CONTROLLER Magazin 2/2020
81 volle Projekte erst gar nicht begonnen wer- den. Im Weiteren müssen die wenigen noch verfügbaren Ressourcen optimal eingesetzt werden. An dieser Stelle muss auch die Investitions- rechnung kritisiert werden. Sie fordert zwar be- rechtigterweise, dass alle Zahlungen und Zah- lungsänderungen, die durch eine Handlungs- möglichkeit (Projekt, Alternative, Strategie usw.) ausgelöst werden, auch erfasst und be- wertet werden: Aber nur in wenigen Fällen wird geprüft, ob das qualifizierte Fachpersonal Zeit hat, neben vielen anderen Projekten auch noch in der zu bewertenden Handlungsmöglichkeit mitzuarbeiten. Auch bei Boeing wurde und wird mit den begehrten Fachleuten hin- und herjong- liert. Durch die notwendigen Nachbesserungen bei der 737 Max geraten andere Projekte in Verzug oder müssen sogar abgesagt werden. Das Krisenbild ist in vielen Unternehmen sehr ähnlich: Die wenigen guten Fachleute wissen nicht mehr, an welchem Projekt sie zuerst ar- beiten sollen. Schwaches Management sorgt dann in vielen Fällen dafür, dass sich die Priori- täten häufig ändern, so dass wertvolle Zeit durch die Schwerpunktwechsel verloren geht. Und dann wundert man sich in der Wirtschaft und im öffentlichen Bereich, dass die Projekte viel später fertig werden und deutlich mehr kos- ten, und das bei häufig noch reduzierter Funk- tionalität. Die Auswahl von Projekten muss also viel realistischer erfolgen, damit wenigstens die wichtigsten Projekte gelingen. Hier kann eine modifizierte Investitionsrechnung helfen, wel- che die Wichtigkeit und die technischen Eng- pässe berücksichtigt. Die übliche Investitionsrechnung Die Aufgabe der Investitionsrechnung besteht in der Untersuchung, ob und welche Hand- lungsmöglichkeiten voraussichtlich vorteilhaft für das Unternehmen sein werden. Das Wort „voraussichtlich“ ist außerordentlich wichtig, weil die Prognosen zukünftiger Zustände sehr lückenhaft bleiben müssen. In den letzten Jah- ren haben diese Probleme nochmals zugenom- men, was man z. B. am unendlichen Brexit oder den Tweets und Launen des amerikanischen Präsidenten sieht. Von einem Tag auf den an- deren können so Geschäftsmodelle kippen (oder auch neu entstehen). Aufgrund dieser Un- sicherheit muss der realistische Investitions- rechner zugeben, dass er nur wenige Zukunfts- lagen (Szenarien) halbwegs zutreffend vorher- sagen kann. Für jedes einbezogene Szenario wird mittels Differenzmethode (vgl. z. B. Götze, S. 91 oder Brealey/Myers/Allen, S.135 ff.) oder noch bes- ser mit der fortgeführten Differenzmethode (vgl. Hoberg (2015), S. 132 ff.) geschätzt, wel- che zusätzlichen Zahlungen durch die Hand- lungsmöglichkeit ausgelöst werden. Denn auch die besten Verfahren – die vollständigen Fi- nanzpläne (vgl. Varnholt/Lebefromm/Hoberg/ Wilms, S. 55 ff.) – führen nur zu guten Ergeb- nissen, wenn die Zahlungsströme korrekt be- stimmt wurden. „D as Krisenbild ist in vielen Unternehmen sehr ähnlich: Die wenigen guten Fachleute wissen nicht mehr, an welchem Projekt sie zuerst arbeiten sollen.“ Eine weitere Voraussetzung für eine gute In- vestitionsrechnung besteht in der wirklich- keitsgerechten Ableitung des relevanten Zins- satzes. Dieser Kapitalkostensatz wird als Kal- kulationszinssatz (Wacc: weighted average cost of capital) ermittelt, indem der Eigenkapi- talzinssatz – berechnet als Opportunität – mit dem Eigenkapitalanteil multipliziert wird und der Fremdkapitalzinssatz mit dem langfristi- gen Fremdkapitalzinssatz. Projektspezifische Risiken sollten in die Ermittlung des Wacc ein- fließen. Von den unendlich vielen möglichen Szenarien können nur wenige analysiert wer- den, wobei dabei das große Problem auf- taucht, dass einige der untersuchten Szenari- en zu positiven Ergebnissen, andere jedoch zu negativen führen. Investitionsrechnung ohne Restriktionen Im ersten Schritt werden Investitionsrechnun- gen häufig ohne Berücksichtigung von Restrik- tionen durchgeführt, welche sich üblicherweise auf das Kapital beziehen. Es wird also davon ausgegangen, dass alle Handlungsmöglichkei- ten finanziert werden können. Sie werden somit eingeplant, wenn sie ihre Kapitalkosten verdie- nen. Auch die hier erwähnten möglichen tech- nischen Restriktionen mögen nicht vorliegen. Der Fall ohne Kapitalrestriktionen ist eher sel- ten. Nur Unternehmen (und auch Länder) mit einem ausgezeichneten Rating (A und besser) haben am Kapitalmarkt die Möglichkeit, auch große Investitionen zu finanzieren. Für sie ver- einfacht sich die Investitionsrechnung, weil sie nur prüfen müssen, ob die Investition sich lohnt. Ein Kampf um knappe Investitionsmittel muss nicht stattfinden. Insofern reicht dann die Analyse, ob die Kapitalkosten im jeweiligen Szenario verdient werden können. Für diesen Nachweis bieten sich vollständige Finanzpläne an, die auf Basis der Zahlungen und Zahlungs- änderungen des Szenarios analysieren, ob z. B. der Endwert am Ende des Planungszeitraums positiv sein wird. Alle Handlungsmöglichkeiten mit positiven Endwerten können dann durch- geführt werden, was allerdings voraussetzt, dass auch die weiteren Ressourcen neben dem Kapital zur Verfügung stehen. Auch Deutschland könnte fast alle Projekte finanziell stemmen angesichts des AAA Ratings und der daraus zurzeit resultierenden negativen Finanzierungskosten. Aber die Kapazitäten z. B. in der Bauwirtschaft sind ausgeschöpft, und es existieren weitere Engpässe z. B. im Bereich von Genehmigungen. So würden in Deutsch- land sofort viele neue Windkraftanlagen ge- baut, wenn geeignete Flächen zur Verfügung stünden, welche nicht durch Interessengruppen gebremst oder sogar verhindert werden. Die Vorgehensweise für eine Investitionsent- scheidung ohne Kapitalrestriktionen sei an einem kleinen Exempel gezeigt (vgl. Abbildung 1). Im Beispiel wird eine Anfangsinvestition von 18 Mio € 0 zum Zeitpunkt t=0 fällig. Die Einheit der Zahlung von „Mio € 0 “ soll durch Ergänzung des Zeitindexes mehr Klarheit bringen (vgl. zu die- ser neuen Darstellungsform Hoberg (2018), S. 468 ff.). Diese Anfangsauszahlung wird über die nächsten Perioden verzinst und durch die Einzahlungsüberschüsse abgetragen, was nach 4 Perioden erfolgt ist. Als Verzinsung wird ein Mischzinssatz (Wacc: Weighted average cost of CM März / April 2020
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