CONTROLLER Magazin 2/2020

18 Stradtmann: Vor allem radikale Geschäftsmo- dellveränderungen verlangen nach einem er- höhten Ressourceneinsatz, der die Möglichkei- ten des Mittelstands übersteigen kann. Daher erfolgt die digitale Transformation von Ge- schäftsmodellen im Mittelstand zumeist eher inkrementell . Biel: Bitte lassen Sie mich nachfassen. Wirken über die Wertschöpfungsketten, über die weit- reichende Vernetzung und über die hohe Markt- dynamik nicht erhebliche Zwänge, die den Ent- scheidungsspielraum erheblich einengen? Stradtmann: Sicherlich können sich mittel- ständische Unternehmen dem Druck von Groß- unternehmen ausgesetzt sehen, ihre Geschäfts- modelle zu digitalisieren, um die digitale Vernet- zung unternehmensübergreifend zu erreichen. Wenngleich dieser Digitalisierungsdruck mit- unter deutlich spürbar ist, so muss der Ent- scheidungs- und Handlungsspielraum dadurch aber nicht zwangsläufig eingeengt werden. Gerade mittelständische Unternehmen gehen häufig bewusst so vor, dass sie ihr Geschäfts- modell schrittweise digital umgestalten , um wettbewerbsfähig zu bleiben. Biel: Markt- und Innovationsaspekte können für eine Vorreiterrolle sprechen. Risikoaspekte hingegen für die Rolle eines Nachzüglers, der sich beobachtend und abwartend verhält? Wie geht vor allem die mittelständische Praxis mit diesen Optionen um? Wie kann eine Abwägung gelingen? Becker: Der Mittelstand tritt in der Praxis sehr heterogen auf. Das Verhalten wird häufig durch die Eigentümerhaltungen geprägt, sodass sich sowohl sehr risikoaffine, als auch eher risiko- averse Mittelständler in der Praxis finden. Da- her nehmen einige Mittelständler durchaus eine digitale Vorreiterstellung ein, indem sie neue Technologien frühzeitig im Geschäftsmodell in- tegrieren, um vom „First-Mover-Advantage“ zu profitieren. Andere Mittelständler hingegen warten, bis sich die Technologien am Markt etabliert haben und investieren erst, wenn es für sie wirtschaftlich attraktiver wird. Das Aus- tarieren der vorhandenen Optionen wird im Mit- telstand häufig vor dem Hintergrund der jewei- ligen Ausgestaltung der vorhandenen Ge- schäftsmodelle vorgenommen. Digitalisie- sich langfristig nur diejenigen Unternehmen behaupten können, die sich als anschlussfähig an technologische Entwicklungen erweisen. Das Nicht-Realisierungs-Risiko ist also ver- mutlich so hoch, dass es von der deutschen Wirtschaft nicht getragen werden kann. Selbst eine allzu niedrige Digitalisierungsgeschwin- digkeit scheint problematisch zu sein. Biel: Und der Mittelstand ...? Becker: Nun zum Mittelstand: Wir sehen deutlich, dass die Digitalisierung auch im Mit- telstand angekommen ist und der Mittelstand sich derzeit intensiv mit der digitalen Transfor- mation seines Geschäftsmodells auseinander- setzt. Im Vergleich zu kapitalmarktorientierten Großunternehmen sehen sich Mittelständler allerdings einem insgesamt höheren unter- nehmerischen Risiko ausgesetzt . Aufgrund der andersartigen Ressourcenbasis können sich Fehlentscheidungen wesentlich direkter auf die Existenzsicherung auswirken. Dies zeigt sich auch im Digitalisierungsverhalten vieler Mittelständler. Biel: Welche Unterschiede beobachten Sie zwi- schen Großunternehmen und dem Mittelstand? existenzielle Bedrohungen. Besondere Schwie- rigkeiten resultieren nun immer dann, wenn die Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeiten von Risiken aufgrund mangelnder Erfahrungs- werte schwerfällt. Die Einschätzung und Abwä- gung von Chancen und Risiken erfolgt letztlich stets unternehmensspezifisch in Abhängigkeit des jeweiligen Geschäftsmodells. Der im Falle des Eintretens von Risiken verbleibende Hand- lungsspielraum ist sehr stark von den unterneh- mensspezifischen Voraussetzungen abhängig. Insofern lassen sich dazu nur schwer allge- meingültige Aussagen treffen. Biel: Wenn wir systematisch über die Risiken sprechen wollen, die mit dem digitalen Wandel verbunden sind, müssen wir natürlich auch das Risiko der Verweigerung der Digitalisie- rung, das Nicht-Realisierungs-Risiko in den Blick nehmen. Sie pflegen in Ihrer vielfältigen Arbeit seit Langen enge Beziehungen zu mit- telständischen Unternehmen. Wie sieht man dies dort? Becker: Grundsätzlich darf das Erkennen von Digitalisierungsrisiken natürlich nicht dazu führen, dass die digitale Transformation ge- bremst wird. Im globalen Wettbewerb werden Autoren Univ.-Prof. Dr. Dr. habil. Wolfgang Becker leitet als Lehrstuhlinhaber an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg den Lehrstuhl für BWL, insbes. Unternehmensfüh- rung und Controlling. Zudem ist er Leiter des Europäischen Forschungsfeldes für Angewandte Mittelstandsforschung sowie Mitglied des Direktoriums im Kompetenzzentrum für Geschäftsmodelle in der digitalen Welt. E-Mail: ufc@uni-bamberg.de Diplom-Betriebswirt Fachjournalist (FJS) Alfred Biel ist Autor, Interviewer und Rezensent verschiedener Medien mit betriebswirtschaftlichem und fachjournalistischem Studienab- schluss. Er verfügt über reichhaltige Praxiserfahrung aus ver- antwortlichen Tätigkeiten in betriebswirtschaftlichen Funktionen großer und mittlerer Unternehmen. Der Deutsche Fachjourna- listen Verband DFJV und der Internationale Controller Verein ICV verliehen ihm die Ehrenmitgliedschaft. E-Mail: alfred.biel@gmx.de Meike Stradtmann, M. Sc. ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehr- stuhls für BWL, insbes. Unternehmensführung und Controlling der Otto-Friedrich-Universität Bamberg sowie Projektmitarbei- terin im Europäischen Forschungsfeld für Angewandte Mittel- standsforschung (EFAM). E-Mail: meike.stradtmann@uni-bamberg.de Interview zum Thema: Digitaler Wandel

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