anzahl an Standard- als an Ad-hoc-Berichten in Unter- nehmen ohne Reporting Factory. Lediglich in ei- nem Unternehmen ist das Verhältnis von Standard- und Ad-hoc-Berichten ausgegli- chen. Dieses Unternehmen hat als einziges eine eigene Abteilung, die ausschließlich für das Ma- nagement Reporting zuständig ist. Dazu zählt ebenfalls die inhaltliche Pflege des einheitlichen Reporting BI Systems im Unternehmen. 80% der befragten Unternehmen ohne Reporting Factory konnten sich am Ende des Interviews die Implementierung einer Reporting Factory künftig vorstellen – auch in der steigenden Da- tenmenge angesichts der Digitalisierung be- gründet. Der Großteil dieser Unternehmen ist derzeit jedoch mit Standardisierungs- und Har- monisierungstätigkeiten beschäftigt, welche zu- nächst abgeschlossen werden, bevor sie sich der Thematik der Reporting Factory zuwenden. Zukünftig sehen alle Experten im Zuge der Digitalisierung einen starken Wandel auf das Reporting zukommen. Die Mehrheit er- kennt eine stärkere Verbreitung von Self-Service Lösungen in Unternehmen sowie neue Mög- lichkeiten der Visualisierung im Reporting. Des Weiteren sehen die Experten einen posi- tiven Zusammenhang zwischen der Re- porting Factory und der Digitalisierung. Da CM Januar / Februar 2020

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==