CONTROLLER Magazin 1/2020
41 Anekdotischer Fehlschluss Der anekdotische Fehlschluss zeichnet sich dadurch aus, dass einzelne Erfahrungsberichte und Geschichten vom Hörensagen höher gewichtet werden als statistisch fundierte Berichte und Argumente. Er wird häufig als Gegensatz zur empirischen Evidenz (zum Beispiel empirische Feldstu- dien, (Labor-)Experimente et cetera) und zum Analogieschluss verwen- det. Anekdotische Evidenz hat folglich eine nur sehr schwache, argumen- tative Aussagekraft. Dieses auch als „Volvo-Irrtum“ in der Verhaltensökonomie bekannte Bei- spiel erlangte größere Bekanntheit durch ein Gedankenexperiment von Kahneman, Slovic und Tversky (1982, S.112-113), die den Entschei- dungsprozess eines Autokäufers darstellten. Aufgrund der Kriterien Langlebigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit entscheidet er sich nun zwischen einem Saab und einem Volvo. Die gängigen Autozeitschriften sehen dabei in ihren Berichten und Studien die Volvo-Fahrzeuge als tech- nisch zuverlässiger und wirtschaftlicher an. Auf einer Cocktailparty wird der Autokäufer allerdings durch die Ge- schichte eines Bekannten umgestimmt, der ihm darlegt, wie ent- täuscht sein Schwager von eben diesen Volvo-Fahrzeugen wäre. Und so wird die Wahrscheinlichkeit lediglich anhand einer Anekdote plötz- lich höher gewichtet als durch die Lektüre der Autozeitschriften (deren Richtigkeit vorausgesetzt) die Erfahrungswerte einer Vielzahl von Nut- zern und Experten. Anekdoten sollten deshalb niemals ungefiltert übernommen werden, sondern vielmehr als Startschuss für nachfolgende, kritische Prüfun- gen oder auch für Szenarioanalysen und Stresstests dienen, bei de- nen plausibel mögliche, eher seltene, unternehmensgefährdende Si- tuationen simuliert werden. Ziel ist es, einerseits die Eintrittswahr- scheinlichkeit hierfür abzuschätzen und andererseits insbesondere Gegenmaßnahmen zu erarbeiten, damit ein solcher Extremfall gar nicht erst eintreten kann. Wenn Sie sich im Bankenumfeld umhören, kann Ihnen fast jeder Risiko- manager die entsprechenden Alpha-Fehler, häufig auch noch unterteilt nach Ratingklassen et cetera, nennen. Auf einen Einjahreszeitraum bezo- gen, entspricht der Alpha-Fehler typischerweise der Probability of Default (PD), also der Ausfallwahrscheinlichkeit. Der Alpha-Fehler (oder Fehler ersten Grades) wird immer rückblickend ermittelt, indem ein getätigtes Engagement dahingehend geprüft wird, ob es die Erwartungen erfüllt hat. Natürlich mag man kritisch anmerken, dass es hierüber im Nachhinein niemals Zweifel gibt, denn hinterher ist bekanntlich jeder ein Prophet gewesen. Bei der Ermittlung des Beta-Fehlers wird geprüft, wie hoch die Ableh- nung von „guten Geschäften“ war, das heißt, wie viele Kunden sind auch heute noch nicht insolvent und hätten zu positiven Renditen bei- getragen, wenn man das ursprünglich angefragte Geschäft genehmigt hätte? Sein Ziel ist es, eine Opportunitätskostensicht einzunehmen. Das heißt, dass der Erfolg des Risikomanagements eben nicht nur an- hand der genehmigten Engagements, sondern auch anhand der abge- lehnten Engagements bewertet wird. Denn eine reine Minimierung oder der vollständige Ausschluss von Risiken wird auf Dauer nicht funktionieren. Vielmehr geht es darum, Risiken in einem angemesse- nen Umfang einzugehen und diese bewusst zu steuern und zu beprei- sen (vgl. Zhou 2005). Nur wenn Sie beide Größen, sowohl den Alpha- als auch den Beta- Fehler, angemessen berücksichtigen, können Sie nachhaltig erfolg- reich sein! Denn nicht umsonst heißt es rückblickend häufig: „Die größten Fehler werden im Erfolg gemacht.“ Häufig werden gerade in wirtschaftlich guten Zeiten die Risiken ausgeblendet und zu viele Ri- siken ins Buch genommen. In wirtschaftlich schlechten Zeiten hinge- gen sind die Unternehmen häufig übervorsichtig und verlieren da- durch schnell jahrelange Kunden oder verpassen es zumindest, die Kundenbeziehung weiter zu festigen, indem auch in schlechten Zeiten zum Kunden gestanden wird, auch wenn sich der Wettbewerb schon längst zurückgezogen hat. CM Januar / Februar 2020
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