CONTROLLER Magazin 2/2020
63 Das Thema Verhaltensorientierung hat im Con- trolling eine lange Tradition. Wer kennt nicht die Wortspiele „Logik und Psycho-Logik“ oder „über und unter dem Tisch“ von Albrecht Deyhle? Verhaltensorientierung war vor einem knappen Jahrzehnt Schwerpunktthema der ICV Ideen- werkstatt. Sie ist Kern der rationalitätssiche- rungsorientierten Controllingsicht: Ohne Ratio- nalitätsdefizite gibt es keinen Sicherungsbedarf. Defizite liegen nicht nur auf der Ebene des Wol- lens (opportunistisches Verfolgen eigener Zie- le), sondern auch auf der Könnensseite der Ma- nager vor (mangelndes Wissen, Fehler in der Anwendung des Wissens). Verhaltensorientierte Themen stehen aktuell in der Forschung hoch im Kurs, viele unter den mittlerweile gut bekannten Begriff der Biases eingeordnet. Die Forschung zeigt auch, dass wir solchen Biases nicht hilflos ausgeliefert sind. Es besteht ein breites Spektrum von Möglichkeiten, um das Auftreten und/oder die Fehlerwirkungen von Biases zu reduzieren. Daneben kommen aktuell auch Emotionen mehr und mehr in den Fokus – mit spannen- den Ergebnissen: So fällen z. B. Richter vor dem Mittagessen härtere Urteile als danach. Vielleicht sollten Manager Abweichungsge- spräche mit ihren Controllern nur nach dem Mittagessen einplanen? Verhaltensorientierung ist auch in der Praxis kein Fremdwort mehr. Ein bekanntes Beispiel liefert die RWE, die sich nach diversen Fehl- entscheidungen Rat bei einer großen interna- tionalen Unternehmensberatung geholt und mit dieser einen ganzen Katalog von Gegen- maßnahmen entwickelt hat. Das ist allerdings noch eher die große Ausnahme denn ein ein- trägliches Beratungsgeschäft. Bis heute ist der Verhaltensorientierung im Controlling der große Durchbruch nicht vergönnt gewesen. Manche Manager sehen das Thema – wenn überhaupt – eher in der HR verortet. Andere haben bei bisherigen Versuchen schlechte Erfahrungen gesammelt („Debiasing-Techni- ken sind hauptsächlich ein Ritual der Legiti- mierung“). Wieder andere sehen sie eher als eine Spielerei, für die sie keine Zeit haben. Und noch ein weiterer wichtiger Grund liegt auf der Hand: Die Management-Aufmerk- samkeit wird aktuell durch ein anderes The- ma in den Unternehmen stark gebunden: durch die Digitalisierung. Die Auseinander- setzung damit gilt als „alternativlos“ – und ist es in meinen Augen auch. Hilfestellung kommt auch nicht von der Aus- bildungsseite: In die Lehre an den Hochschu- len scheint das Thema Verhaltensorientie- rung noch nicht ausreichend Eingang gefun- den zu haben. Zumindest können wir in den regelmäßigen Seminaren für Nachwuchscon- troller von unseren Partnerunternehmen keinen großen Wandel der Vorkenntnisse feststellen. Jeder kennt das Activity Based Costing, kaum jemand die wichtigsten Debiasing-Techniken. Ist das enttäuschend und unerwartet? Ich meine nein! Analytische Instrumente lassen sich ziemlich schnell einführen; solche, die eine grundlegende Veränderung der Sichtwei- sen und Einstellungen von Menschen betref- fen, brauchen dagegen für ihre Verankerung sehr viel Zeit. Das zeigt sich auch bei den ana- lytischen Instrumenten, und zwar in deren Nutzungsphase: Ob sie dann wirklich dazu führen, dass die Manager besser entscheiden und steuern, ist fraglich – die Unternehmens- welt ist bei näherem Hinsehen voller Instru- mentenruinen! Und auch die angesprochene Digitalisierung bestätigt diese Erkenntnis: Ge- rade Unternehmen, die auf dem Weg der Digi- talisierung schon ein gutes Stück vorange- kommen sind, betonen, wie wichtig kulturelle Fragen für den Erfolg der neu geschaffenen Möglichkeiten sind. Dass es so langsam mit dem Thema Verhal- tensorientierung im Controlling vorangeht, ist also nicht verwunderlich. Allerdings bedeutet dies nicht, dass man auf die Geschwindigkeit der Umsetzung gar keinen Einfluss hat. Und auch hier gilt die Erkenntnis: Wer später an- fängt, ist auch später fertig! Setzen Sie das Thema deshalb auf Ihre Agenda, auch wenn dort schon jetzt sehr viel steht! Wie steht es eigentlich um das Thema „Verhaltensorientierung im Controlling“? von Jürgen Weber Autor Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber ist Direktor des Instituts für Management und Controlling (IMC) der WHU – Otto Beisheim School of Management, Campus Va- lendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar. Er ist zudem Vorsitzen- der des Kuratoriums des Internationalen Controller Vereins (ICV). E-Mail: juergen.weber@whu.edu www.whu.edu/controlling © Rawpixel – www.stock.adobe.com CM März / April 2020
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