CONTROLLER Magazin 1/2020

40 ist es ungewiss, welche Richtung sie als nächstes einschlägt und welche Entfernung sie für den Heimweg genau zurücklegt. Die Gesamtstrecke setzt sich aus mehreren Teilschritten zusammen, die allesamt hinsicht- lich Richtung und Länge zufällig und vom vorherigen Schritt unabhängig und damit ungewiss sind. Sicherlich gibt es berechtigte Einsatzgebiete des Random Walks und auch der Monte-Carlo-Simulation. Gerade bei der Identifikation von be- standsgefährdenden Entwicklungen aus Kombinationseffekten von Ein- zelrisiken ist die Monte-Carlo-Simulation nahezu alternativlos (vgl. Gleißner 2016 und 2018a). Gleichzeitig sollten diese Tools aber kritisch geprüft und ausgewählt wer- den. Denn in der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass sie fast schon inflationär beziehungsweise nicht adäquat verwendet werden. Auch in Fällen, in denen man mit etwas Mühe sehr wohl analytische Lö- sungen gefunden hätte. Denn die Kausalität sollte im Mittelpunkt stehen anstatt einer halbgaren Mathematisierung der Zukunft. Wenn nicht alle analytischen Mittel und Möglichkeiten der Kausalität ausgeschöpft wer- den, sind schlechte Ergebnisse vorprogrammiert. Außerdem – und dies wird häufig unterschätzt – erfordert die zielgerichtete Verwendung von Random Walk und Monte-Carlo-Simulation ja bereits vorab eine sehr umfangreiche Bewertung und ein gutes Verständnis der Situation. Nur in Situationen, die sich nicht analytisch lösen lassen – also in absoluten Ausnahmesituationen – macht deren Einsatz Sinn. Und nicht, wenn es lediglich weniger aufwendig erscheint. Wenn die Kausalität außer Acht gelassen wird, werden typischerweise lediglich Normalverteilungsannahmen und Durchschnittswerte in be- sonderem Maße berücksichtigt. Speziell für die Bewertung von Krisen- situationen ist dies aber höchst problematisch. Nur um dies nochmals klarzustellen: das Problem ist nicht die Mathematik. Die Mathemati­ sierung ist insbesondere für die objektive Darstellung und Bewertung von Risiken und Wahrscheinlichkeiten eine zwingende Voraussetzung, quasi die „Sprache des Risikos“. Vielmehr ist es aber die fehlerhafte Anwendung der mathematischen Instrumente, die zu Problemen führt (vgl. Sinn 1980). Alpha- und Beta-Fehler Wann ist das Risikomanagement besonders erfolgreich? Jetzt werden die meisten wahrscheinlich intuitiv antworten: „Na dann, wenn es mög- lichst wenige Ausfälle von Kunden und deren Engagements gibt.“ Das heißt, die Hauptaufgabe des Risikomanagements ist es, die Risiken mög- lichst gering zu halten. Der Alpha-Fehler setzt im Risikomanagement genau an dieser Sichtweise an, indem er den Anteil der Engagements ermittelt, die im Betrachtungszeitraum ausgefallen sind und diesen ins Verhältnis zur Gesamtanzahl der Engagements setzt. Man könnte also sagen, er ermittelt den Anteil an „schlechten Geschäften“, die trotzdem genehmigt beziehungsweise eingegangen wurden und anschließend zu Ausfällen geführt haben. Das Beispiel verdeutlicht, dass aus einer endlichen und damit unvollkom- menen Menge bekannter Beobachtungen niemals auf die allgemeine Gül- tigkeit des scheinbar erkennbaren Sachverhalts geschlossen werden darf (vgl. Gleißner, Papenbrock 2012). Es bleibt also immer ein gewisses „Rest- risiko“ bestehen. Speziell wenn man berücksichtigt, dass die Wirklichkeit eben nicht immer ein Idealbild der Vergangenheit darstellt, sondern viel- fach chaotisch, überraschend und unberechenbar ist (vgl. Romeike 2010, S.10). Natürlich ist immer auch zu berücksichtigen, welche Daten vorliegen und welches dann die bestmögliche Schlussfolgerung hieraus ist. Problematisch wird es immer dann, wenn die Zukunft, zum Beispiel bei vielen Szenarioanalysen, anhand von Vergangenheitsdaten vorhergesagt werden soll und schwarze Schwäne hierdurch völlig unberücksichtigt bleiben. Dies gilt allgemein für sämtliche induktiven Modelle, die von end- lichen Vergangenheitsdaten auf die Zukunft schließen möchten. Als eines der anschaulichsten Beispiele eines schwarzen Schwans der jüngeren Vergangenheit mit besonders dramatischem Ausmaß kann der Nieder- gang von Lehman Brothers herangezogen werden. „Mittwoch war die Sorte Tag, an den sich die Leute noch lange erinnern werden. Ereignisse, die wir mit einer Wahrscheinlichkeit von einmal in zehntausend Jahren kalkuliert haben, traten drei Tage lang jeden Tag ein.“ [Matthew Rodman, Manager bei Lehman Brothers] Beim Einsatz von Modellen sollten Sie sich immer kritisch fragen, wie be- lastbar dieses Modell ist beziehungsweise ob es nicht auch andere Ent- wicklungen geben kann, die nicht vom Modell prognostiziert wurden. Der Entscheider sollte immer die zur Verfügung stehenden Informationen und Einflussfaktoren transparent vorliegen haben. Außerdem muss geklärt werden, ob der unterstellte Zeitraum wirklich repräsentativ ist oder ob es sich lediglich um ein „Schönwetter-Modell“ handelt. Auch Kreativitäts- techniken können sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, weitere – plausibel mögliche – Entwicklungen und Ursache-Wirkungszusammen- hänge zu identifizieren und im Entscheidungsprozess abzubilden. Die Welt als „Random Walk“? In Anlehnung an eine Parabel von Michael Murray gleicht der Random Walk dem Weg einer Betrunkenen und ihrem Hund. Auf ihrem Heimweg Risiko im Management

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