Controller Magazin 9/10-2020

81 Controller Magazin | Ausgabe 5 Der Trainer im Profi-Fußball wird in erster Linie durch ein Merkmal gekennzeichnet: Stress! Zudem ist wohl in kaum einem anderen Metier die Arbeitsplatzsicherheit so gering wie in dieser Berufsgruppe. In anderen Mann- schaftssportarten, wie zum Beispiel Basketball, Hand- ball oder Volleyball, besteht für einen Trainer während des Spiels die Möglichkeit, durch Auszeiten Einfluss auf Strategie und Taktik seines Teams zu nehmen. Ein Fuß- balltrainer hat diese Möglichkeit nicht. In dieser Sportart stellen neben Ansprachen in der Halbzeitpause haupt- sächlich Spielerwechsel Möglichkeiten für einen Trainer dar, die Spielstrategie der Mannschaft zu beeinflussen. Dabei ist die Anzahl erlaubter Spielerwechsel in den eu- ropäischen Profi-Ligen gemäß der Richtlinien der FIFA je- doch auf drei Wechsel pro Spiel beschränkt. Somit fällt jeder Wechselentscheidung eine hohe Bedeutung zu. 1 In diesem Zusammenhang wird auch gern vom „Joker-Effekt“ gesprochen, der Spieler also, der nach seiner Ein- wechslung einen spielentscheidenden Eindruck hinter- lassen hat. Dies betrifft in erster Linie Offensivspieler wie Robert Lewandowski, Nils Petersen und Paco Alcácer oder zuletzt den jungen Erling Haaland, die dafür be- kannt sind, nach ihren Einwechslungen die Ergebnisse ganzer Partien drehen zu können. Ist dies eher Zufall und gibt es einen empirischen Beleg für erfolgreiche Wech- selstrategien? Dies ist die zentrale Frage, die dieser Bei- trag analysieren möchte. Grundlagen der Untersuchung Anhand von quantitativ-empirisch erhobenen Daten der Hinrunde der 1. Bundesliga-Saison 2018/19 ist eine er- folgsorientierte Analyse der Wechselstrategien von Pro- fi-Fußballtrainern vorgenommen worden. Trainer und Trainerinnen befinden sich häufig in realistischen Ent- scheidungssituationen, welche u. a. durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind:  ■ hoher Zeitdruck und hohe Risiken,  ■ unvollständige Informationslage,  ■ oftmals unklare und divergierende Ziele,  ■ keine eindeutig definierte Vorgehensweise bei der Problemlösung und  ■ oftmals zusätzliche Stressoren, wie z. B. Lärm In Wettkampfsituationen wie etwa einem Fußballspiel führen vor allem der Zeitdruck und die unvollständige In- formationslage dazu, dass Entscheidungen, z. B. über ei- nen Spielerwechsel, schnell und auf Basis der Intuition ge- troffen werden müssen. Daraus entsteht eine große Unsi- cherheit, mit welcher ein Trainer zurechtkommen muss. Dies stellt hohe Anforderungen an seine kognitiven Fähig- keiten. Demnach muss ein Trainer in jeder Situation des Spiels in der Lage sein, das Spiel zu lesen, um die beste Entscheidung treffen zu können. Dabei spielt die Muster- erkennung eine entscheidende Rolle. Trainer scannen Situ- ationen und verbinden dies mit kognitiv abgespeicherten Situationsmustern, um anhand von Erfahrungen die güns- tigste Handlungsalternative wählen zu können. 2 Bislang existieren kaumwissenschaftliche Beiträge, wel- che die Gründe für einen Spielerwechsel umfassend em- pirisch untersuchen. Lediglich Geyer beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit einer expliziten theoretischen Herlei- tung und Klassifizierung von Gründen. Aus ihrer Sicht lassen sich diese auf erster Ebene in „nicht beeinfluss­ bare“ und „beeinflussbare“ Gründe unterteilen. Zu den nicht beeinflussbaren Gründen zählen bspw. Verletzun- gen eines Feldspielers oder der Platzverweis eines Tor- warts. Bei diesen Gründen ist der Trainer gezwungen, ei- nen Spielerwechsel vorzunehmen. Die beeinflussbaren Gründe unterteilt Geyer weiter in Gründe „zum Schutz eines Spielers“, Gründe „zur Motivation eines Spielers“ und „taktische Gründe“. Wechsel „zum Schutz eines Spielers“ werden zum Beispiel bei ermüdeten oder ver- warnten Spielern vorgenommen. Spielerwechsel aus Motivationsgründen werden genutzt, um Ersatzspieler für zukünftige Trainingseinheiten zu motivieren. Alle an- deren Gründe für eine Auswechslung bezeichnet Geyer als taktische Gründe. Bspw. wird der aktuelle Spielstand genannt, welcher den Trainer bei einem Rückstand dazu veranlassen kann, durch einen Spielerwechsel eine of- fensivere Spielweise verfolgen zu wollen („Joker-Effekt“). Messung des Erfolgs einer Wechselstrategie Das verwendete Datensample besteht aus zwei grundle- genden Elementen. Beim ersten Element handelt es sich um spezifische Daten zu denWechselstrategien der Pro- fi-Fußballtrainer in der Hinrunde der Bundesliga-Saison 2018/19. Für jeden Trainer werden in jedem Spiel ver- schiedene Daten bzgl. seiner Wechselstrategie erfasst. Die möglichen Variablenausprägungen bei den Positio- nen sind die vier typischen Spielerpositionen im Fußball (G = Goalkeeper; D = Defender; M = Midfielder; F = For- ward). Darüber hinaus werden die Spielstände zu den Zeitpunkten aller Wechsel erhoben. Aus Vereinfa- chungsgründen haben diese Variablen die gleichen Aus- HINTERGRUND Summary Im Fußball stellen hauptsächlich Spielerwechsel Möglichkeiten für einen Trainer dar, die Spielstrategie der Mannschaft zu beeinflussen. Dabei ist die Anzahl erlaubter Spielerwechsel jedoch beschränkt. Somit fällt jeder Wechselentscheidung eine hohe Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang wird auch gern vom „Joker-Effekt“ gesprochen, der Spieler also, der nach seiner Einwechslung einen spielentscheidenden Ein- druck hinterlassen hat. Ist dies eher Zufall und gibt es einen empirischen Beleg für erfolgreicheWechselstra- tegien? Dies ist die zentrale Frage, die in diesem Bei- trag analysiert wird. Prof. Dr. Sören Dressler ist Professor für Internatio- nales Controlling an der Hochschule für Technik undWirtschaft Berlin und leitet dort den internationa- len Masterstudiengang Business & Engineering. Seine Forschungsschwer- punkte liegen aktuell in der Digitalisierung der Lehre und dem Sports Data Management. soeren.dressler@htw-berlin.de Prof. Dr. Thomas Rachfall ist Professor für Unterneh- mensrechnung und Controlling an der HS Merseburg. Dort leitet er das Projekt eBWL zur Digitalisierung der Lehre im FachbereichWirtschafts- wissenschaften. thomas.rachfall@ hs-merseburg.de

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==