Controllermagazin 6/2020
84 Controller Magazin | Ausgabe 6 HINTERGRUND die Wahrscheinlichkeitsverteilung der jährli- chen Anzahl von Kündigungen wie folgt be- rechnet: Per Zufallsentscheid wird ein mögli- cher Wert für die Kündigungsquote aus dem Wertebereich der dahinter liegenden Parame- terverteilung, also der Betaverteilung, gezo- gen und als Wahrscheinlichkeit für das Risiko- ereignis „Kunde kündigt“ in das Verteilungs- modell der jährlichen Anzahl der Kündigun- gen eingesetzt. Anschließend wird ein Kündigungsszenario simuliert, indem eine Kündigungsanzahl aus dem so spezifizierten Verteilungsmodell zufällig ausgewählt wird. Dieser Simulationsschritt wird in einer ausrei- chend großen Anzahl N durchgeführt. Die da- raus resultierende Stichprobe enthält eine große Anzahl realistischer zukünftiger Szena- rien für die Kündigungsanzahl im nächsten Jahr und resultiert in einer neuen (empiri- schen) Verteilung der Kündigungsanzahl (Ab- bildung 3). Die anschließende Anwendung von Risikomaßen liefert schließlich das quan- tifizierte Kündigungsrisiko. Der direkte Vergleich zwischen den Vertei- lungen der jährlichen Anzahl von Kündi- gungen, einmal mit einer „auf den Punkt genau“ geschätzten Kündigungsquote p (klassische Lösung) und andererseits mit ei- ner unterstellten Verteilung für den Para- meter p (der Bayesschen Lösung) zeigt, dass die Unsicherheit über den unbekann- ten Parameter p das Risikomodell verän- dert. Sind verschiedene Werte für die Kün- digungsquote plausibel, führt dies dazu, dass auch jährliche Kündigungen rund um die ursprünglich wahrscheinlichste Anzahl von 5 Kündigungen stärker berücksichtigt werden, was wiederum in höheren Ein- trittswahrscheinlichkeiten resultiert. Unter Berücksichtigung von Parameterunsicher- heiten werden auch größere Werte „etwas wahrscheinlicher“ werden. Anwendung von Risikomaßen Wird im Rahmen der Risikobewertung der durchschnittliche Schaden aus Kündigun- gen in der unternehmerischen Planung be- rücksichtigt und lediglich die Abweichung vom erwarteten Schaden als Risiko verstan- den, eignen sich beispielsweise die Stan- dardabweichung und der Value-at-Risk als Risikomaße: ■ Anhand der klassischen Lösung kann zu- nächst der erwartete Schaden aus der durchschnittlichen Kündigungsanzahl abgeleitet werden: Die durchschnittliche Kündigungsanzahl unter Berücksichti- gung der Binomialverteilung mit n=250 und p=0,02 beträgt n∙p=5, daraus ergibt sich ein durchschnittlicher Schaden durch Kündigungen i. H. v. 25.000 EUR (5 ∙ 5.000 EUR). Das Kündigungsrisiko kann nun mit Hilfe der Standardabweichung der Kündigungsanzahl ausgedrückt wer- den. Die tatsächliche jährliche Kündi- gungsanzahl weicht durchschnittlich um n ∙ p ∙ (1-p) = 2,21 Kündigungen von der durchschnittlichen Kündigungsanzahl ab. Wird also das Kündigungsrisiko mit der Standardabweichung gemessen, dann wird das Risiko mit 11.050 EUR be- wertet. In der Bayesschen Lösung beruht die Verteilung der jährlichen Kündi- gungsanzahl auf den N Kündigungssze- narien. Diese werden ausgewertet, indem daraus die durchschnittliche Kündigungs- anzahl berechnet wird. Sie beträgt 5,65, woraus sich ein durchschnittlicher Scha- den von 28.250 EUR ergibt. Das Kündi- gungsrisiko wird mit 16.650 EUR bewertet, und ergibt sich aus der Standardabwei- chung der Kündigungsanzahl von 3,33. ■ Wird das Kündigungsrisiko mit dem Va- lue-at-Risk gemessen, ergibt sich mit der klassischen Lösung beispielsweise das Kündigungsrisiko i. H. v. 15.000 EUR, wel- ches mit einer Wahrscheinlichkeit von 5% nicht überschritten wird. Unter Berück- sichtigung von Parameterunsicherheiten fällt das Kündigungsrisiko höher aus, die Bayessche Lösung ergibt 23.250 EUR zum selben Konfidenzniveau. Neue Erkenntnisse berücksichtigen Die zeitpunktbezogene Quantifizierung des Kündigungsrisikos mit den Methoden der Bayesschen Statistik besitzt auch für die fort- laufende Risikoquantifizierung, also im Rah- men einer jährlichen oder ad-hoc Aktualisie- rung des Risikomodells, Vorteile. Sie gewähr- leistet, dass jederzeit neue Erkenntnisse über das Risiko transparent in das Prognose- modell einfließen können, so ein Lernpro- zess stattfinden kann und die Informations- basis der Quantifizierung verbessert wird. Das bisherige Wissen wird durch die ur- sprüngliche Verteilung des Parameters, die sogenannte A-priori-Verteilung von p , zum Ausdruck gebracht. Neue Informationen über den zu bewertenden Sachverhalt flie- ßen wie in Abbildung 4 ein und resultieren in einer aktualisierten Verteilung des Parame- ters, der sogenannten A-posteriori-Vertei- lung von p . Das Datenmodell ist im Praxis- beispiel eine Binomialverteilung. Abb. 3: Verteilungsmodell ohne undmit Berücksichtigung der Parametersicherheit
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