Controllermagazin 6/2020
83 Controller Magazin | Ausgabe 6 HINTERGRUND Mit diesen Angaben könnte das Unternehmen im nächsten Schritt berechnen, wie groß der zu erwartende Schaden bei einer angenommenen Kündigungsquote von p=0,02 ist und welches Eigenkapital notwendig ist, um den Schaden abzupuffern. Zu beachten ist jedoch, dass der Parameter p in der Praxis unbekannt ist, lediglich anhand externer In- formationen konnte dieser Parameter hier geschätzt wer- den. Sind ferner weitere Informationen bekannt, beispiels- weise kann der neue Mitarbeiter aufgrund langjähriger Be- rufserfahrung verschiedene Kündigungsquoten in Abhän- gigkeit von Konjunktur, Ort und Alter des Objektes schätzen und somit die externen Informationen ergänzen, führt die angenommene Kündigungsquote von p=0,02 als Entscheidungsgrundlage unweigerlich zu Prognoseunsi- cherheiten. Umgekehrt sollten alle verfügbaren Informati- onen in die Risikoquantifizierung einfließen, um die Schätzunsicherheiten des Prognosemodelles zu reduzie- ren. Dies kann dadurch erfolgen, dass der Parameter p selbst durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung beschrie- ben wird, Gleißner (2017) bezeichnet diese Verteilung als eine „Wahrscheinlichkeitsverteilung zweiter Ordnung“. Schritt 2 der Risikomodellierung: Der Parameter Für die Kündigungsquote p ist in der Praxis kein Wert verfügbar, der die Realität exakt darstellen kann. Jeder Wert für p, der in der Risikoquantifizierung verwendet wird, ist eine Schätzung und bildet die Realität nicht voll- ständig ab. Vielmehr ist es sogar unwahrscheinlich, dass der unbekannte Wert exakt durch die Schätzung getrof- fen wird. Im Kontext der Bayesschen Statistik wird ein Verteilungsparameter selbst als unsichere Größe aufge- fasst. Der Glaube an mögliche Werte für p wird durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung zum Ausdruck ge- bracht. Dies hat den Vorteil, dass kein exakter Wert für p in der Risikoquantifizierung zu berücksichtigen ist. Die Bayessche Statistik macht es möglich, Vorwissen und Schätzungen zur Bestimmung der Verteilung zu berück- sichtigen. Ob es sich dabei um rein subjektive Annahmen handelt oder ob erste (historische) Daten verwendet wer- den oder vielleicht eine Mischung aus beidem existiert, spielt keine Rolle. Innerhalb der Verteilung können einzel- ne Wertebereiche von p wahrscheinlicher oder unwahr- scheinlicher sein. Die Verteilung repräsentiert damit das vorhandene Vorwissen und die getroffenen Annahmen. Welche Rahmenbedingungen gibt es für dieses Beispiel? Der Parameter „jährliche Kündigungsquote“ kann nur po- sitive Werte annehmen und nimmt nur Werte im Intervall von 0 bis 1 an (d. h. von 0% bis 100%). Auf Basis der Erfah- rungen des Mitarbeiters wird davon ausgegangen, dass die jährliche Kündigungsquote mit einer Wahrscheinlich- keit von 80% höchstens 3% beträgt. Dass die Kündigungs- quote dagegen größer als 5% ausfällt, ist unwahrschein- lich und tritt für Neubauten nur in 1% aller Fälle ein. Unter Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen kann mit Hilfe einer Statistik-Software für den Parameter p eine Betaverteilung, wie in Abbildung 2 (rechte Seite) un- terstellt, verwendet werden. Ihr Wertebereich liegt zwi- schen 0 und 1. Ferner hat sie den Vorteil, dass sie in der Bayesschen Statistik die sogenannte „konjugierte A-priori- Verteilung“ der Binomialverteilung ist. Die Verwendung solcher konjugierter Parameterverteilungen ermöglicht in der Praxis eine einfachere statistische Auswertung. Im Bayesschen Ansatz liegt nun eine Verteilung für den Pa- rameter vor, der wiederum in der Verteilung der jährlichen Anzahl von Kündigungen „eingebettet“ ist. Um die Para- meterunsicherheit in dem Risikomodell quantitativ zu be- rücksichtigen, wird mit Hilfe einer Monte-Carlo-Simulation Abb. 2: Punktwert vs. Verteilung (in Anlehnung an GabrieleWieczorek, Oliver Disch 2019, S. 46) Oliver Disch ist Wirtschaftsingenieur und leitet das Risikomanagement eines kommunalen Querverbundunternehmens. Beim Einsatz von adäquaten Quantifizierungstools für Risiken setzt er auf praktikable, fundierte statische Verfahren und auf neue Ansätze, wie die Bayessche Statistik. oliver.disch@posteo.de Prof. Dr. Gabriele Wieczorek ist Professorin für industrielle Statistik undWahrschein- lichkeitstheorie an der Hochschule Hamm-Lipp- stadt. Sie lehrt und forscht zu Themen des Risikoma- nagements, insbesondere zur Risikoquantifizierung und demManagement von Modellrisiken. gabriele.wieczorek@hshl.de
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