Controllermagazin 6/2020

89 Controller Magazin | Ausgabe 6 HINTERGRUND Sailer: Meines Erachtens wird es zunehmend klarer, dass man sich eine Defensivstrategie nicht dauerhaft erlauben kann . Sämtliche PKW-Hersteller bieten mittlerweile elektrifi- zierte Fahrzeuge an, manche haben bereits das Ende des Verbrennungsmotors zeitlich fixiert und andere haben erst jüngst die ers- ten Modelle auf den Markt gebracht. Man- che reagieren eher auf regulatorischen Druck und andere sehen hierin große Chancen. Oder denken wir an das mittlerweile breite Angebot von Bioprodukten beimDiscounter. Biel: Gibt es auch hier Untersuchungen an Ihrem Lehrstuhl? Sailer: Ja die gibt es. Bei einer jüngst an mei- nem Lehrstuhl durchgeführten Erhebung zeigte sich etwa, dass sich die oftmals kri- tisch betrachteten handelseigenen Nach- haltigkeitslabels auf Produkten qualitativ keinesfalls hinter den unabhängigen Labels verstecken müssen. Biel: Aber, es gibt doch noch vieles, was der Nachhaltigkeit entgegenwirkt, sich als hin- derlich erweist… Sailer: Natürlich gibt es auchWiderstände , wie bei jeder notwendigen Verhaltensän- derung. Ein komplexes System, über Jahr- zehnte entwickelt, verändert sich nicht bin- nen kurzer Zeit. Einerseits sind es Gewohn- heiten , andererseits sind zahlreiche Mana- ger und Controller durch vielfältige Anforderungen so stark belastet , dass man halt erst dann reagiert, wenn es unbe- dingt sein muss. Ein international tätiger mittelständischer Dienstleister erklärte kürzlich, dass er aufgrund eines fehlenden Nachhaltigkeitsmanagements Auf träge verloren habe. Auf traggeber forderten Nachweise in Form eines Nachhaltigkeits- ratings ein und dieses sei entsprechend schlecht ausgefallen. Dies markiert nun den Startpunkt für eine systematische Be- schäftigung mit der Nachhaltigkeit. Biel: Ihr letzter Satz ist ein Plädoyer, dass Nachhaltigkeit nicht nur sinnvoll ist, son- dern sich auch rechnen kann. Rechnet sich Nachhaltigkeit? Sailer: Ob sich Nachhaltigkeit rechnet, wur- de vielfach untersucht. Vereinfachend ge- sagt: Nachhaltigkeit scheint sich eher zu rechnen , es liegt aber alles andere als ein Automatismus vor und das Ergebnis der Stu- die hängt vor allem von deren Design und vom Bewertungsmaßstab ab. Biel: Gibt es dabei einen Unterschied zwi- schen kurzfristiger und langfristiger Sicht- weise? Sailer: Stark vereinfacht könnte man zusam- menfassen, dass kurzfristig im Durch- schnitt der wirtschaftliche Erfolg unter der Nachhaltigkeit nicht leidet und langfristig ist zu erwarten, dass Nachhaltigkeit überle- bensnotwendig ist . Biel: Unternehmen wollen und müssen wirt- schaftlich erfolgreich sein. In der Diskussion wird oft der Triple-Bottom-Line-Ansatz an- geführt. Dieser Ansatz beschreibt, dass un- ter dem Begriff der Nachhaltigkeit ein dau- erhafter Ausgleich zwischen der ökonomi- schen, der ökologischen und der sozialen Leistung angestrebt wird. StoßenManager/- innen und Controller/-innen hier auf eine besondere Balanceaufgabe? Was bedeutet dies für die Zielorientierung sowie für die Zielgewichtung und -hierarchien der Unter- nehmen? Brauchen wir zunächst einen Kon- sens, wie sich ein Unternehmen zur Nach- haltigkeit positionieren kann und will? Sailer: Ja hier braucht man einen grundsätz- lichen Konsens und zwar, wie bereits zuvor angesprochen, vor allem auf der Ebene der Shareholder, der Stakeholder und des Top- managements. Sollten die drei zum Ergeb- nis kommen, dass ökonomische Ziele am wichtigsten sind, ist keine besondere Balan- ce erforderlich. Ohne eine gemeinsame Vor- stellung, also einer Zielklärung auf oberster Ebene , wird dies anschließend nur zu Irrtü- mern, Enttäuschungen und auf der operati- ven Ebene schließlich zu Frust führen. Aus nicht wenigen Unternehmen kennt man zwar umfangreiche öffentliche Bekenntnis- se zur Nachhaltigkeit, aber wenn das Quar- talsergebnis bedroht ist, zählen nur noch wirtschaf tliche Kriterien. In diesen Unter- nehmen fehlt der Konsens oder dieser be- steht darin, dass wirtschaf tliche Ziele im Konfliktfall priorisiert werden . Biel: In Veröffentlichungen werden Ökono- mie, Ökologie und Soziales vielfach als kon- fliktär gesehen. Ist das wirklich so gegeben oder eher eine vorbelastete Sichtweise? Sailer: Bei der Diskussion um die Balance sollten zwei Dinge beachtet werden.  ■ Erstens ist es keinesfalls so, dass zwischen der Ökonomie, dem Sozialen und der Ökologie vorrangig Konflikte bestehen. Nicht selten fördern diese sich gegenseitig oder man kann sie durch eine kluge Aus- gestaltung dazu bringen. Das Bild eines ständigen Verteilungskampfes, den es temporär natürlich mal geben kann, ist unzureichend.  ■ Zweitens ist die Aufgabe des „Balancehal- tens“ keinesfalls eine neue Aufgabe. Schon immer zeichnet sich ein guter Ma- nager etwa dadurch aus, dass die Qualität gut aber der Preis nicht zu hoch ist, dass die Mitarbeiter effizient aber auch zufrie- den sind, dass ein Lieferant günstig liefert und dennoch dabei wirtschaftlich gesund bleibt. Der Alltag im Management, aber auch im Privatleben, ist ständig vom Ba- lancehalten geprägt . Nur einseitig zu op- timieren, ohne Rücksicht auf Verluste, wäre zu einfach. Und das ist auch bei der Nachhaltigkeit so. Biel: Ähnlich anderen Controllingkonzepten unterstützt das Nachhaltigkeitscontrolling das Nachhaltigkeitsmanagement mit der Informationsversorgung. Dabei können die Instrumente des klassischen Controllings nur begrenzt genutzt werden. Wo sehen Sie kurz und knapp die wesentlichen Besonder- heiten und Schwierigkeiten des Nachhaltig- keitscontrollings? Sailer: Schwierigkeiten bestehen in einer teils noch unbekannten oder schwierigen Mess- barkeit von Nachhaltigkeitsdaten wie auch in deren Abgrenzung. Dazu zwei Beispiele.  ■ Wie tief sollte man beispielsweise in der Beschaf fungskette gehen, um ökologi- sche und soziale Aspekte zu erfassen?  ■ Oftmals ist auch unklar, welche konkreten sozialen und ökologischen Ergebnisse zu- friedenstellend sind. Biel: Controlling wird also unter demAspekt der Nachhaltigkeit vielschichtiger, hetero- gener und diffiziler, weil ökonomische Grö- ßen und Größen der Nachhaltigkeit unter- schiedlich sind. Sailer: Ja, dieser deutliche Hinweis ist be- rechtigt. Hier sehe ich mehrere Aspekte:  ■ Ökonomische Ziele sind meist klar defi- niert und durch das Rechnungswesen gibt es einen weithin akzeptierten Datenpool.  ■ Durch die Erweiterung des Controllings steigt zudem die Komplexität . Es sind

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