Controller Magazin 9/10-2020
28 Controller Magazin | Ausgabe 5 RISIKOMANAGEMENT & RATING censzenarien, die das Ausmaß der Unsicher- heit transparent aufzeigen und die Intuition der Entscheidungsgremien ergänzen und herausfordern. Interessanterweise gibt jedes vierte Unternehmen an, sich primär auf rati- onale Informationen bei Entscheidungen zu stützen. Allerdings ist auch klar, dass rein ra- tionale Entscheidungsprozesse nicht existie- ren, solange Menschen involviert sind. Insge- samt kann aus den Ergebnissen gefolgert werden, dass bez. rationaler versus intuitiver Entscheidungsfindung in der Schweizer Un- ternehmerwelt eine recht hohe Diversität existiert und ERM bei vielen stark «intuitiv»- orientierten Unternehmen durchaus ein Ver- besserungspotential bereithält. Fazit und Empfehlungen Grundsätzlich ist in vielen Schweizer Unter- nehmen eine ungenügende Synchronisation von ERM-Prozessen und Entscheidungspro- zessen festzustellen. So gibt fast die Hälfte der befragten Unternehmen an, nur teilwei- se oder gar nicht zu wissen, wie viel Unsi- cherheit mit einer entsprechenden Entschei- dung verbunden ist. Weiter hängt die Ent- scheidungsqualität oft primär von der Intui- tion und Erfahrung der Entscheider ab und ERM übt keine oder nur eine limitierte ratio- nalitätserhöhende Wirkung aus. Obwohl Schweizer Unternehmen viele ERM-Informa- tionen produzieren, werden diese primär für Berichtszwecke und nur ungenügend für Entscheidungsprozesse genutzt. ERM-Ver- antwortliche könnten dieser unbefriedigen- den Situation u. a. mit folgenden pragmati- schen Vorschlägen entgegenwirken: ■ •Eine Überprüfung der Entscheidungsqua- lität wichtiger Geschäftsentscheidungen der letzten Jahre vornehmen. Lagen je- weils rationale Informationen über ent- scheidungsrelevante Risiken und Chancen vor? Falls ja, wurden diese als Grundlage für diese Entscheidungen verwendet? Oft wird man feststellen, dass bei den meis- ten vergangenen Entscheidungen keine Informationen aus dem ERM berücksich- tigt wurden. Auf Basis vergangener Ent- scheidungen können z. B. Risikocontroller zeigen, dass die Entscheidungsqualität unter Berücksichtigung von Risiko- und Chancenszenarien höher gewesen wäre. ■ •Eine konkrete Liste an verschiedenen ope- rativen und strategischen Geschäftsent- scheidungen ausarbeiten, die künftig am meisten von zusätzlicher rationaler Risiko- information profitieren würden, damit eine bessere Balance zwischen Intuition und Rationalität hergestellt werden kann. Vielfach sind anstehende Entscheide und deren Konsequenzen in eine zu optimisti- sche Richtung verzerrt, weil Risiken nur un- vollständig repräsentiert sind und Chancen tendenziell überbewertet werden. ■ Das Management überzeugen, dass aktu- elle Risikoanalysen aus dem ERM direkt in alle Meetings der Unternehmensführung aufgenommen werden. Entscheidungs- träger hätten risikorelevante Informatio- nen damit zum richtigen Zeitpunkt, d. h. während der Entscheidungsfindung. Die- se einfache, aber ef fektive Maßnahme kann dazu beitragen, das Risikobewusst- sein nachhaltig zu schärfen und die Rele- vanz von ERM signifikant zu erhöhen. ■ Konkrete Änderungen z. B. an MS Power- Point-Templates ausarbeiten, die normaler- weise für Meetings der Unternehmensfüh- rung verwendet werden. Das Einfügen ei- ner einzigen Folie in solchen Vorlagen mit dem Folientitel „Risiken im Zusammen- hang mit den Entscheidungen und mögli- che Maßnahmen“ o. ä. können dazu beitra- gen, das Risikobewusstsein der Entschei- dungsgremien maßgeblich zu erhöhen. ■ Verzicht auf die aufwendige Produktion ei- nes jährlichen, umfassenden (isolierten) Ri- sikoberichts an die Unternehmensführung. Stattdessen sollen Risiko- und Chancenin- formationen ad hoc genutzt werden, wenn sie tatsächlich relevant sind – nämlich zum Zeitpunkt anstehender Entscheidungen. ■ Integration von risikopolitischen Grundsät- zen in die verschiedenen Reglemente, Kom- petenzregelungen, Strategiedokumente und sonstigen Weisungen bzw. Verordnun- gen im Unternehmen. Damit wird erreicht, dass risikorelevante Leitplanken näher an (dezentrale) Entscheidungsprozesse ge- bracht werden, anstelle sie lediglich in einer separaten Risikopolitik zu vereinen. Der Schritt vom traditionellen Risk Manage- ment zum modernen ERM scheint auf der Hand zu liegen, ist jedoch in Praxis oft kein einfacher: Er erfordert ein klares Bekenntnis von der Unternehmensführung und bringt organisatorische, prozessuale und kulturelle Veränderungen mit sich. Es sind aber auch die ERM-Verantwortlichen selbst, die mage- blich an der künftigen Weiterentwicklung von entscheidungsorientiertem RM im Un- ternehmen beteiligt sind: Sie müssen verste- hen, dass die Unternehmensführung nicht am Umgang mit Risiken per se interessiert ist, sondern am Erreichen der strategischen und operativen Ziele bzw. daran, was davon abhalten könnte. Sie müssen sich selbst als Dienstleister verstehen, die einen wichtigen Beitrag zur Zielerreichung liefern, indem sie rationale Entscheidungsgrundlagen im Um- gang mit Unsicherheit schaffen. Literatur Gleiβner, Werner und Hunziker, Stefan (2019): Mit Enterprise RiskManagement die Entscheidungsqualität erhöhen. Expert Focus, Nr. 10, S. 745 – 749 Hunziker, Stefan (2019): Enterprise RiskManagement – Modern Approaches to Balancing Risk and Reward. Springer Gabler, Wiesbaden. Hunziker, Stefan und Durrer, Mirjamund Henrizi, Philipp und Hüter, Philippe, ERMReport 2019 (2019): Perspektiven von Geschäftsleitung, Verwaltungsrat und Interner Revision, Rotkreuz. Spetzler, Carl undWinter, Hannah undMeyer, Jennifer (2016): Decision Quality: Value Creation fromBetter Business Decisions. NewYork: Wiley. Abb. 3: Intuition versus Rationalität in Entscheidungsprozessen
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