45 Praxis mittelbare Auswirkungen auf ihre Haftung haben können. Wer Haftungsrisiken minimieren möchte, muss daher nicht nur bestehende Verpflichtungen erfüllen, sondern auch künftige Entwicklungen frühzeitig einplanen. Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) bildet das Fundament der bAV und ist in den letzten Jahren mehrfach angepasst worden. Besonders hervorzuheben sind: • Einführung des Sozialpartnermodells (2018): Mit der Möglichkeit von reinen Beitragszusagen entfällt für Arbeitgeber die Subsidiärhaftung. Allerdings kommt dieses Modell bislang kaum zur praktischen Anwendung, da es komplex in der Umsetzung ist und hohe Anforderungen an die beteiligten Tarifparteien stellt. • Stärkung der Zuschusspflicht (§ 1a Abs. 1a BetrAVG): Arbeitgeber sind verpflichtet, eingesparte Sozialversicherungsbeiträge an die Mitarbeitenden weiterzugeben. Fehlerhafte oder unvollständige Zuschüsse sind eine häufige Haftungsquelle. • Zunehmende Digitalisierungspflichten: Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz wurde klargestellt, dass Nachweispflichten auch in Textform erfüllt werden dürfen, was sowohl analoge als auch digitale Formate einschließt. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Die Rechtsprechung prägt die Haftungsrisiken der bAV entscheidend. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in den letzten Jahren mehrfach die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gestärkt. Einige zentrale Entscheidungen: • BAG, Urteil vom 10.2.2004, Az. 9 AZR 401/02: Arbeitgeber, die einem Arbeitnehmenden Auskünfte über seine Versorgungssituation erteilen, müssen diese Informationen richtig und vollständig gestalten. Eine fehlerhafte oder unvollständige Auskunft kann zu einem Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmenden führen, wenn dieser aufgrund der fehlerhaften Information eine für ihn finanziell nachteilige Entscheidung trifft. • BAG, Urteil vom 21.1.2014, Az. 3 AZR 807/11: Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, den Arbeitnehmenden von sich aus auf den Anspruch auf Entgeltumwandlung nach § 1a BetrAVG hinzuweisen. Wenn der Arbeitnehmende jedoch den Wunsch äußert, Entgeltumwandlung zu betreiben, treten Informationspflichten des Arbeitgebers in Kraft. • BAG, Urteil vom 18.2.2020, Az. 3 AZR 206/18: In diesem Urteil entschied das BAG, dass Arbeitgeber, die ohne gesetzliche Verpflichtung Auskünfte zur bAV erteilen, diese richtig, eindeutig und vollständig gestalten müssen. Werden solche Auskünfte später unrichtig, kann eine Nachbesserungspflicht bestehen, wenn die fehlerhafte Information für die Zukunft von Bedeutung ist. Dies stärkt die Rechte der Arbeitnehmenden, da sie sich auf die Richtigkeit der erhaltenen Informationen verlassen können. Diese Urteile verdeutlichen, dass die Anforderungen an Arbeitgeber stetig steigen und Versäumnisse unmittelbar haftungsrechtliche Folgen haben können. Europäische Entwicklungen Auch das europäische Recht beeinflusst die bAV zunehmend. Zwei Aspekte sind besonders relevant: • IORP-II-Richtlinie (2016/2341/EU): Sie schreibt strengere Governance- und Transparenzpflichten für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung vor. Für deutsche Arbeitgeber bedeutet dies, dass sie bei der Auswahl von Pensionskassen oder -fonds verstärkt auf die Einhaltung europäischer Standards achten müssen. • EuGH-Urteile zur Gleichbehandlung: Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach klargestellt, dass Diskriminierungen – etwa wegen Geschlechts oder Teilzeitarbeit – auch in der bAV unzulässig sind. Arbeitgeber sind verpflichtet, bestehende Versorgungswerke auf mögliche Verstöße zu prüfen. Das EuGH-Urteil vom 1. März 2011 (Test-Achats-Urteil) ist zwingend zu beachten. Seit dem 21.12.2012 gelten in der EU Unisex-Tarife – gleiche Beiträge und Leistungen für Männer und Frauen. Das Urteil gilt auch für Erhöhungen durch Arbeitgeberbeiträge wie zum Beispiel dem verpflichtenden Arbeitgeberzuschuss gemäß BRSG. Angesichts der aufgezeigten Risikofaktoren sollten Arbeitgeber: 1. Rechtsentwicklungen kontinuierlich beobachten, insbesondere Entscheidungen des BAG und Anpassungen des BetrAVG. 2. Regelmäßige Vertragsprüfungen durchführen, um sicherzustellen, dass Zusagen rechtssicher ausgestaltet bleiben. 3. Europäische Standards berücksichtigen, insbesondere im Hinblick auf Transparenz- und Gleichbehandlungsanforderungen. 4. Strategische Risikovorsorge treffen, zum Beispiel durch Diversifizierung der Versorgungsträger und Implementierung digitaler Kontrollsysteme. 5. Frühzeitig externe Expertise einbinden, um auf komplexe Entwicklungen angemessen reagieren zu können. Schlussbetrachtung: Zukunftssicherheit braucht proaktives Vorgehen Die betriebliche Altersversorgung bleibt für Arbeitgeber ein ständiger Balanceakt zwischen attraktiver Mitarbeiterbindung und erheblichem Haftungsrisiko. Während gesetzliche Neuerungen und aktuelle Rechtsprechung die Anforderungen weiter verschärfen, eröffnen digitale Lösungen und präventive Strategien Chancen zur Risikoreduktion. Entscheidend ist ein proaktiver Umgang: Wer Entwicklungen beobachtet, Verträge regelmäßig überprüft und Prozesse konsequent dokumentiert, kann die Altersversorgung seiner Beschäftigten nicht nur rechtssicher, sondern auch zukunftsfähig gestalten. ANDREAS BRAND ist GesellschafterGeschäftsführer von Brandconsult und berät Unternehmen zu betrieblichen Versorgungslösungen. Brandconsult bietet die selbst entwickelte bAV-Software Easy Pension an.
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