Tagen 11/2021

tagen 28 Tagen 11_2021 Zu einer großen Führungskräftetagung könnte zum Beispiel das „Jammermobil“ aus Hamburg passen. Zwei Künstlerinnen kommen mit ihrem „Jammermobil“ zum Tagungsort und leisten professionelle Hilfe beim Frustabbau. Jammern hilft – aber nicht das anklagende Jammern, sondern das erleich- ternde Jammern, zu dem die Künstlerinnen in kleinen Grup- pen oder im persönlichen Einzel-Coaching einladen. Gemein- sames Jammern könnte eine Maßnahme sein, wenn es jetzt mit den Tagungen und den Branchenmessen wieder losgeht. Die Jammerlappen aus Hamburg sind sich sicher: Jammern hilft persönlich und gesellschaftlich. Den eigenen Gefühlen wird Raum und Stimme gegeben und darin steckt die Chance auf eine Katharsis. Im zweiten Schritt durch das Mitteilen der Gefühle, entsteht Verständnis untereinander. Jammern weckt Gemeinschäftsgefühle und deckt Wünsche an die Zukunft auf. Die Performance-Künstlerinnen Sophia Guttenhöfer (im Foto links) und Carolin Christa vom „Kollektiv Bauchladen Mono- pol“ (www.bauchladenmonopol.art) sin d sich sicher: „Wenn wir uns über unseren Frust austauschen, kann mehr Mitgefühl zwischen uns Menschen entstehen.“ Die hohe Kunst des Wehklagens Zum Coaching begibt man sich einzeln in einen Transporter, der innen mit Vorhängen und bunten Lichtern ausgestattet wurde. Jeder Jammerwillige ist dort allein mit den beiden Profi-Jammerinnen. Die beiden Performance-Künstlerinnen fragen nach meinem persönlichen Grund zum Jammern, Klagen, Motzen, Meckern, Nörgeln, Schimpfen. Und kaum ist der ausgesprochen, schon fangen sie an, sich im Namen des Klienten oder der Klientin in einem nöligen Tonfall über alles zu beschweren, was zum Thema passt. Dann fordern sie den Coachee auf mitzumachen. Eine Teilnehmerin berichtet: „Tatsächlich macht sich nach ausgelassener Jammerei eine befreiende Wirkung breit.“ Zum Schluss wird das Jammern symbolisch in eine Glasmurmel eingeschlossen, die entsorgt oder bei Bedarf wieder zum Jammern aus der Hosentasche herausgeholt werden kann. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb in diesem Sommer pas- send: „In Deutschland macht sich die Ahnung breit, dass die Zeiten der Sorglosigkeit und der beständig verbesserten Le- Jammern und andere Ideen fürs Rahmenprogramm KLEINKUNST. Im September 2021 fand die zweitägige Paderborner Kulturbörse „Performance“ im Neuhäuser Schlosspark statt. Kleinkünstler präsentierten den ins- gesamt 6.000 Besuchern pro Tag rund 50 Shows mit Akrobatik, Theater, Musiktheater, Walking Acts oder Clownerie. Viele Angebote könnten sich gut dazu eignen, Business Events aufzupeppen. bensumstände vorbei sind. So etwas bringt den deutschen Seelenhaushalt mehr in Bedrängnis, als es bei anderen Natio­ nen der Fall wäre. Weil sich hier seit der Nachkriegszeit ein kontinuierliches optimistisches Aufstiegsnarrativ einprägte.“ Auch wenn einige Künstler des Jammermobils auch eine sy- stemische Coaching-Ausbildung haben, so versteht sich das Jammermobil doch in erster Linie als Kunst und verspricht einen Reinigungseffekt, den schon die alten Griechen bei den Besuchern eines Theaterstücks beobachteten und den sie Ka- tharsis nannten. Das auf Aristoteles zurückgehende Konzept der Katharsis (altgriechisch für „Reinigung“) behauptet, dass das Ausleben verdrängter Emotionen zu einer Reduktion die- ser Gefühle führt. Vornehmlich wird von Katharsis gespro- chen, wenn durch das ersatzweise Ausleben aggressiver Ge- fühle in fiktiver Form (über Theater, Film, Videospiel) eine Reduktion negativer Emotionen erzielt werden soll. Die „Performance“ in Paderborn (www.performance-pader- born.de) gilt als die größte Künstlermesse im deutschspra- chigen Bereich für Straßentheater und Kultur im öffentlichen Raum. In diesem Jahr zeigten rund 60 Prozent der Künstler neue Shows, die sie während der Coronakrise entwickelt hat- ten. „Dass ich die Menschen begeistern kann, liebe ich an meinem Beruf“, sagt einer der Künstler. Über Gagen spricht er nicht, aber der Auftritt eines Straßenkünstlers kostet dem Vernehmen nach einen Veranstalter zwischen 1.500 und 2.000 Euro und da sind die Extrakosten wie Anfahrt und Übernach- tung noch nicht enthalten. Walk Acts sorgen für Kommunikation Eine andere Form, Gäste zu Beginn eines Events untereinan- der in Kontakt und zum Reden zu bringen sowie Spaß zu verbreiten, sind sogenannte „Walk Acts“. Früher war das ein Pantomime oder ein Clown, die herumliefen und vor dem Ein- gang und im Foyer die Gäste begrüßten. Heute muss man schon mehr bieten: eine Fee, die knapp über dem Erdboden schwebt, einen aktuellen Kinohelden zum Anfassen, einen Doppelgänger von James Bond oder eine Wachsfigur, die sich plötzlich bewegt und sogar den schlimmsten Griesgram zum Lachen bringt. „Walk Acts“ laufen über das Eventgelände und bieten ein lustiges und gelegentlich auch verwirrendes Bild.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==