43 Praxis Beispiel steigende Lebenserwartung, sinkende Zinsen), doch die daraus resultierende Rentenminderung kann im Streitfall zu einer Haftung des Arbeitgebers führen. Die Rechtsprechung bestätigt diese Risiken: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellte mehrfach klar, dass Arbeitgeber für die Erfüllung der Versorgungszusage haften, selbst wenn externe Versorgungsträger Leistungen reduzieren (BAG, Urteil vom 19.5.2016, Az. 3 AZR 794/14). Subsidiärhaftung des Arbeitgebers Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG haftet der Arbeitgeber für die zugesagten Leistungen, auch wenn ein externer Versorgungsträger (zum Beispiel Direktversicherung, Pensionskasse oder Pensionsfonds) diese nicht oder nur teilweise erbringt. Das bedeutet: Gerät ein Versorgungsträger in wirtschaftliche Schwierigkeiten und kürzt Leistungen, muss der Arbeitgeber die Differenz ausgleichen. Ein prominentes Beispiel ist die Sanierung mehrerer Pensionskassen in den vergangenen Jahren, bei der Leistungen reduziert wurden. Arbeitgeber mussten daraufhin erhebliche zusätzliche Zahlungsverpflichtungen erfüllen. Die Subsidiärhaftung gilt nicht für reine Beitragszusagen im Rahmen des Sozialpartnermodells (§§ 21 ff. BetrAVG). Hier beschränkt sich die Verpflichtung des Arbeitgebers auf die Zahlung der Beiträge. In allen anderen Durchführungswegen bleibt die Einstandspflicht bestehen. Dazu eine Beispielrechnung: Ein mittelständisches Unternehmen mit 100 Beschäftigten sagt eine monatliche Rente von 500 Euro pro Person zu. Kürzt der Versorgungsträger die Leistungen um 30 Prozent, entsteht für den Arbeitgeber eine monatliche Zusatzbelastung von 15.000 Euro. Hochgerechnet auf eine Rentenbezugsdauer von 20 Jahren, summiert sich dies auf 3,6 Millionen Euro. Hinzu kommen gegebenenfalls Kosten durch nötige Rentenerhöhungen aufgrund der Anpassungsprüfungspflicht (§ 16 BetrAVG). Unzureichende Dokumentation und Kommunikation Neben den gesetzlichen Informationspflichten sind auch interne Dokumentationspflichten von erheblicher Bedeutung. Fehlen Beratungsprotokolle oder sind Entscheidungswege nicht nachvollziehbar dokumentiert, trägt im Streitfall der Arbeitgeber die Beweislast. Dies betrifft insbesondere die Beratung zur Entgeltumwandlung. Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Entscheidungen (vergleiche BAG, Urteil vom 21.1.2014, Az. 3 AZR 807/11) betont, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden zutreffend und vollständig informieren müssen, wenn diese die Beratung einfordern. Unvollständige oder fehlerhafte Informationen führen unmittelbar zur Haftung. Falsch berechnete Arbeitgeberzuschüsse Seit Inkrafttreten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) im Jahr 2018 sind Arbeitgeber verpflichtet, eingesparte Sozialversicherungsbeiträge bei Entgeltumwandlungen als Zuschuss an die Mitarbeitenden weiterzugeben (§ 1a Abs. 1a BetrAVG). Fehlerhafte Berechnungen oder eine unzureichende Umsetzung dieser Zuschusspflicht können zu Nachforderungen und Schadensersatzansprüchen führen. Auch hier hat die Rechtsprechung mehrfach betont, dass der Arbeitgeber die volle Verantwortung trägt. Reduzierung von Haftungsrisiken – Strategien und Digitalisierung Die dargestellten Haftungsrisiken verdeutlichen, dass die betriebliche Altersversorgung für Arbeitgeber nicht nur eine Chance zur Mitarbeiterbindung, sondern zugleich eine erhebliche rechtliche Herausforderung ist. Um die Risiken wirksam zu reduzieren, sind präventive Strategien, eine systematische Organisation sowie zunehmend auch digitale Lösungen erforderlich. Ein zentrales Element der Risikominimierung ist die Einrichtung klarer organisatorischer Strukturen. Arbeitgeber sollten: • Verantwortlichkeiten definieren: Innerhalb des Unternehmens muss eindeutig festgelegt sein, welche Abteilungen für einzelne Aspekte der bAV verantwortlich sind. • Rollen trennen: Beratung und Administration sollten nicht in einer Hand liegen, um Interessenskonflikte zu vermeiden. • Kontrollprozesse etablieren: Regelmäßige Prüfungen interner Abläufe, zum Beispiel durch Compliance- oder Revisionsabteilungen, helfen, Fehler frühzeitig zu erkennen. Die Praxis zeigt, dass Haftungsfälle oft auf unklare Zuständigkeiten zurückzuführen sind. Eine präzise Verankerung der Prozesse in internen Richtlinien trägt daher wesentlich zur Sicherheit bei. Rechtliche und vertragliche Prüfung Die meisten Haftungsfälle entstehen aus fehlerhaften oder veralteten Vertragsgestaltungen. Arbeitgeber sollten ihre bestehenden Versorgungswerke regelmäßig, idealerweise durch externe Fachberater oder Rechtsanwälte mit Spezialisierung im Arbeits- und Versicherungsrecht prüfen lassen. Dabei ist der Blick insbesondere auf folgende Fragen zu richten: • Garantien und Rentenfaktoren: Enthalten die Verträge verbindliche Zusagen oder können diese durch Treuhänderklauseln reduziert werden? • Formulierung der Versorgungsordnung: Sind die Regelungen rechtssicher und eindeutig? Unklare Formulierungen gehen im Streitfall zulasten des Arbeitgebers. • Einbindung neuer gesetzlicher Vorgaben: Änderungen wie das Betriebsrentenstärkungsgesetz oder die Reform des Nachweisgesetzes müssen rechtzeitig berücksichtigt werden. Informations- und Dokumentationspflichten Viele Haftungsfälle lassen sich vermeiden durch die Erfüllung aller Informations- und Dokumentationspflichten. Dies umfasst: • Schriftliche Information der Mitarbeitenden über Art, Umfang und Risiken der bAV (§ 2 NachwG). • Dokumentation von Beratungsgesprächen einschließlich Unterschriften der Beteiligten.
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