Controller Magazin 6/2019

11 gegeben. Eine Daumenregel besagt, dass min- destens 50% der OKRs Bottom-up festge- legt werden soll. Diese Dezentralisierung der Maßnahmen fördert die Geschwindigkeit in der Umsetzung und benötigt eine gewisse Vertrau- enskultur . Gemeint ist das Vertrauen in die Fähigkeiten der „richtigen“ Mitarbeiter an den dezentralen Stellen, welche die strategischen Stoßrichtungen eigenverantwortlich adäquat umsetzen können. Dies erfordert die Festle- gung gewisser Leitlinien mit ausreichendem Entscheidungsspielraum und dezentrale Ent- scheidungskompetenz. Das Vertrauen und de- zentrale Empowerment erhöhen somit die Ge- schwindigkeit, da Entscheidungen nicht immer die gesamte Entscheidungskette bis auf Vor- standsebene durchlaufen müssen. Verkürzt: „Trust equals speed“ . Biel: Bitte lassen Sie nachfassen: Wenn wir uns von den spezifischen gegenwärtigen Rahmenbe- dingungen lösen, lässt sich diese Methode auch nachhaltig in die Unternehmenssteuerung veran- kern? Sie arbeiten in verschiedenen Funktionen mit den OKRs. Was sagt der Experte in Ihnen? Flinspach: Ich würde mich nicht intensiv mit dem Thema befassen, würde ich nicht das nachhaltige Potenzial für die Unternehmens- steuerung sehen. Auch und gerade für Unter- nehmen in traditionellen Branchen, die sich einem enormen Veränderungsdruck ausgesetzt sehen. Biel: Aber woran kann man dieses Potenzial – von dem Sie und andere sprechen – erken- nen? Können Sie uns mit einem Beispiel über- zeugen? Flinspach: Vor Kurzem beklagte sich ein CFO eines großen Automobilherstellers: Wir disku- tieren Stunden über geänderte Planungspara- meter und Abweichungen zum Budget. Aber keiner sagt mir, was wir in Zukunft anders ma- chen müssen, um die Situation zu verbessern. Genau darauf zielen die OKRs ab und darin liegt auch deren großes Potenzial. Im Rahmen unse- res Steuerungsansatzes St. Galler Performance Management Model (SPMM.ch ) beschreiben wir die Entwicklung von einem Kommando- und -Kontrolle-basierten Ansatz des Con­ trollings hin zu einem selbststeuernden Ansatz . Dieser adressiert die veränderten ein schon länger vorhandenes, immer virulenter werdendes Problem. Biel: Lassen Sie uns bitte einen Schritt tiefer gehen und grundsätzlicher werden. Erfordert unsere „schnelle Zeit“ auch eine Anpassung der Instrumente und Methoden? Worauf stützt man z. B. eine Marktanalyse, wenn man nicht weiß, wer morgen Kunde und Wettbewerber ist? Flinspach: Als Organisation müssen Sie sich heute fragen: Glauben wir an die absolute Planbarkeit in unserem Geschäft? Die OKRs stellen in gewisser Weise eine Abkehr vom Glauben an die absolute Planbarkeit dar. Das heißt, man versucht, nicht mehr für ein Jahr im Voraus detaillierte Maßnahmen zu pla- nen. Die OKRs setzen maximal 4 bis 5 quali- tative Ziele („Was wollen wir erreichen“) und jeweils 2 bis 4 Key Results („Wie wollen wir das Ziel erreichen“). Nach einem kurzen Zyklus von meist 3 Monaten wird der Fortschritt in Richtung Ziel gemessen und beurteilt. Das schnelle Feedback aus der Bewertung der Key Results wird genutzt, um die OKRs anzupassen und weiterzugehen. Biel: Ist somit dieser Ansatz aus Ihrer Sicht bei veränderten Umständen anpassungsfähiger und bei Entscheidungen wendiger? Flinspach: Die OKRs sind eben kein fixer Mas- terplan, sondern unterstützen das fortlau- fende Lernen und Anpassen . Durch das von Ihnen bereits angesprochene Prinzip der Parti- zipation werden nicht alle OKRs Top down vor- Der Paradigmenwechsel und die kontextspezifi- schen Herausforderungen in der Unterneh- menssteuerung durch die Einführung der OKRs werden oft unterschätzt. Biel: Ich verstehe Ihre Aussage dahingehend, bei Systemen und Methoden sollten wir auch auf das Umfeld und den Kontext sowie auf die charakteristische Stimmung in Wirtschaft und Unternehmen achten. Wir haben verschiede- ne Megatrends, insbesondere die Digitalisie- rung, leben in einer „VUKA-Welt“ (Schwan- kungen, Unsicherheit, Komplexität und Ambi- guität). Kurzum in einer Zeit voller Dynamik und Veränderungen. Die Unternehmen wollen und müssen beweglich und anpassungsfähig sein, oft auch mit dem Zauberwort „agil“ be- legt. Passt da nicht ein Konzept wie OKRs voll und ganz in die aktuelle Zeit und Situation? Sind OKRs also „zeitbedingt“, durch die Gege- benheiten wie z. B. rasante Veränderungen bedingt? Flinspach: Wir leben nicht erst seitdem es den Begriff „VUKA“ gibt in Zeiten des Wandels. Un- ternehmen haben schon länger Schwierigkei- ten bei der Umsetzung von neuen Strategien, wie eine Studie von Mankins und Steel aus dem Jahre 2005 zeigt. Viele erfolgreiche Unterneh- men haben auch bedingt durch ihre Steue- rungsinstrumente die bestehenden Geschäfts- modelle und Strategien verbessert und skaliert, aber nicht wirklich verändert. Der Verände- rungsdruck hat jedoch stark zugenommen und damit auch das Problembewusstsein. OKRs sind somit die zeitbedingte Antwort auf Autoren Dr. Tobias Flinspach ist Mitbegründer der PMC – The Performance Management Company, einem offziellen Spinn-Off der Universität St. Gallen. Er ist Lehrbeauftragter an den Universitäten St. Gallen und Bologna und leitet zahlreiche internationale Beratungs- und Transferprojekte. E-Mail: t.flinspach@pmc.group Dipl.-Betriebsw. Fachjournalist (FJS) Alfred Biel ist Autor, Interviewer und Rezensent verschiedener Medien mit betriebswirtschaftlichem und fachjournalistischem Studien­ abschluss. Er verfügt über reichhaltige Praxiserfahrung aus ver- antwortlichen Tätigkeiten in betriebswirtschaftlichen Funktionen großer und mittlerer Unternehmen. Der Deutsche Fachjourna- listen Verband DFJV und der Internationale Controller Verein ICV verliehen ihm die Ehrenmitgliedschaft. E-Mail: alfred.biel@gmx.de CM November / Dezember 2019

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