Controller Magazin 9/10-2020
9 Controller Magazin | Ausgabe 5 RISIKOMANAGEMENT & RATING risikos führt letztlich zu unternehmeri- schen Fehlentscheidungen. Es stellt sich damit die Frage, was getan wer- den muss, damit das Themenfeld Rating und Insolvenzrisiko in Theorie und Praxis der Betriebswirtschaft adäquat beachtet wird. Aufgrund dieser Überlegungen erscheinen dabei folgende Ansatzpunkte wichtig: 1) In der betriebswirtschaftlichen Forschung, speziell auch bei den Veröffentlichungen in den wissenschaftlichen Journals, sollte das Paradigma der Vollkommenheit von Märkten (endlich) aufgegeben werden. Re- ale Rating- und Finanzierungsrestriktio- nen sollten bei wissenschaftlichen Veröf- fentlichungen, z.B. zur Unternehmensbe- wertung und Finanzierungstheorie grund- sätzlich betrachtet werden. Dies geht natürlich nur, wenn Herausgeber und Re- viewer für die Bedeutung dieses Themas sensibilisiert sind (wozu dieser Beitrag ein wenig beitragen soll). 2) Für die praktische Umsetzung ist es we- sentlich, dass die Bedeutung von Rating und Insolvenzwahrscheinlichkeit in den für die Praxis wesentlichen Standards ver- ankert wird. Dies bedeutet z.B., dass ‒ die Insolvenzwahrscheinlichkeit als Spitzenkennzahl des Risikomanage- ments und Maß für den „Grad der Bestandsgefährdung“ in Risikomana gementstandards verankert wird, 22 ‒ in Standards für die Unternehmens- bewertung, wie z.B. dem IDW S1, die Notwendigkeit der Schätzungen und Berücksichtigung der Insolvenzwahr- scheinlichkeit für eine sachgerechte Unternehmensbewertung betont wird, 23 ‒ die für Bilanzierung und Jahres abschluss-Prüfung relevante „Going- Concern-Prämisse“ klar mit der Insolvenzwahrscheinlichkeit verknüpft wird (bis zu welcher Insolvenzwahr scheinlichkeit eines Unternehmens kann man von „Going-Concern“ 24 ausgehen? 25 ) und ‒ die Insolvenzwahrscheinlichkeit zur zentralen Größe für die Beurteilung der Sanierungsfähigkeit von Unter- nehmen wird. 26 3) Schließlich ist eine Sensibilisierung für die Bedeutung von Rating und Insol- venzwahrscheinlichkeit durch mehr Kommunikation notwendig. Dazu tra- gen Veröf fentlichungen wie die vorlie- gende bei, ebenso wie die Betrachtung des Themas als wesentlichen Spezialfall des breiteren Themenfelds „Risiko“ bei Konferenzen (z.B. in Deutschland bei der Konferenz der Schmalenbach-Gesell- schaft, dem Controller Congress des In- ternationalen Controller Vereins (ICV), der Jahreskonferenz für alle Bewertungs- Professionals der EACVA und der Jahres- konferenz der RRMA). Fazit Rating und Insolvenzwahrscheinlichkeit ha- ben eine grundlegende Bedeutung in der Betriebswirtschaft. In der realen Welt gibt es Rating- und Finanzierungsrestriktionen, die zu Insolvenzen führen und die Wahr- scheinlichkeit einer solchen Insolvenz ist we- sentlich z.B. für die Unternehmensbewer- tung oder Finanzierungsentscheidungen. Bisher werden beide Aspekte in der Be- triebswirtschaft, sowohl in Theorie wie auch in Praxis, zu wenig beachtet. Ursächlich da- für ist einerseits der Sachverhalt, dass große Teile der heutigen Betriebswirtschaftslehre auf demneoklassischen Paradigma vollkom- mener Märkte basieren, das keine Rating- und Finanzierungsrestriktionen und damit keine Insolvenzen kennt. Ratingtheorie und Ratingmethoden, die sich quasi in einer Ni- sche der Kreditvergabeentscheidungen ent- wickelt haben, sind entsprechend mit ande- ren Bereichen der Betriebswirtschaftslehre nur unvollständig verknüpft. Dazu trägt si- cherlich auch bei, dass Menschen insgesamt dazu neigen, Risiken im Allgemeinen, und das Insolvenzrisiko im Speziellen, zu ver- drängen. Eine Sensibilisierung für die Be- deutung der Insolvenzwahrscheinlichkeit speziell bei „unternehmerischen Entschei- dungen“ (§ 93 AktG) ist erforderlich. Um hier der Bedeutung des Themas in der betriebs- wirtschaftlichen Praxis gerecht zu werden, sollte das Thema konsequent im wissen- schaftlichen Schrifttum Beachtung finden (eine Veröffentlichung basierend auf der Hy- pothese, dass Finanzmittel einfach unbe- schränkt zur Verfügung stehen und Insol- venzen nicht auftreten können, ist realitäts- fern). Dies wiederum ist eine wichtige Grundlage dafür, dass die Themen Rating und Insolvenzwahrscheinlichkeit in der be- triebswirtschaf tlichen Ausbildung und in den Studiengängen adäquat Berücksichti- gung finden. Literaturverzeichnis Adam, S. (2007): Das Going-Concern-Prinzip in der Jahresabschlussprüfung, Wiesbaden. Baule, R. (2019): The cost of debt capital revisited, in: Business Research, Vol. 12, No. 2 (Dezember 2019), S. 721-753. Behringer, S./Gleißner, W. (2018): Die Unternehmenspla- nung als Grundlage für die Unternehmensbewertung, in: WPg, 71. Jg., Heft 05/2018,S. 312-319. Bemmann, M. 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