Controllermagazin 6/2020

88 Controller Magazin | Ausgabe 6 HINTERGRUND und Shareholdern bzw. demManagement als Sharehol- der-Vertreter geraten. Sailer: Der Einwand ist berechtigt. Ich halte den Stake- holderdialog nicht für den zentralen Hebel, um nachhal- tig zu agieren. Formal liegt die Entscheidungsgewalt bei den Shareholdern und faktisch auch zu einem großen Anteil beim Topmanagement. Falls hier keine Überzeu- gung für nachhaltiges Handeln besteht, wird auch der Stakeholderdialog nicht viel bewegen. Im gegensätzli- chen Fall kann der Dialog vielfältige Chancen für ein ge- genseitiges Lernen bieten, wodurch die Entscheidungs- qualität etwa in der Produktpolitik, in der Beschaffungs- und Produktionsweise oder in der Mitarbeiterführung gesteigert werden kann. Biel: Werfen wir einen Blick auf die Investorenanforde- rungen. Der Finanzbereich spricht vermehrt von ESG- Faktoren (Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren). Es werden ESG-Anlagen angeboten, seit geraumer Zeit gibt es einen ESG-Dax. Bei aller Diskussion und Kritik am ESG-Kürzel fragt sich, kommt auch auf der Investo- renseite mehr in Bewegung, kommt die Nachhaltigkeit auch deutlicher im Finanzmarkt an? Wird der Wert der Unternehmen künftig verstärkt auch daran bemessen, wie sie unter Nachhaltigkeitsaspekten abschneidet? Be- kommen wir neue Anstöße, Nachhaltigkeit auch zu messen, etwa in Form des Social Accounting? Sailer: Die zunehmende Sensibilität der Finanzmärkte für Fragen der Nachhaltigkeit halte ich für eine äußerst positive Entwicklung. Investoren, die Nachhaltigkeit einfordern und diese kritisch beobachten, wirken sehr direkt auf die Unternehmen und auf die Entscheidungs- träger. Biel: Können wir an dieser Stelle ins Detail gehen? Sailer: Natürlich, bitte lassen Sie mich einige Aspekte ins Feld führen:  ■ Plötzlich geht es nicht mehr nur darum, gesetzliche Anforderungen zu erfüllen und Nachhaltigkeit vor al- lem als die Erfüllung regulatorischer Anforderungen zu verstehen.  ■ Die Investoren betrachten die Nachhaltigkeit vielmehr aus einer unternehmerischen Sicht. Sie sind an der Wertsteigerung interessiert und alle Gefahren und Schäden aus einem unzureichenden Nachhaltigkeits- management gefährden die positive Entwicklung.  ■ Es geht aber nicht nur um die Abwehr von Schäden, sondern vor allem auch darum, die Chancen und Po- tenziale aus der Entwicklung nachhaltiger Produkte und Geschäftsmodelle zu heben.  ■ Wenn die Finanzmärkte durch ihre Allokationsfunk- tion für Investorengelder Einfluss auf die Unterneh- men ausüben, wird dies für kapitalmarktorientierte Unternehmen wohl mehr Wirkung zeigen als regula- torische Vorgaben. Biel: Stakeholder kümmern sich somit um Interessen, die außerhalb ihrer Bilanz bzw. ihres Quartalsberichtes liegen? Nicht nur Profit- und Kostendenken, sondern langfristigeWerterhaltung bzw. Wertschaffung? Sailer: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Inter- essant ist in der Tat, dass der Shareholder, der in der öf- fentlichen Meinung oftmals als kurzfristig und einseitig wirtschaftlich agierend angesehen wird, zu einem be- deutsamen Treiber für den Wandel zur Nachhaltigkeit wird. Fondsmanager und Ratinggesellschaften schau- en dabei meist recht genau auf das tatsächliche Nach- haltigkeitsmanagement und lassen sich kaum durch Absichtserklärungen und wohlmeinende Formulierun- gen abspeisen. Es müssen Ergebnisse vorgelegt werden, weshalb ökologische und soziale Erfolge quantifiziert, gemessen und gesteuert werden müssen. Biel: Als dritten Treiber der Nachhaltigkeit lassen Sie uns bitte einen schnellen Blick auf die gesetzliche Ver- pflichtung zur Nachhaltigkeitstransparenz werfen. Beispielsweise muss nach § 289 HGB im Lagebericht auch über nicht-finanzielle Leistungsindikatoren, u. a. über Umwelt- und Arbeitnehmerbelange, berichtet werden. Bringt die Nachhaltigkeitstransparenz auch einen Handlungsschub – oder doch eher eine Pflicht- übung? Sailer: Ich war hier zu Beginn sehr kritisch und ging von einer Pflichtübung aus. Diejenigen Unternehmen, die vom CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz tatsächlich betroffen sind, würden doch größtenteils auch diejeni- gen sein, die schon bisher über die Nachhaltigkeit be- richtet haben – so meine Vermutung. Im Rahmen einer von mir betreuten Masterarbeit wurde dies durch eine empirische Erhebung jüngst überprüft. Es zeigte sich, dass die rechtliche Verpflichtung in vielen Unterneh- men tatsächlich zu einer höheren Bedeutung der Nachhaltigkeit geführt hat . Insbesondere scheinen Aufsichtsräte nun deutlich sensibilisierter zu sein und auf das Management entsprechend einzuwirken. Eben- falls wurde festgestellt, dass nicht wenige Unterneh- men ihr Berichtswesen zur Nachhaltigkeit verbessern und ausbauen mussten. Biel: Kommen wir bitte von der Anforderungs- zur Um- setzungsseite, womit auch das Controlling ins Spiel kommt. Wenn die Gründe für mehr Nachhaltigkeit ei- nerseits recht deutlich vorgetragen werden können, sto- ßen wir andererseits doch auf eine eher begrenzte Um- setzung der Nachhaltigkeit – zumindest in einem Teil der Unternehmen. Beobachten Sie bei den Unterneh- men eher eine Defensiv- oder eine Offensivstrategie im Umgang mit der Nachhaltigkeit? Welche Hindernisse und Widerstände nehmen Sie wahr? Hemmen Metho- denprobleme? „Rechnet“ sich Nachhaltigkeit nicht, vor allem im scharfenWettbewerb? Oder haben wir Proble- me mit einer einseitigen Ergebniszielausrichtung? Prof. Dr. Ulrich Sailer ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geis- lingen (HfWU) in Baden- Württemberg mit dem Schwerpunkt Controlling und Nachhaltigkeit. Er entwickelte und leitet den Masterstudiengang Controlling. Inhaltlich beschäftigt er sich insbesondere mit den Auswirkungen der Digitalisierung und der Nachhaltigkeit auf das Controlling. Zuvor war er in leitender Positionen in einem internationalen Konzern sowie imMittelstand tätig. ulrich.sailer@hfwu.de Dipl.-Betriebsw. Fachjournalist (FJS) Alfred Biel arbeitet heute als freier Fachjournalist für verschie- dene Medien als Autor, Interviewer und Rezensent. Er hat in verantwortlichen industriellen Tätigkeiten umfangreiche betriebswirt- schaftliche Erfahrungen erworben, und über den Fachjournalismus vielfältige journalistische Kenntnisse und intensive Fachkontakte gewonnen. Der Deutsche Fachjournalisten Verband DFJV und der Internationale Controller Verein ICV verliehen ihm die Ehrenmit- gliedschaft. alfred.biel@gmx.de

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