47 Praxis besteht die Gefahr, dass sich die Kommission auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt, der künftige Beitrags- und Steuerzahler in erheblichem Umfang belasten würde. Deshalb müssen wir uns fragen: Was wollen und können wir uns als Gesellschaft leisten? Bei den Antworten darf es keine Denkverbote geben, ganz gleich, ob es um die sogenannte Haltelinie geht, das Rentenniveau oder den Beitragssatz. Werden die wenigen Stellschrauben schon im Vorfeld nach oben oder unten festgezurrt, beraubt man sich künstlich der Handlungsoptionen. Sie machen sich für eine Agenda 2035 stark. Was ist in zehn Jahren? Spätestens 2035 muss eine zukunftsfeste und stabile Alterssicherung etabliert sein, weil bis dahin alle geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Baby-Boomer, in Rente sind. Deshalb brauchen wir mit der Agenda 2035 ein langfristiges Zielbild, das die notwendigen Weichen stellt, um der steigenden Zahl an Rentenbeziehern verantwortungsvoll zu begegnen und die Belastungen zwischen Beitragszahlern, Leistungsbeziehern und dem Staatshaushalt generationengerecht zu verteilen. Natürlich wäre eine Agenda 2027 besser, aber diese Aufgabe ist in diesem kurzen Zeitfenster realistisch nicht lösbar. Klar ist aber auch: Wenn wir jetzt noch lange zögern, läuft uns die Zeit für die Umsetzung davon. Immerhin hat das Bundeskabinett nun den Entwurf zum neuen Betriebsrentenstärkungsgesetz beschlossen. Wird das die bAV stärker verbreiten? Der Regierungsentwurf schafft deutliche Verbesserungen für die bAV. Auch einige Vorschläge des IVS wurden dabei übernommen. Der Entwurf beinhaltet Erleichterungen, die uns im bAV-Alltag helfen werden. Deswegen ist es wichtig, dass das Gesetz möglichst schnell umgesetzt wird. Klar ist aber auch: Wir brauchen ein BRSG drei, um das Potenzial der bAV zur vollen Entfaltung zu bringen. Was für Erleichterungen meinen Sie? Einige Maßnahmen, wie die Erleichterungen bei der Kapitalanlage von Pensionskassen, wurden bereits umgesetzt. Hervorzuheben sind die Verbesserungen beim Sozialpartnermodell und bei der Geringverdienerförderung. Bei Letzterer geht es um die dringend notwendige Dynamisierung. Denn angesichts der hohen Inflationsraten in den zurückliegenden Jahren ist es wichtig, dass auch die Schwelle angehoben wird, bis zu der Beschäftigte als Geringverdiener gelten. Gerade diese Zielgruppe braucht eine zusätzliche Rente besonders dringend. Sie sprachen auch von Erleichterungen beim Sozialpartnermodell. Werden die Maßnahmen für den erhofften Schwung im Mittelstand sorgen? Die Lösungen zum Andocken von Unternehmen an ein bestehendes Sozialpartnermodell sind zwar förderlich, dürften aber nicht für den Schwung sorgen, den wir brauchen. Denn das Andocken ist immer noch nicht so einfach, wie es sein könnte. So reicht zwar grundsätzlich die Tarifzuständigkeit der das Sozialpartnermodell tragenden Gewerkschaft aus, um teilzunehmen, aber gerade bei Handwerksbetrieben ist oft unklar, wer überhaupt tarifzuständig ist. Gleichzeitig müssten die betreffenden Tarifpartner dem Beitritt des Betriebs zustimmen. Auch das ist kein Selbstläufer. Sozialpartnermodelle beinhalten einige Restriktionen, weshalb diese bAV-Lösung nicht für jeden Arbeitgeber geeignet ist. Wir sollten diesen Rahmen verlassen und größer denken. Wie meinen Sie das? Gerade die Ideen zur Kapitalanlage könnten aus Sozialpartnermodellen in andere Zusageformen übernommen werden, auch wenn das teils mit erheblichen arbeits- und versicherungsrechtlichen Schritten verbunden wäre. So stellen Kapitalgarantien zwischen 60 und 80 Prozent nach unseren Berechnungen ein akzeptables Sicherheitsniveau dar, das gleichzeitig eine risikoaffinere Kapitalanlage bei gewissen Kursschwankungen ermöglicht – und zwar sowohl in der Anspar- als auch in der Rentenphase. Diese Überlegungen sollten in allen Zusagearten möglich werden, verbunden mit den notwendigen steuer- und arbeitsrechtlichen Anpassungen. Was wäre wichtig, damit die bAV wirklich einen Sprung nach vorne macht? Opting-out-Modelle, wie sie auf betrieblicher Ebene das BRSG II ermöglichen soll, sind ein vielversprechender, auch aus aktuarieller Perspektive sehr interessanter Weg. Denn wir brauchen große Kollektive für einen tragfähigen Risikoausgleich und eine effiziente Kapitalanlage mit höheren Ertragschancen. Und darüber hinaus? Wir brauchen das Selbstverständnis, dass eine bAV wie das Gehalt zu einem Arbeitsverhältnis dazugehört – die Entgeltumwandlung genauso wie die Beteiligung des Arbeitgebers, idealerweise auch über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus. So bauen sie eine zusätzliche Betriebsrente auf, sparen gleichzeitig Sozialabgaben und Steuern und profitieren gewöhnlich von der nachgelagerten Besteuerung. Das muss aber stärker kommuniziert werden. Damit jeder eine bAV nachfragt, muss Bürokratie abgebaut und das Image der bAV aufpoliert werden. Sie sind seit einigen Monaten DAVVorsitzende. Konnten Sie bereits Themen in Ihrem Sinne vorantreiben? Seit einiger Zeit suchen wir verstärkt den Austausch mit anderen Gremien und der Politik. Das haben wir weiter verstärken können, zum Beispiel bei einer Anhörung zur Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung oder bei einer Veranstaltung zum Thema Elementarschäden. Dabei wird zusehends verstanden, dass wir als Aktuare helfen können, Optionen aufzuzeigen und zu bewerten, indem wir Aufgabenstellungen in mathematische Modelle übersetzen. Was liegt noch besonders am Herzen? Erstens die internationale Zusammenarbeit zu verstärken. Denn Herausforderungen wie Wetterextreme machen bekanntlich nicht an Landesgrenzen Halt. Und zweitens, die Road to active membership. Hier wollen wir junge Menschen davon überzeugen, Aktuar werden zu wollen. Dazu gilt es, das Berufsbild bekannter zu machen und den Fokus auf das Mathematikstudium zu richten, das teils Ausbildungsvoraussetzung ist, zumindest aber den Einstieg erleichtert.
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