CONTROLLER Magazin 1/2020
39 Spätestens die Finanzmarktkrise oder andere Extremereignisse haben gezeigt, dass ein lediglich auf historischen Daten basierendes Risikoma- nagement nicht effektiv funktionieren kann. Denn historische Daten sind nur dann angemessen, wenn die Vergangenheit repräsentativ für die Zu- kunft ist oder wenn keine besseren Daten verfügbar sind. Gerade der letzte Punkt wird allerdings in der Praxis häufig vorschnell unterstellt. Insbesondere Innovationen und geänderte Rahmenparameter führen näm- lich dazu, dass sich ehemals als stabil angenommene Sachverhalte teil- weise komplett ändern können. Auch häufig unterstellte Korrelationen und Wechselwirkungseffekte brechen speziell in Krisensituationen auf oder än- dern sich komplett. Deshalb sind dynamische und stochastische Simula tionsansätze ein zentraler Bestandteil des modernen Risikomanagements. Neben Szenarioanalysen und sonstigen Simulationen zur Krisenanfällig- keit sollte auch eine regelmäßige Überprüfung der Risikostrategie, auch im Falle von Produktinnovationen und Änderungen wesentlicher Märkte, Strukturen und Ressourcen vorgenommen werden. Insbesondere im Fal- le von Innovationen sollten die Risiken stets im Auge behalten werden. Sofern die Risiken nicht abgeschätzt werden können, ist es in vielen Fäl- len ratsam, zusätzliche Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen oder im Extremfall Abstand von den Neuerungen zu nehmen. Um sich von den historischen Daten lösen zu können, ist ein ganzheitliches Verständnis der Risikolage notwendig. Folglich bedarf es unter anderem eines grundlegenden Verständnisses über die Gefährdungssituation und die jeweilige Eintrittswahrscheinlichkeit ausgewählter Risikofaktoren und -situationen. Narrative Täuschung Getreu des Kinderbuch-Klassikers „Pippi Langstrumpf“ heißt es häufig auch im Berufsalltag: „Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt!“ Wer kennt das nicht: Erzählungen über den eigentlich gleichen Sachver- halt hören sich sehr unterschiedlich an, je nachdem, wen man dazu be- fragt. Seien es Fußballfans zweier unterschiedlicher Mannschaften, sei es aus Sicht der Finanzabteilung oder des Vertriebs oder aus Sicht des Chefs und des Mitarbeiters. Speziell bei Managemententscheidungen ist es nicht nur störend, son- dern brandgefährlich, wenn nachträglich eine Erzählung oder gar eine „Legende“ geschaffen wird, um einem Ereignis einen erkennbaren Grund zu verleihen. Denn dadurch entsteht sehr schnell der Eindruck, dass alles geordnet und verständlich ist und die Zukunft wunderbar vorhergesagt werden kann. Da Hypothesen im Management häufig eher weniger sorgsam oder gar nicht mehr empirisch geprüft werden, sollten speziell bei der Darstellung von reinen Fakten auch auf den Zusammenhang geachtet und genügend Hintergrundinformationen geliefert werden. Dadurch lässt sich der poten- zielle Nährboden der narrativen Täuschung deutlich reduzieren. Um zu verhindern, dass die Vergangenheit im Geschäftsumfeld allzu sehr „verklärt“ wird, kommt dem Berichtswesen eine sehr zentrale Be- deutung zu. Bei besonders wichtigen Entscheidungen schwören nicht wenige Entscheider auf eine Art „Tagebuch“, in das die wichtigsten Ge- dankengänge, Prämissen und Steuerungsalternativen geschrieben werden. Dies ist zwar sehr zeitaufwendig und häufig „lästig“, ermöglicht aber eine sehr gute Reflektion und Rekonstruktion der Entscheidungs- grundlage – auch noch Jahre oder gar Jahrzehnte später. Problem der Induktion Die Schwierigkeit der Induktion ist ein bekanntes Grundproblem der Er- kenntnistheorie und beschäftigt sich mit der Frage, ob und wann ein Schluss durch die sogenannte Induktion von Einzelfällen auf ein allge- meingültiges Gesetz zulässig ist. Es kann im folgenden Beispiel auch sehr anschaulich auf die Frage verengt werden, ob der Mensch nun der beste Freund des Truthahns ist, oder nicht: „Dem Truthahn geht es gut. 1.000 Tage lang füttert ihn der Mensch und jeden Tag steigt seine Zuversicht, dass der Mensch ihm Gutes will und dafür sorgt, dass es ihm weiter jeden Tag besser geht. Dann, am 1.001. Tag (Thanksgiving-Fest) geschieht etwas völlig Unerwartetes: Der Trut- hahn wird geschlachtet und sein Wohlbefinden stürzt in den Keller“ (vgl. Taleb 2011, S.61). CM Januar / Februar 2020
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