CONTROLLER Magazin 1/2020
43 Durchschnittswerte fördern Fehleinschätzungen Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Sie halten die eine Hand auf eine kochend heiße Herdplatte und die andere Hand in eine Kältekammer mit -60°C. Was ist der Effekt? Die eine Hand ist verbrannt und die ande- re erfroren. Betrachtet man nun aber lediglich den Mittelwert, dann käme man zum Ergebnis, dass alles wunderbar sein müsse und man sich bei einer komfortablen Raumtemperatur von um die 20°C bewege. Mittelwertbetrachtungen in Form des arithmetischen Mittels sind häufig nicht nur falsch, sondern brandgefährlich! Denn dadurch werden Trend- brüche erst sehr spät erkannt und es kann nur mit deutlicher Zeitverzö- gerung hierauf reagiert werden. Außerdem suggeriert der errechnete Wert Exaktheit und Wahrheit, obwohl dies gar nicht der Realität ent- spricht, und fördert damit Fehleinschätzungen. Neben dem arithmeti- schen Mittel sind es insbesondere Erwartungswerte, Standardabwei- chungen und Varianzen beziehungsweise Kovarianzen im Falle mehr dimensionaler Verteilungen, die besonders anfällig sind. Viele dieser Werte basieren dann auch noch auf historischen Daten und blenden zu- künftige Entwicklungen vollständig aus. Natürlich sind Erwartungswerte eine zentrale Anforderung für viele Ent- scheidungen, etwa im Rahmen der Bewertung von erwarteten Cashflows. Allerdings wird die Risikoanalyse und eine notwendige Risikoadjustierung in Form von risikogerechter Diskontierung und einem Sicherheitsabschlag häufig nicht vorgenommen (vgl. Behringer/Gleißner 2018, Gleißner 2018b). Erwartungswerte sind also notwendig und hilfreich für die Risiko- steuerung, allerdings nur dann, wenn sie bestmöglich geschätzt und transparent hergeleitet sind, um eine risikoneutrale Bewertung zu ge- währleisten. Sicherlich ist es charakteristisch für ein Modell, dass verein- facht werden muss und dass jede Berechnung ihre Stärken und Schwä- chen hat. Unabhängig von den Modellen, Kennzahlen und Risikomaßen sollten aber in gesonderten Schulungen und Ergebnisdarstellungen in be- sonderem Maße auch die Grenzen des Konzepts dargelegt werden. Denn vielfach sind diese zwar dem Anwender (Fachbereich), nicht aber dem Entscheider (Management) bis ins letzte Detail und vollumfänglich be- kannt! Denn Daten allein sind nutzlos. Modelle und Kennzahlen sind im- mer nur so gut, wie die darauf basierenden Entscheidungen. Erst durch ihre Entscheidungsunterstützung gewinnen sie an Mehrwert! Isoliertes Paralleluniversum Silos sind per Definition „große Speicher“ und eignen sich deshalb her- vorragend zur Lagerung. Etwa in der Landwirtschaft. Wenn allerdings In- formationen und Daten „gelagert“ werden sollen, sind Silos denkbar un- geeignet! Speziell in großen Unternehmen mit mehreren Abteilungen und unterschiedlichen Systemen ist dies ein zentrales Problem. Nicht um- sonst hat sich im Bankenumfeld die Bankenaufsicht eingemischt und for- dert in den Vorgaben zur Risikodatenaggregation (BCBS 239), dass risi- korelevante Daten schnell und einheitlich aggregiert und ausgewertet werden müssen. Diese Anforderung ist allerdings eine Kernanforderung des Gesetzgebers an das Risikomanagement, um mögliche bestandge- fährdende Entwicklungen zu erkennen – völlig unabhängig von der Bran- che (vgl. auch DIIR 2018). Grundsätzlich lassen sich Daten- und Informationssilos unterscheiden. Während Informationssilos durch mangelnde Kommunikation der Mitar- beiter untereinander entstehen, entstehen Datensilos aufgrund von tech- nischen Hürden. In der Regel nutzen verschiedene Abteilungen unter- schiedliche Tools zur Kommunikation und zum Management von Daten. So ist das einfache Teilen von Informationen oder gemeinschaftliches Ar- beiten teilweise aufgrund inkompatibler Speicherformate und Schnittstel- len nicht möglich. Das Vernetzen von Wissen verschiedener Abteilungen gestaltet sich so äußerst schwierig, selbst wenn eigentlich bekannt ist, dass eine solche Vernetzung sinnvoll wäre. Für eine Schnittstellenfunktion, wie das Risikomanagement, sind sämtli- che Silos, sowohl Daten- als auch Informationssilos, ein absolutes No- Go. Auch das Risikomanagement darf sich nicht als „Buntstift-Abteilung“ verstehen, die nur schöne Diagramme erstellt und Kennzahlen errechnet. Viel wichtiger ist eine Weiterentwicklung zu einer ganzheitlichen Unter- nehmenssteuerung. Hierbei werden die Risiken unter anderem in der Pla- nung berücksichtigt und die klassische Unternehmenssteuerung wird zu einer wertorientierten Risikosteuerung ausgebaut. Achten Sie also be- sonders darauf, dass nicht nur die technischen Voraussetzungen vorhan- den sind, um Datensilos zu verhindern, sondern auch auf mögliche Infor- mationssilos. Interessenskonflikte innerhalb der Führungsebene, unter- schiedliche Abteilungsziele oder auch Wettkämpfe zwischen Geschäfts- bereichen sind allesamt nicht förderlich für den Abbau von Parallelstruk- turen und Silos. CM Januar / Februar 2020
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