Tagen 1/2024

Der Veranstalter hatte nicht nur eine angesehene Persönlichkeit bloßgestellt, sondern auch einen wichtigen Gönner und einige irritierte Sponsoren verloren. Prof. Dr. Christian Rieck, Experte für Spieltheorie, erklärt in seinem aktuellen Buch „Anleitung zur Selbstüberlistung“ (Yes Publishing, München 2023, 368 Seiten, 25 Euro) was Kongressveranstalter aus diesem Beispiel lernen können. In der Regel ist jeder Veranstalter vor dem Beginn einer Rede fest entschlossen, einen Redner zu unterbrechen, sobald dessen Zeit abgelaufen ist. Doch wenn die Überzieherei losgeht, fängt der Veranstalter an zu überlegen, ob er jetzt wirklich dazwischengrätschen oder noch etwas wohlwollend abwarten sollte. Die Kosten für das Einschreiten sind unter bestimmten Bedingungen viel zu hoch, sodass der Veranstalter darauf verzichtet, Es war einmal einem Kongress gelungen, den berühmtesten Vordenker des Landes als Keynote Speaker zu gewinnen. Der Auftritt endete skandalös und das kam so: Der Veranstalter wollte ausgerechnet in diesem Jahr konsequent verhindern, dass sein Zeitplan von Speakern, die ihre Redezeit überziehen, durcheinander gebracht wird. Ein Techniker sollte auf ein Signal des Moderators hin nach einer Minute alle Lampen auf maximale Helligkeit drehen. Nach einer weiteren Minute sollte dann dem Redner das Mikrofon abgeschaltet werden. Es kam, wie es kommen musste: Der Keynoter überzog. Mitten im Satz wurde zuerst ein grelles Licht an- und dann der Ton ausgeschaltet. Die honorige Koryphäe sprach ohne Ton noch ein paar Sätze, bis das Publikum anfing zu lachen und verließ dann entrüstet die Bühne. seine eigenen Regeln mit einer abschreckenden Brutalität durchzusetzen. Das wiederum bekommen die Speaker mit und geben sich überhaupt keine Mühe mehr, auf die Zeit zu achten. Für Rieck gibt es nur eine Lösung: Der Veranstalter muss den Speakern glaubwürdig versichern, dass es einen unbestechlichen (computergesteuerten?) Automatismus gibt, der (ohne dass er während der Rede noch beeinflusst werden könnte) nach Ablauf der Redezeit den Ton abdreht. Der Veranstalter muss die Strategie natürlich vorher (!) bekannt geben und erklären, dass sie unveränderlich gilt und mit Beginn der Rede definitiv nicht mehr zu ändern ist. Rieck: „So wäscht ein Veranstalter seine Hände in Unschuld.“ Vermutlich würden die Redner und Rednerinnen unter solchen Bedingungen gar nicht erst überziehen. Schnauze, Speaker! Von Martin Pichler Auf vielen Kongressen überziehen Redner und Rednerinnen ihre Redezeit und sorgen so für Chaos im Tagesablauf. Veranstalter nutzen ohne Erfolg grelle Countdown-Timer, klingelnde Wecker und kampferprobte Moderatoren. Was wirklich hilft, sagt die Spieltheorie. 66 tagen

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