CONTROLLER Magazin 2/2020
19 Risiken einzugrenzen und letztlich nachhaltiger zu wirtschaften. Dies kann gerade auch im energiewirtschaftlichen Bereich durch ein intel- ligentes, integriertes Energiemanagement- system realisiert werden. Auch kann die Digi- talisierung zu innovativen Lösungen für Recyc- lingprozesse im Unternehmen führen. Biel: Dies klingt nach einem umfassenden zu- künftigen Betätigungsfeld. Becker: Ja, wir sehen allerdings, dass eben diese ökologischen Nutzenpotenziale in der Un- ternehmenspraxis noch nicht vollends ausge- schöpft, sondern deutlich ausbaufähig sind. Viele Unternehmen sind derzeit vor die zentrale Herausforderung gestellt, ein Wertschöpfungs- bewusstsein herauszubilden, das ökonomi- sche und ökologische Interessen stärker integriert . Nur wenn dies wirklich flächen- deckend gelingt, können wir auf Innovations- gewinne hoffen, die auch mit ökologischen Ge- sichtspunkten vereinbar sind. Biel: Eine weitere wichtige und zugleich sen- sible Risiko-Kategorie ist der soziale Bereich, insbesondere der Arbeitsbereich. Nach der Re- cherche sind hierzu die Analysen und insbeson- dere die Prognosen unterschiedlich bis gegen- sätzlich. Immerhin vermittelte die OECD vor Kurzem, in den kommenden zwei Jahrzehnten den haben und, ob die neuen Technologien und digitalen Verfahrensweisen von den Kunden akzeptiert werden. Zudem ergeben sich verein- zelt auch ökonomische Abhängigkeitsver- hältnisse durch die Inanspruchnahme externer Systemanbieter und Programmierungsdienst- leister, die die dafür einkalkulierten Investitions- bedarfe übersteigen können. Biel: Angesichts des bedrohlichen Klimawan- dels und der wachsenden Umweltprobleme kommen wir nicht umhin, auch ökologische Ri- siken im Rahmen der Digitalisierung zu streifen. Untersuchungen berichten von einem deutlich wachsenden Energieverbrauch der Informa- tions- und Kommunikationstechnologie mit ent- sprechenden Auswirkungen auf die CO 2 -Emis- sionen. Der Rohstoffverbrauch gilt als enorm, darunter auch der Verbrauch kritischer Materi- alien, etwa Lithium, Kobalt, Tantal, Zinn oder Wolfram. Müssen wir den ökologischen Aspekt der Digitalisierung kritisch sehen? Können wir auf Innovationen und Effizienzgewinne hoffen? Becker: Die Digitalisierung hat zweifelsohne auch ökologische Auswirkungen. Dies konnten wir auch in unseren Studienergebnissen erken- nen. Beispielsweise verzeichnen Unternehmen durch die Nutzung digitaler Technologien in der Fertigung einen deutlich erhöhten Ressour- cenverbrauch . Die Zersetzung und der Abbau vieler dabei entstehender Abfallstoffe ist ein äu- ßerst langwieriger Prozess. Dies stellt zweifels- ohne eine Belastung für die globale Umwelt dar. Zudem verzeichnen einige Unternehmen deut- lich erhöhte Energiekosten , die mit der An- wendung von Digitalisierungs- und Vernet- zungstechnologien einhergehen. Sofern die di- gitalisierungsbedingten Effizienzvorteile durch einen erhöhten Energiebedarf und damit ein- hergehenden Kostenprogressionen überkom- pensiert werden, stellt sich zweifelsohne die Frage nach der Sinnhaftigkeit. Biel: Gibt es demnach einen möglichen negati- ven Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Ökologie? Stradtmann: Allerdings muss der Zusammen- hang zwischen der Digitalisierung und den öko- logischen Aspekten nicht zwangsläufig negativ sein. Die Digitalisierung bietet andererseits di- verse Nutzenpotenziale, um die ökologischen rungsentscheidungen werden oftmals auf Basis von Effizienz- und Effektivitätskriterien sowie des dafür benötigten Ressourcen- und Zeitaufwands getroffen. Als besonderes Cha- rakteristikum erweist sich auch hier die hohe Sozialverantwortung im Mittelstand . Mög- lichkeiten zur Umschulung einzelner Mitarbeiter sowie strukturelle Reorganisationen werden oft im Vorfeld umfassend eruiert, um personalwirt- schaftlich verträgliche Lösungen zu finden. Biel: Widmen wir uns bitte den ökonomischen Risiken. Gibt es neben den klassischen Risiken der Profitabilität, des Investitions- und Markt- risikos auch spezifische ökonomische Risiken des digitalen Wandels, die Sie beobachten? Becker: Unsere bisherigen Forschungsergeb- nisse zeigen, dass die ökonomische Risiko- landschaft besonders facettenreich in Er- scheinung tritt und über die klassischen er- folgswirtschaftlichen Risiken hinausreicht. Als besonders risikobehaftet beurteilen Unterneh- men unter ökonomischen Gesichtspunkten den wettbewerblichen Digitalisierungsdruck und die Gefahr, von technologisch ausgereifte- ren Geschäftsmodellen imitiert, disruptiert und qualitativ übertroffen zu werden. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung nicht als einzelnes öko- nomisches Risiko auftritt. Vielmehr entstehen vielerorts aggregierte Risikobündel, die die Ge- fahr zur Klumpenbildung beinhalten. Klumpen- risiken sind deshalb besonders schwerwie- gend, weil sie rasch ein Gefühl von Ohnmacht und Überforderung auslösen und einen erfolg- reichen Transformationsprozess maßgeblich erschweren oder gar verhindern können. Biel: Können auch ein Muss und ein deutlicher Zugzwang die Digitalisierung mittelständischer Unternehmen bestimmen? Stradtmann: Gerade Mittelständler verspüren einen erhöhten Preis-, Wettbewerbs-, und Kos- tendruck, der häufig von Großkunden auf mittelständische Zulieferer transferiert wird. Um weiterhin wettbewerbsfähig zu blei- ben, stellt sich für viele Unternehmen derzeit die existenziell grundlegende Frage nach der Art und Weise der Weiterentwicklung ihres Ge- schäftsmodells und des Alleinstellungsmerk- mals am Markt. Dabei besteht mitunter Unsi- cherheit, welche Erwartungshaltung die Kun- Industrie 4.0 – Risikokategorien für kleine und mittlere Unternehmen · Ökonomische Risiken · Ökologische Risiken · Soziale Risiken · Technische Risiken · Informations- und Sicherheitstechnische Risiken · Juristische und politische Risiken Quelle: Voigt, K.-I.; Müller, J.; Veile, J.; Becker, W.; Stradtmann, M: Industrie 4.0 – Risiken für kleine und mittlere Unterneh- men. In: Becker, W., Eierle, B., Fliaster, A., Ivens, B., Leischnig, A., Pflaum, A., Sucky, E. (Hrsg.): Geschäftsmodelle in der digitalen Welt: Strategien, Prozesse und Praxiserfah- rungen. Wiesbaden: Springer Gabler 2019; Rezension im CM-Literaturforum 3/19 Infobox 2 CM März / April 2020
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