CONTROLLER Magazin 3/2020

51 und Praxis sehe als ggf. bei anderen Teil- disziplinen der BWL . Die Ansätze von Univer- sitäten und anderen Hochschulen unterschei- den sich etwas weniger stark als bspw. in den Bereichen Marketing oder Finance. Hinzu kommt sicherlich, dass uns im Rahmen der Diskussion mit Praktikern noch immer hilft, dass unsere Konzepte im Kern deutsche Kon- zepte wie z. B. die Kostenrechnung und die De- ckungsbeitragsrechnung sind und deswegen sowohl Großunternehmen als auch mittelstän- dische Unternehmen häufig weniger „Überset- zungsprobleme“ im Vergleich zu Anglizismen und angloamerikanischen Konzepten haben. Biel: Angesichts der Globalisierung und Inter- nationalisierung nehmen internationale Einflüs- se, insbesondere die Bedeutung angloamerika- nischer Konzepte zu. Was bedeutet dies? Ulrich: Dies bedeutet, dass teilweise leider unkritisch, teilweise zumindest nach einer in- tensiven Diskussion im Unternehmen anglo- amerikanische Konzepte übernommen werden. Beispiele wären hier die Diskussion um wertori- entierte Kennzahlen (von denen viele im Kern dem deutschen Residualgewinn entsprechen), Incentive-Strukturen sowie die Digitalisierung. Im letzten Kontext ist bspw. die Debatte um die Steuerung mit OKR (Objectives and Key Re- sults) anzuführen, bei der es ja nicht nur um die Veränderung von Kennzahlen und Reporting- strukturen, sondern letztlich um die Überarbei- tung der gesamten Führungsphilosophie von Unternehmen geht. Biel: Sie sind mit dem Austausch Wissenschaft/ Praxis zufrieden? Ulrich: Ja, bisher habe ich die Diskussion zwi- schen Theorie und Praxis im Controlling als sehr fruchtbar empfunden, das zeigen auch viele Projekte in der Aus- und Weiterbildung, in denen sowohl Universitätsprofessorinnen/-pro- fessoren als auch Kolleginnen/Kollegen von HAWs und anderen Hochschultypen aktiv sind. Als Beispiel für den Austausch könnte man ja auch den AKC (Arbeitskreis von Controlling- Professoren an HAW) nennen (siehe Seite 44- 45), in dem über aktuelle Themen in Control- ling-Forschung und -Praxis diskutiert wird und in den stets Kollegen von Universitäten und Unternehmenspraktiker eingeladen werden. Biel: Unser Thema beruht auf dem Gedanken einer stärkeren Verzahnung von Theorie und Praxis. Bevor wir in die Tiefe gehen, lassen Sie uns bitte fragen, sehen Sie überhaupt die Not- wendigkeit und auch das Potenzial, im Control- ling Theorie und Praxis enger zu verknüpfen? Baltzer/Ulrich: Deckungsgleich können Wis- senschaft und Praxis natürlich nie sein, aber die Notwendigkeit einer engen Verzah- nung ist aus Sicht der Wissenschaft uner- lässlich . Und dabei gibt es sicherlich auch noch hinreichend Luft nach oben. Nehmen wir die aktuell wohl drängendste Frage der Unter- nehmenspraxis, die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf das Controlling und auch auf die Controller selbst. Die Unternehmen müssen die Auswirkungen erkennen und sich darauf einstellen, und dabei kann die Wissen- schaft unterstützen. Gleichzeitig muss sich die Wissenschaft fragen, wie sich die Kompe- tenzanforderungen an die Controller verän- dern und wie diese neuen bzw. veränderten Kompetenzen im Hochschulstudium aufge- baut werden können. Biel: Bitte lassen Sie uns nun verschiedene As- pekte betrachten, wie Sachkenntnisse, viel- leicht auch Sachverstand, übertragen und aus- getauscht werden könnten. Verschiedentlich wird die mangelnde Berücksichtigung prakti- scher Problemstellungen durch die Wissen- schaft bzw. Hochschulen, Universitäten usw. beklagt. Können Sie diese Kritik nachvollzie- hen? Wie könnte es der Controlling-Wissen- schaft gelingen, praxisrelevante Fragen treff­ sicherer aufzunehmen und wirkungsvoller an den Fragen und Problemen der Praxis zu arbeiten? Baltzer/Ulrich: Aus historischer Sicht ist diese Kritik sicherlich aus verschiedenen Gründen gut nachvollziehbar. 1. Erstens musste die Controlling-Wissenschaft ja erst einmal grundsätzlich gegenüber der Praxis aufholen und sich ihre Strukturen und Prozesse schaffen. 2. Zweitens beschäftigte sich die Controlling- Wissenschaft dann eine ganze Weile lang in- tensiv mit der Frage, was eigentlich unter Controlling zu verstehen sei . Das ist aus wissenschaftlicher Sicht eine völlig normale und durchaus sinnvolle Frage, hat aber die Praxis eher weniger interessiert. 3. Und drittens hat es lange gedauert, bis sich die Controlling-Wissenschaft im deutsch- sprachigen Raum der internationalen Com- munity und den dort diskutierten Fragestel- lungen zugewandt hat. Hier hinken wir auch anderen Disziplinen wie z. B. dem Marketing noch immer hinterher. Alle drei Gründe können nun allerdings als weit- gehend überwunden gelten. Die Wissenschaft kann nur an Fragen und Problemen der Praxis arbeiten, wenn sie diese kennt und vor allem erkennt. Die wichtigste Voraussetzung als Wis- senschaftler ist es daher, sich der Praxis aus- zusetzen . Dies kann auf vielfältige Art und Weise geschehen: Praxisprojekte in die Lehre integrieren, praxisorientierte Abschlussarbeiten betreuen, Praktiker zu Vorträgen einladen, an den Arbeitskreisen und Tagungen des ICV teilnehmen , eigene Veranstaltungen ausrich- ten und vieles mehr. Biel: Andererseits geht es des Öfteren auch um die vermeintlich oder vielleicht auch tatsächlich mangelnde, begrenzte Wahrnehmung neuer theoretischer Erkenntnisse durch Controllerin- nen und Controller in der Praxis. Welche Beob- achtungen haben Sie? Sehen Sie Ansätze, An- reize für die Praxis zu schaffen, sich stärker dem theoretischen Fortschritt zu öffnen? Baltzer/Ulrich: Es ist ja kein Spezifikum des Controllings, dass die Verbreitung neuer Er- kenntnisse nicht von heute auf morgen er- folgt, sondern Zeit benötigt. Insofern kann man die Rezeption konkreter neuer wissenschaftli- cher Erkenntnisse erst im Zeitverlauf beurtei- len. Dabei dauert es eine gewisse Zeit, bis sich neue Erkenntnisse in der Wissenschaft ver- breiten. Und bis sie sich dann in der Unterneh- menspraxis durchgesetzt haben, dauert es meist noch sehr viel länger. Die Wahrnehmung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Praxis kann allerdings auch gefördert wer- den, und hier ist es unserer Meinung nach wichtig, dass sich die Wissenschaft nicht auf den Standpunkt der Holschuld der Praxis zu- rückzieht, sondern auch eine Bringschuld sieht . Neben den gerade beschriebenen Mög- lichkeiten der Kontaktpflege mit der Praxis ist hier die wichtigste Maßnahme sicherlich die praxisgerechte Kommunikation der wissen- schaftlichen Erkenntnisse. Hierfür eignet sich CM Mai / Juni 2020

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