CONTROLLER Magazin 2/2020
17 eine hohe Dringlichkeit, sich mit den Risiken der Digitalisierung auseinanderzusetzen und der Unternehmenspraxis für den Umgang mit diesen Risiken Lösungen aufzuzeigen. Biel: Die Erfahrungs- und Faktenbasis für eine Diskussion, wie risikobehaftet die Digitalisie- rung sein kann, ist derzeit noch recht schmal. Haben wir dennoch verlässliche Anhaltspunkte, um diese Thematik angemessen reflektieren zu können? Was können Sie uns hierzu als Wis- senschaftler berichten? Becker: Die betriebswirtschaftliche Digitalisie- rungsforschung beschäftigt sich derzeit über- wiegend mit der Betrachtung der Chancen der digitalen Transformation. Risikobetrachtun- gen finden eher rudimentär statt . Ich sehe auch deshalb die Notwendigkeit, vermehrt auch auf das Instrumentarium nicht nur quantitativer, sondern auch qualitativer Wirtschaftlichkeits- analysen zurückzugreifen. Der Fokus sollte da- bei zudem intensiver auf Veränderungen in der Unternehmensumwelt und deren Rückkopplung in die betroffenen Unternehmen gelegt werden. Dies setzt allerdings interdisziplinäres Denken und Handeln voraus. Risk-Maps, Impact Ana- lysen und szenariobasierte Modellierungen künftiger Geschäftsmodelle können wesentli- che Unterstützung bieten, um latente Risiken früh- und vor allem rechtzeitig in Digitalisie- rungsentscheidungen einzubeziehen. Es ist eine essenzielle Aufgabe der Unternehmenspo- litik, im Rahmen von zu treffenden Digitalisie- rungsentscheidungen ein integriertes Chan- cen- und Risikomanagement zu etablieren und zu nutzen, um verfügbare Handlungsspiel- räume proaktiv zu identifizieren und geeignete Maßnahmen abzuleiten. Biel: Welche Themen und Aspekte werden im Zusammenhang mit der Digitalisierung nach Ihrer Kenntnis vorherrschend behandelt? Stradtmann: Es ist so, dass man sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur derzeit über- wiegend auf ökonomische und technische, ver- einzelt auch auf soziale Aspekte konzentriert. Dabei stellen die Erkenntnisse aus ökonomi- scher Perspektive vorrangig auf den Aspekt der ungewissen Profitabilität und Amortisa tionszeit sowie auf den hohen und zudem schwer vorhersehbaren Investitionsaufwand im Rahmen der digitalen Transformation ab. Im technischen Bereich werden derzeit vorrangig Fragen nach Datenschutz und -sicherheit sowie die Herausforderungen der (System-)Integra- tion thematisiert. Die Betrachtung dieser eher spezifischen Risiken greift allerdings zu kurz. Aus diesem Grunde haben wir es uns zum Ziel gesetzt, die Risikolandschaft der digitalen Transformation aus einer eher ganzheitlichen Perspektive zu erforschen. Biel: Nimmt die Fachöffentlichkeit die Risiken, die mit der Digitalisierung verbunden sein kön- nen, angemessen wahr? Haben wir bereits „ein Gefühl“ für die Risikolage entwickelt – oder überstrahlt das Trachten nach digitalen Nutzen- potenzialen die Wahrnehmung? Unlängst sprach ein bedeutender Wirtschaftsjournalist davon, „der Ritt auf der Achterbahn des Digital- zeitalters wird unerfreulich“ (Karl-Heinz Bü- schemann in der SZ am 10.08.19). Wie ordnen Sie die bestehende Situation ein? Stradtmann: Angesichts einer deutlich zuneh- menden Anzahl verschiedenster Roadmap- Konzeptionen zur Umsetzung der digitalen Transformation entsteht durchaus zunächst der Eindruck, dass die Risikobetrachtung derzeit zu kurz kommt. Allerdings thematisieren mittler- weile einige dieser Publikationen risikobehafte- te Handlungsfelder, die im Rahmen der Umset- zung zu berücksichtigen sind. Dadurch erhalten die Rat suchenden Unternehmen, wenn auch indirekt, erste Indizien für risikobehaftete Transformationsbarrieren . Biel: Die digitale Transformation wird inzwi- schen auch durch politische Initiativen beglei- tet. Sind diese ausreichend? Becker: Ja, darüber hinaus wird die digitale Transformation der Wirtschaft mittlerweile durch zahlreiche politische Initiativen begleitet. Wenn dies ohne Zweifel leider sehr spät ge- schieht, so löst gerade auch die politische Dis- kussion der digitalen Transformation ein zu- nehmendes Gefühl für die Risikokonstellatio- nen der betroffenen Unternehmen aus. Die Ri- sikolandschaft muss jedoch noch deutlich fokussierter, transparenter und holistischer dargelegt werden, um so einerseits ein stärke- res Risikobewusstsein zu schaffen und an- dererseits konkrete sowie wirksame Maßnah- men zur Risikobeherrschung für die Unter- nehmenspraxis abzuleiten. Biel: Bevor wir auf die verschiedenen Risiken näher eingehen, bitte eine kurze Antwort zur Risikoentstehung und den Handlungsspielräu- men. Wie gut lassen sich überhaupt Risiken im Zuge des digitalen Wandels erkennen? Wie sicher sind hierzu die Informationen? Wie groß ist der verbleibende Handlungsspielraum? Becker: Grundsätzlich wird jegliches unterneh- merische Handeln durch Chancen und Risiken begleitet. Ein Risiko besteht letztlich stets in der Gefahr des Nichterreichens gesetzter Ziele. Die Digitalisierung strebt regelmäßig sehr vielfäl- tige, zudem heterogene Zielsetzungen an. Be- sondere Probleme sind in diesem Zusammen- hang zu erwarten, wenn die unternehmeri- schen Formalziele, also das Erfolgs- und das Liquiditätsziel, gefährdet werden . Überstei- gen nun die aus der digitalen Transformation resultierenden Kosten die erwarteten wirt- schaftlichen Vorteile, so resultieren Erfolgsein- bußen. Diese wiederum können zu Liquiditäts- problemen führen und somit entstehen ggf. Buchveröffentlichungen von und zu unserem Interviewpartner (auszugsweise): Becker, W., Eierle, B., Fliaster, A., Ivens, B., Leischnig, A., Pflaum, A., Sucky, E. (Hrsg.): Geschäftsmodelle in der digitalen Welt: Strategien, Prozesse und Praxiserfahrungen. Wiesbaden: Springer Gabler 2019; Rezension im CM-Literaturforum 3/19 Becker, Wolfgang; Ulrich, Patrick: Strategic Value Management: Theorien, Methoden und Konzepte. Stuttgart: Kohlhammer 2019; Rezension im CM-Literaturforum 6/19 Becker, Wolfgang; Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling . Wiesbaden: Springer Gabler 2016; Rezension im CM – Literaturforum 6/16 Festschrift für Prof. Dr. habil. Wolfgang Becker: Ulrich, Patrick; Baltzer, Björn (Hrsg.): Wertschöpfung in der Betriebswirtschaftslehre: Festschrift für Prof. Dr. habil. Wolfgang Becker zum 65. Geburtstag. Wiesbaden: Springer Gabler 2019; Rezension im CM-Literaturforum 3/19 Infobox 1 CM März / April 2020
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==