Controller Magazin 9/10-2020
25 Controller Magazin | Ausgabe 5 RISIKOMANAGEMENT & RATING Entscheidungsqualität: Die Rolle von ERM Eine der wohl wirksamsten Maßnahmen, die Wahrnehmung der Unternehmensführung über Sinn und Zweck eines ERM positiv zu beeinflussen, ist die Integration von risikore- levanten Informationen in die verschiede- nen Entscheidungsprozesse. Die Durchfüh- rung von Risikobewertungen anhand von verschiedenen Szenarien für alle wichtigen Geschäf tsentscheidungen kann die Ent- scheidungsqualität im Unternehmen deut- lich erhöhen und demManagement rationa- le, risikoadjustierte Entscheidungsalternati- ven liefern. In der Praxis besteht jedoch die latente Gefahr, dass die Entscheidungsquali- tät («gute oder schlechte Entscheidung») mit einem guten oder schlechten Ergebnis einer Entscheidung verwechselt wird. Dies kann unter anderem zu falschen Schlussfolgerun- gen über die Leistung und Qualität einer Ri- sikobewertung führen. Interessanterweise werden gute Entscheidungen nicht nur un- ternehmensintern oft mit guten Ergebnis- sen gleichgesetzt, sondern auch Externe wie Politiker, Berater oder Journalisten neigen dazu, zu wenig zwischen Entscheidungen und Ergebnissen zu unterscheiden (vgl. Spetzler et al. 2016, S. 6). Der Fokus folgen- der Ausführungen bezieht sich explizit auf die Relevanz von ERM zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung. Ein ERM kann fol- gende Entscheidungsprozesse und -situatio- nen unterstützen: ■ Sorgfältig entwickelte und quantifizierte Risiko-Szenarien können die Bandbreite an Unsicherheit strategischer Entscheidun- gen aufzeigen und ergänzen die oftmals eher intuitive Entscheidungsfindung der Unternehmensführung. So sind z. B. Fi- nanzverantwortliche daran interessiert, wie hoch der aktuelle (vor Entscheidung) und künftige (nach Entscheidung) Risiko- umfang einer strategischen Invesition ist und wie viel risikotragendes Eigenkapital dafür zur Verfügung stehen muss. Sie soll- ten aktuelle Risiko-Szenarien und deren po- tentielle Auswirkungen auf die Liquidität, Eigenkapital und Renditeziele kennen – al- les relevante Parameter bei der Entschei- dungsfindung. Oft ist der Risk Manager nicht Mitglied der Geschäftsleitung, gerade dann kann der Finanzverantwortliche zum wichtigsten ERM-Repräsentant werden und eine wichtige Rolle bei der Berücksich- tigung von ERM in Entscheidungsgremien einnehmen (vgl. Hunziker, 2019, S. 133 f.) ■ Anhand von rationalen Risikoinforma tionen kann die Entscheidungsqualität verbessert werden, indem die Vergleich- barkeit verschiedener strategischer Op- tionen und der damit verbundenen Risi- ko-Ertrags-Profile erhöht wird. Damit kann ein ideales, mit dem Risikoappetit abgeglichenes Business Portfolio er- reicht werden. Quantifizierte Risiko-Sze- narien ermöglichen eine Art „Stresstest“ auch für Nicht-Finanzunternehmen, in- dem sie verschiedene strategische Ent- scheidungen und deren Auswirkungen auf den Risikoumfang vergleichbar ma- chen. Letztendlich lassen sich damit u. a. Entscheidungen bez. Markteintritte oder Investitionen in bestimmte Produktli- nien unterstützen. ■ In Analogie zur Finanzbranche (Value at Risk) können Nicht-Finanzunternehmen ähnliche „Unternehmenswert at Risk“- Berechnungen anstellen und die Ergeb- nisse mit einem vordefinierten Risikoappe- tit vergleichen. So führt z. B. eine risiko basierte Simulation des Unternehmens- wertes zur Erkenntnis, dass mit einer Eintretenswahrscheinlichkeit von mehr als 10% im nächsten Jahr ein Drittel des Un- ternehmenswertes vernichtet werden könnte. Diese Erkenntnis löst entsprechen- de Entscheidungsprozesse aus: Die Unter- nehmensführung muss über Maßnahmen entscheiden, ob der Risikoumfang redu- ziert wird oder ggf. eine Erhöhung des Risi- koappetits angebracht ist. ■ Gut ausformulierte Risikoappetit-Aussa- gen können weitere Entscheidungspro- zesse unterstützen, die z. B. auf operati- ven Kennzahlen wie EBITDA oder EBIT ba- sieren. Z. B. weist eine anstehende Ent- scheidung zum Markteintritt eine 15% Wahrscheinlichkeit auf, dass ein sehr pes- simistisches Risiko-Szenario den geplan- ten EBIT in den nächsten zwei Jahren um zwei Drittel reduziert. Je nach definiertem Risikoappetit kann diese Option entweder genehmigt oder abgelehnt werden. ■ Durch eine quantifizierte Bewertung von Risikosteuerungs-Maßnahmen können bessere Entscheidungen unter Kosten- Nutzen-Überlegungen getroffen werden: Unternehmen können ein Maßnahmen- ranking entwickeln, das die Kosten einer Maßnahmen-Umsetzung in Relation zum Wert der Risikoreduktion stellt. So kann z. B. teures Eigenkapital eingespart wer- den, wenn Versicherungen (=Risikotrans- fer) abgeschlossen werden. ■ Falls der Risikoappetit den Risikoumfang übersteigt, müssen Risikominderungs- Optionen geprüft und entschieden wer- den. Solche Maßnahmen können die Ein- trittswahrscheinlichkeit(en) und/oder die Auswirkung(en) eines spezifischen Risi- kos reduzieren. Der Fokus sollte auf der Risikoprävention liegen, d. h. Maßnah- men zur Steuerung der Eintrittswahr- scheinlichkeit sind grundsätzlich prioritär zu diskutieren. ■ Entscheidungen im Rahmen der Unter- nehmensplanung (z. B. Finanzplanung, Budgetierung) können durch die Einbin- dung von ERM-Informationen unter- stützt werden. Ist z. B. die Wahrscheinlich- keit zu gering, dass der aktuelle Plan unter Berücksichtigung von Unsicherheit reali- siert werden kann, können zusätzliche, risi- komindernde Maßnahmen verabschiedet werden. Die Berücksichtigung von Risiko- Szenarien im Finanzplanungsprozess er- möglicht einen rationaleren, formaleren und risikobasierten Entscheidungspro- zess. Ein durch ERM unterstützter Pla- nungsprozess führt letztlich zu einem aus- gewogeneren Risiko- und Ertragsmanage- ment und damit zu Mehrwert. ERM kann, wie eben gezeigt, in vielerlei Hin- sicht zu höherer Entscheidungsqualität füh- ren. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn der «regulatorische RM-Ansatz», der traditionellerweise auf die Risikominimie- Summary Um Mehrwert zu schaffen, muss ein En- terprise Risk Management (ERM) Infor- mationen so aufbereiten, dass (strategi- sche) Entscheidungen eine höhere Ent- scheidungsqualität erhalten. Erfreulicher- weise haben in den letzten Jahren einige Unternehmen begonnen, moderne ERM- Ansätze einzuführen. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, wie ein ERMdie Entschei- dungsqualität positiv beeinflussen kann. Anschließend werden die Kernergebnisse einer Schweizer Praxiserhebung aufge- zeigt und mit den konzeptionellen Anfor- derungen abgeglichen. Einige konkrete Handlungsempfehlungen an die Praxis runden den vorliegenden Beitrag ab.
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