Personalmagazin bAV Spezial 12/2025

Gender Pension Gap 17 Welche gesetzlichen Änderungen sind aus Ihrer Sicht nötig? Judith Kerschbaumer: Wir brauchen mehr sozialen Ausgleich in der GRV, der durch die Grundrente ansatzweise in Angriff genommen wurde. Es wäre gerechter, die Einkommensprüfung beim Grundrentenzuschlag abzuschaffen. Statt der bisher nur rund 1,3 Millionen könnten etwa 3 Millionen Versicherte davon profitieren – darunter etwa 75 Prozent Frauen. Zudem sollten falsche Anreize wie das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung wegfallen. Denn sie drängen Frauen häufig in Teilzeit oder geringfügige Beschäftigungen. Ein weiterer relevanter Aspekt ist die hohe Anzahl an sozial nicht abgesicherten Minijobs, insbesondere im Handel, in dem viele Frauen beschäftigt sind. Diese Art der Beschäftigung sollte begrenzt oder stärker sozialversicherungspflichtig gemacht werden. Auch bei der Pflege von Angehörigen brauchen wir dringend gesetzliche Neuerungen. Der unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf hat 2023 die Einführung eines steuerlich finanzierten Familienpflegegeldes vorgeschlagen. Vorgesehen ist ein Rechtsanspruch auf Freistellung, finanzielle Absicherung und das Rückkehrrecht auf den ursprünglichen Arbeitsplatz. Solche Maßnahmen würden speziell Frauen entlasten. Zusätzlich sollten die Schwellenwerte im Teilzeitrecht abgeschafft werden, da Frauen überdurchschnittlich häufig in kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeiten, die bislang von diesen Regelungen ausgenommen sind. Es ist außerdem essenziell, individuelle Wünsche bei der Rückkehr in längere Arbeitszeiten stärker zu berücksichtigen und die Flexibilität der sogenannten Brückenteilzeit zu verbessern. Diese bereits 2019 eingeführte Regelung, die zeitlich begrenzte Teilzeitarbeit ermöglicht, sollte so angepasst werden, dass sie den Bedürfnissen von Beschäftigten noch besser entspricht. Welche Rolle spielt finanzielle Bildung und wie können Frauen besser über ihre Altersvorsorge informiert werden? Martina Baptist: Finanzielle Bildung spielt eine wichtige Rolle. Wer früh versteht, wie Rentensysteme, betriebliche und private Vorsorge sowie Kapitalmärkte funktionieren, kann früher aktiv werden. Meiner Meinung nach sollte finanzielle Bildung bereits in Schule und Ausbildung auf dem Lehrplan stehen. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sollten mögliche Angebote klar kommunizieren. Dabei können Netzwerke und digitale Angebote wie Podcasts, Webinare oder Apps helfen, aber auch traditionelle Informationskampagnen und Workshops, die Frauen über die Auswirkungen von Teilzeit und Erwerbspausen auf ihre Altersvorsorge aufklären. Was können Gewerkschaften und Unternehmen gegen die Versorgungslücke tun? Judith Kerschbaumer: Gewerkschaften wie Ver.di spielen eine entscheidende Rolle dabei, das Gender Pension Gap zu verringern, indem sie die Arbeits- und Einkommensbedingungen in typischen Frauenberufen verbessern. Insbesondere in der Gesundheits- und Pflegebranche, in der etwa 75 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, konnte Ver.di deutliche Fortschritte erzielen. So wurde der Mindestlohn in der Pflege ab Juli 2025 auf 16,10 bis 20,50 Euro pro Stunde angehoben. Tarifabschlüsse sehen Gehaltssteigerungen, höhere Zulagen für Schichtarbeit und zusätzliche Urlaubstage vor. Seit März 2024 liegt das Einstiegsgehalt in Krankenhäusern bei rund 3.300 Euro brutto pro Monat. Diese Verbesserungen kamen nicht von selbst, sondern die Pflegekräfte haben sie durch Diskussionen, Aktionen und Streiks gemeinsam mit Ver.di erkämpft. Tarifverträge sind ein zentraler Hebel, um die Altersabsicherung von Frauen zu stärken. In tarifgebundenen Betrieben profitieren die Beschäftigten von besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus enthalten viele Tarifverträge Regelungen, die den unterschiedlichen Zeitbedarfen im Verlauf des Arbeitslebens gerecht werden. Es gibt etwa flexible Möglichkeiten, Lage und Umfang der Arbeitszeit zu wählen oder sich zwischen Lohnerhöhungen und zusätzlichen freien Tagen zu entscheiden. Solche Maßnahmen fördern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, verbessern die Erwerbs- und Rentenperspektiven von Frauen. Martina Baptist: Ein wichtiger Beitrag sind möglichst barrierearme betriebliche Vorsorgeangebote, auf die man Beschäftigte immer wieder aufmerksam machen sollte, etwa durch regelmäßige Benefits-Veranstaltungen. Zusätzlich sollten automatische Entgeltumwandlungen mehr in den Fokus rücken. Hier lässt sich wirklich viel bewegen. Förderprogramme für Frauen in Führungspositionen erleichtern den beruflichen Wiedereinstieg und sichern Karrierechancen. Dazu gehören zum Beispiel Weiterbildungsangebote und Mentoring-Programme während der Teilzeit oder nach der Elternzeit. Zusätzlich können Unternehmen und Gewerkschaften zusammenwirken, um ein flexibles und hochwertiges Betreuungsangebot für Kinder und pflegebedürftige Angehörige aufzubauen. Wie können wir die gesellschaftliche Anerkennung von Carearbeit verbessern? Judith Kerschbaumer: Mit über 50 Prozent weiblichen Mitgliedern hat sich Ver.di schon früh darauf konzentriert, sogenannte typische Frauenberufe etwa in Erziehung, Pflege und sozialer Arbeit aufzuwerten. Ein Beispiel dafür ist der bundesweite Streik am Equal Pay Day 2025, der auf die finanzielle und gesellschaftliche Anerkennung dieser Berufe abzielt. Kampagnen wie „Sozial- und Erziehungsberufe: Richtig gut. Richtig was wert!“ führten zu besserer Bezahlung und besserer Absicherung im Alter. Dr. Judith Kerschbaumer ist Leiterin des Bereichs Sozialpolitik in der Ver.di Bundesverwaltung

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