CONTROLLER Magazin 3/2020

80 cenförderung und -ausnutzung (engl.: Oppor- tunity Enablement, OE). Diese Teilwerte müs- sen beim technischen Änderungsmanagement in einen Kontext gebracht werden. Der Busi- ness Value ist einerseits monetär als auch nicht monetär zu betrachten. Beispielsweise ist zu beantworten, inwiefern die Änderung durch zwingende oder wirtschaftliche Gründe motiviert ist. Hat die Änderungsumsetzung eine direkte Steigerung der Kundenzufrieden- heit zur Folge? Die Zeitkritikalität bedeutet in diesem Zusammenhang, wie stark sich der Business Value über die Zeit verringert. Der Teilwert der Risikominimierung und Chan- cennutzung spiegelt wider, ob die Ände- rungsumsetzung zur Risikominimierung bei- trägt oder sich dadurch neue Chancen zur Ge- schäftsentwicklung ergeben. Die endgültigen Aufwände einer Änderung sind zum Zeitpunkt der Änderungsbewertung häufig noch nicht bekannt, sodass der Aufwand relativ zueinander bewertet werden muss. Der Ände- rungsaufwand wird anhand von Kriterien be- stimmt, die besonderen Einfluss auf die Kom- plexität der Änderung haben: · Änderungsinhalt: Wie hoch ist die Komplexi- tät der Änderung? Handelt es sich um eine rein administrative Änderung oder gibt es Auswirkungen auf die Produktion? · Änderungszeitpunkt: In welchem Abschnitt des Produktlebenszyklus tritt die Änderung auf? Bezieht sich die Änderung auf Produkte in Entwicklung oder der Serienproduktion? · Betroffenheit von Zulieferern: Sind durch die Änderung, direkt oder indirekt, Zulieferer be- troffen und müssen involviert werden? · Ausbreitungswahrscheinlichkeit der Ände- rung: Wie hoch ist die Ausbreitungswahr- scheinlichkeit der Änderung? Führt die Ände- rung gegebenenfalls zu Folgeänderungen? · Neuheitsgrad der Änderung: Wie hoch ist der Neuheitsgrad der Änderung? Gab es in der Vergangenheit schon ähnliche Änderungsan- träge und dadurch gegebenenfalls Lernef- fekte bei der Änderungsumsetzung? · Opportunitätskosten: Wie hoch ist das (tech- nische) Risiko bei Nicht-Implementierung der Änderung und die damit verbundenen Op- portunitätskosten? Als drittes Kriterium der Änderungsbewertung wird die Abhängigkeit zu anderen Änderungen gen auf das Management und die Priorisie- rung technischer Änderungen. Konzeptüberblick Die Adaption agiler Artefakte und Techniken auf technisches Änderungsmanagement ist vielver- sprechend. Das hier vorgeschlagene Konzept soll dabei unterstützen, Entscheidungsfin- dungsinstanzen effizienter zu gestalten, um da- mit auf aktuelle Herausforderungen im Ände- rungsmanagement zu reagieren. Es basiert auf der Entwicklung eines Backlog- Modells für technische Änderungen sowie der Definition relevanter Kriterien der Änderungs- bewertung, welche die Priorisierung innerhalb des Backlogs ermöglichen. Die WSJF Methode ( W eighted S hortest J ob F irst) wird als geeig- netste Priorisierungstechnik für technische Än- derungen angesehen und zur Anwendung im Kontext des technischen Änderungsmanage- ments angepasst. Kriterien zur Änderungsbewertung Die Priorität einer Änderung hängt von deren Bewertung ab. Die Bewertungskriterien sind: · Verzögerungskosten · Aufwand der Änderungsrealisierung · Einfluss auf Änderungsabhängigkeiten Die Änderungsbewertung anhand dieser Krite- rien kann größtenteils nur subjektiv stattfinden. Daher geht es nicht um die Ermittlung eines endgültigen Wertes, sondern um die Relation der Änderungen zueinander. Verzögerungskos- ten (engl. Cost of Delay, CoD) beschreiben die wirtschaftlichen Auswirkungen einer verzöger- ten Änderungsumsetzung. Im Scaled Agile Framework werden sie aus der Summe ver- schiedener Teilwerte berechnet: 5 CoD = BV + TC + RR + OE (1) Formel 1: Berechnung der Verzögerungskosten Wie in Formel 1 dargestellt, gehören dazu der Business Value (BV), die Zeitkritikalität (engl.: Time Criticality, TC), die Risikominimierung (engl.: Risk Reduction, RR) sowie die Chan- zum Aufbau und zur Priorisierung eines agilen Änderungsbacklogs im technischen Ände- rungsmanagement vor. Handlungsbedarf zum Management des Änderungseingangs Die hohen Kosten einer Änderungsimplemen- tierung fordern ein kritisches Hinterfragen von vorgeschlagenen oder angefragten Änderun- gen. Es gilt unnötige Änderungen zu vermei- den. Sind notwendige Ressourcen mit der Be- arbeitung unnötiger oder gering priorisierter Änderungen gebunden, läuft ein Unternehmen Gefahr, gewinnsteigernde oder kritische Ände- rungen deutlich verspätet umzusetzen. Die ent- stehenden Warteschlangen können ökono- misch einen großen Schaden anrichten. Die Im- plementierungsreihenfolge von Änderungen ist ein Schlüsselfaktor. Je besser der Änderungs- eingang über ein Priorisierungskonzept gesteu- ert wird, desto geringer ist das Risiko, eine aus ökonomischer Sicht kritische Warteschlange an Änderungen aufzubauen. „D ie Implementierungsreihenfolge von Änderungen ist ein Schlüsselfaktor.“ Die klassischen, starren Änderungsprozesse kommen vor allem durch veränderte Rahmen- bedingungen wie kürzere Entwicklungszeiten und einen Anstieg an technischen Änderungen an ihre Grenzen. Die gängigen Instanzen wie das Entscheidungsgremium werden zum Eng- pass im klassischen Änderungsprozess. Eine schnelle, transparente Änderungsentscheidung ist häufig nicht sichergestellt. Trotz erster Publikationen zur Anwendung agi- ler Techniken aus der Softwareentwicklung im Rahmen des technischen Änderungsmanage- ments, sind eine praktische Anwendung und ein ganzheitlicher agiler Ansatz momentan noch nicht gegeben. Agile Arbeitsweisen aus der Softwareentwicklung auf die Entwicklung physischer Produkte zu applizieren, ist her- ausfordernd. Zudem setzt agiles Änderungs- management ein priorisiertes Änderungs- backlog voraus. Egal ob ein klassischer oder agiler Änderungsprozess eingesetzt wird, es besteht ein deutlicher Handlungsbedarf bezo- Änderungsbacklog

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