CONTROLLER Magazin 2/2020
97 Liebe Leserinnen und Leser, die gesetzliche Kernaufgabe des Risikofrüher- kennungssystems besteht darin, mögliche „bestandsgefährdende Entwicklungen“ im Sinne §91 AktG früh zu erkennen. Bei börsen- notierten Gesellschaften ist das Risikofrüher- kennungssystem regelmäßig Bestandteil der Abschlussprüfung. Die Wirtschaftsprüfer orien- tieren sich dabei am IDW Prüfungsstandard 340, der gerade aktualisiert wird (der IDW EPS 340 liegt seit September 2019 vor). Leider zeigen Studien und ein Blick in die Praxis der Unternehmen, dass viele Risikomanagement- systeme gravierende methodische Defizite aufweisen, obwohl der Abschlussprüfer einen „uneingeschränkten Bestätigungsvermerk“ erteilt hat (solche Defizite zeigen auch Befr - gungen zum Reifegrad des Risikomanage- ments, siehe auch Brandstätter/Schwaiger: ERM-Maturity Assessement (ERMMA): Definition von ERM-Best-Practice-Reife raden und deren Messung in Unternehmen in dieser Ausgabe des Controller Magazins S. 73). Die meisten dieser Defizite werden nur deshalb nicht „auffällig“, weil die unübersehbare ext- remste Form einer „bestandsgefährdenden Entwicklung“, die Insolvenz, zumindest bei den großen AGs selten ist, insbesondere, wenn es keine Wirtschaftskrise gibt. Und die Einbezie- hung des Risikomanagements bei der Vorberei- www.rma-ev.org CM März / April 2020 tung „unternehmerischer Entscheidungen“ (§93 AktG) wird bisher noch wenig betrachtet (was sich durch COSO ERM von 2017 und mit dem neuen Risikomanagementstandard DIIR RS NR. 2 aber gerade ändert). Welche gravierenden Schwächen eines Risi- kofrüherkennungssystems offenbar akzeptiert werden, zeigt das Fallbeispiel der „völlig über- raschenden“ Insolvenz der euromicron AG. Wohlgemerkt: der Abschlussprüfer hat einen „uneingeschränkten Bestätigungsvermerk“ erteilt! Die nachfolgende Einschätzung stützt sich ausschließlich auf die Erläuterungen des Geschäftsberichts 2018 (vom 10.04.2019). Identifizierte Risiken werden mit einer Ei - trittswahrscheinlichkeit und einer „konkreten Schadenshöhe“ bewertet. Eintrittswahr- scheinlichkeiten werden nur in groben Kate- gorien erfasst und es ist zweifelhaft, ob die im Allgemeinen unsichere Schadenshöhe durch eine jeweils geeignete Wahrschein lichkeitsverteilung beschrieben wird. Die Annahme einer „sicheren Schadenshöhe“ unterschätzt den Risikoumfang. Es ist nicht erkennbar, dass die Liquiditäts- wirkung von Risiken und „reine Liquiditäts- risiken“ (wie Veränderungen im Working Capital) überhaupt erfasst werden. Drohende Illiquidität ist aber die häufigste Insolvenz ursache. Die erläuterten Methoden zur Beschreibung und der Aggregation von Risiken sind obskur. Man liest (auf Seite 66): „Die Schadenshöhe wird in Relation zum jeweiligen EBIT gesetzt und mit der Eintrittswahrscheinlichkeit multi- pliziert.“ Der so berechnete Schadenserwar- tungswert informiert gerade nicht über mög liche Extremszenarien, die zu „bestandsge- fährdenden Entwicklungen“ führen könnten. Es gibt keinen Hinweis auf die Anwendung eines geeigneten Verfahrens zur Risikoag- gregation, das auch Kombinationseffekte von Risiken in Bezug auf die Unternehmens- planung auswertet (und damit auf Risikode- ckungspotenzial/Risikotragfähigkeit Bezug nimmt). Da gerade Kombinationseffekte von Risiken im Allgemeinen zur Bestandsgefähr- dung und Insolvenz führen, ist die Risiko aggregation mittels Monte-Carlo-Simulation die zentrale Methode zur Früherkennung „bestandsgefährdender Entwicklungen“, die sich aus „irgendwelchen“ Kombinations- effekten von Risiken ergeben können (der IDW EPS 340 betont die Bedeutung der Risikoaggregation ohne aber auf die Monte- Carlo-Simulation zu verweisen; geeignete alternative Methoden existieren aber nicht). Ohne Risikoaggregation kann nicht berechnet werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit Risi- ken dazu führen, dass vorhandene Covenants verletzt werden. Risiken aus Finanzierung und speziell Refinanzierung wurden o fenbar nicht adäquat betrachtet, obwohl (drohende) Illiquidität und nicht Überschuldung heute zu Insolvenzen führt – was die euromicron AG nun auch feststellen musste. Prof. Dr. Werner Gleißner >> Risikofrüherkennungssysteme und die Prüfung durch den Abschlussprüfer: ein häufig doppeltes Versage Fallbeispiel Insolvenz der euromicron AG Impressum Ralf Kimpel Vorsitzender des Vorstands der RMA Risk Management & Rating Association e.V. ralf.kimpel@rma-ev.org V.i.S.d.P. RMA-Geschäftsstelle RMA Risk Management & Rating Association e.V. Zeppelinstr. 73, D-81669 München Tel.: +49.(0)1801 – RMA TEL (762 835) Fax: +49.(0)1801 – RMA FAX (762 329) E-Mail: of ce@rma-ev.org Web: www.rma-ev.org Prof. Dr. Werner Gleißner fachartikel@futurevalue.de Tel.: +49.(0)711-79735830
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