CONTROLLER Magazin 3/2020
104 Internationaler Controller Verein eV Welche Möglichkeiten zur Krisenbewältigung gibt es? Prof. Dr. Ronald Gleich, Leiter der ICV-Ide- enwerkstatt, sprach mit der „Wirtschafts- zeitung“ über die Möglichkeiten zur Kri- senerkennung und -bewältigung sowie den wertvollen Expertenaustausch mit Unter- nehmen und Beratern. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags geben wir das am 19. März erstmals erschienene Inter- view hier wieder. Herr Professor Gleich, die Krisenerkennung spielt eine wichtige Rolle in der Bewälti- gung einer Krise. Welche Indikatoren gibt es? Prof. Dr. Ronald Gleich: Zunächst einmal allge- meine Indikatoren wie den ifo-Geschäftsklimain- dex. Wenn man das Ganze segmentspezifischer und gewisse Industrien betrachtet, wird auch der PMI, der Purchase Manager Index, als Früh- warnindikator verwendet. Denkt man an den Maschinen- und Anlagenbau oder auch an die Automobilbranche, wo ein großer Teil der Wert- schöpfung zugekauft wird, kann man sich auch vorstellen, dass der PMI ein qualitativ hochwer- tiger Indikator ist. Wir hatten mit der ICV-Ideen- werkstatt unlängst Gespräche mit Vertretern der Unternehmen Trumpf, Kärcher und Wittenstein, deren anwesende Controllingexperten den PMI als wichtigen Indikator ansehen. Welche Möglichkeiten zur Krisenbewälti- gung gibt es? Prof. Dr. Ronald Gleich: Es gibt Maßnahmen zur Kriseneindämmung und – ganz radikal ge- dacht, falls eine Krise nicht zu bewältigen ist – die Option, ein Unternehmen abzuwickeln und wieder neu zu starten. Bei der Kriseneindäm- mung gibt es drei Szenarien. Es ist relativ ein- fach, Maßnahmen abzuleiten, wenn das Unter- nehmen eine Gewinnkrise hat. Angenommen, der Umsatz bricht um 15 Prozent ein. Hier kön- nen Kostenreduzierungen, Investitionsverzöge- rungen oder der Abbau von Zeitarbeitskräften entgegenwirken. Die zweite Stufe, die Liquidi- tätskrise, ist dann schon deutlich schwieriger zu beheben. Wann spricht man von einer Liquiditäts- krise? Prof. Dr. Ronald Gleich: In der produzierenden Industrie gilt die Faustregel, dass man bei einem Umsatzrückgang von 20 bis 30 Prozent schnell in eine Cash-Krise kommt. Dementspre- chend tief muss auch die Problembehandlung gehen und man muss – neben den Maßnahmen der ersten Stufe – viele Dinge grundsätzlich in Frage stellen, also beispielsweise Geschäfts- teile aufgeben, Kurzarbeitsmöglichkeiten auslo- ten, Arbeitszeitkonten abbauen, Schulungsmaß nahmen und Investitionen verschieben oder prinzipiell operative Risiken minimieren. Bei Stufe drei kommt es noch schlimmer? Prof. Dr. Ronald Gleich: Zum Glück gibt es da bei uns noch relativ wenige Fälle. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es nächstes Jahr auch in diesen Bereich durchschlägt, beispielsweise im Maschinen- und Anlagenbau. Das Coronavirus ist mit seinen Auswirkungen auf die Wirtschaft ein Brandbeschleuniger. Wenn in China nichts oder deutlich weniger mehr produziert wird, werden auch weniger Investitionsgüter benötigt. Das zieht einen Rattenschwanz an Problemen nach sich, deren Auswirkungen bei uns viel- leicht 2021 oder sogar erst 2022 ankommen. Bei etwa 40 Prozent Umsatzrückgang spricht man von einer existenziellen Krise. In solchen Fällen ist das Krisenmanagement sehr schwie- rig und die erste Aufgabe des Managements und auch der Controller ist, überhaupt erst ein- mal die Liquidität sicherzustellen. Welche Rolle spielt Ihrer Einschätzung nach bei dem jeweiligen Maßnahmen katalog die Dauer der Krise? Prof. Dr. Ronald Gleich: Eine ganz zentrale. Es stellt sich immer die Frage, ob es sich um eine langanhaltende Krise handelt oder ob sich Licht am Horizont abzeichnet und nach einigen Mona- ten das Schlimmste überstanden ist. Bei der Wirtschaftskrise 2008/2009 hatten wir den Fall, dass in vielen Industrien nach etwa einem Jahr beinahe alles überstanden war. Ent- scheidend ist für Controller, sich potenzielle Kri- sen vorab zu überlegen und gedanklich durch- zuspielen. Dazu gehören die angesprochenen Indikatoren zur Krisenerkennung und auch Umsetzungspläne für das Krisenmanagement bestimmter Szenarien wie etwa einer Liquidi- tätskrise. Da muss ich als Controller oder Mana- ger wissen, was ich anstoße. Denn wenn ich bereits in einer Krise stecke und dann erst Arbeitskreise bilden und Initiativen starten muss, dann ist es meist zu spät. Unter dem Druck der Krise könnte also die Qualität der zu treffenden Entscheidungen leiden? Prof. Dr. Ronald Gleich: Absolut. Man steckt dann so tief im Krisenmodus, dass der klare Blick fehlt, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen und welche auch tatsächlich sinnvoll sind. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn man sich die jeweiligen Handlungsstrategien in einer Schönwetterphase des Unternehmens zurecht- legt und sich prophylaktisch in ein Krisenszena- rio hineindenkt, die Chance viel größer ist, dass etwas Vernünftiges an Ideen für Gegenmaßnah- men rauskommt. Sicherlich wird man im Fall der Fälle ad hoc noch einige Ideen haben und auch brauchen, aber ich bin ein großer Freund von Schubladenplänen. Können Sie hier ein Beispiel aus der Praxis nennen? Foto: Andreas Mann Fotografie Prof. Dr. Ronald Gleich
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