9 Legal Tech Eine Klage nach Kündigung ist teuer und dauert lang. Am Ende einigen sich die Parteien in über 90 Prozent der Verfahren. Das Unternehmen Suitcase GmbH möchte diesen Prozess verschlanken. Es bietet ein digitales Schlichtungsverfahren, das den Rechtsstreit in wenigen Tagen verbindlich beilegt. Die Idee zum Startup Suitcase entstand im Sommer 2020. Die Gründer Tim Fischer und Tim Kniepkamp kannten sich über einen studentischen Wettbewerb für Juristen. Sie trafen sich in Düsseldorf mit einem befreundeten Rechtsanwalt aus Brasilien. Fast beiläufig zeigt er ihnen eine App für digitale Gerichtsverfahren. Als privater Richter verdiente er sich ein Nebeneinkommen. „Wir waren sofort beeindruckt und haben das Potenzial für den deutschen Rechtsmarkt gesehen.“, sagt Co-Founder Tim Fischer. Noch an dem Abend waren der Firmenname „Suitcase“ und der Slogan „Dispute resolution suitable to your case“ geboren. Parallel zum Studium begannen die Gründer, sich den Markt der Streitbeilegung näher anzuschauen und stießen auf ein Problem von enormer Tragweite: Seit 1995 ging die Zahl der Klagen bei den Arbeitsgerichten laut Bundesamt für Justiz um 59 Prozent zurück. Menschen setzten ihre Rechte unter 2.700 Euro nicht mehr gerichtlich durch. Und das Problem würde sich bis 2030 verstärken, indem 27,5 Prozent der Richter bundesweit in Pension gingen. Suitcase: Plattform ideal für Kündigungssachverhalte Damit blieb die Frage offen: Wie kann man dieses Problem lösen? „Uns war klar, dass wir die Gerichte nicht verSuitcase erstellt. Er orientiert sich an der Regelabfindung im Sinne von § 1a Kündigungsschutzgesetz (KSchG). So unterstützt die Plattform insbesondere Menschen ohne Rechtskenntnisse. Damit beide Seiten ehrliche Angebote machen, setzt Suitcase auf Vertraulichkeit: Nur das System kennt die Summen und gleicht sie mit einem Algorithmus ab. Kommt eine Einigung zustande, liefert Suitcase den individuellen Vertrag, um die Kündigung abzuwickeln. Damit wird der Konflikt rechtssicher beigelegt. Dieser Prozess dauert in der Regel nur wenige Tage – vor Gericht sind es mehrere Monate. Während die digitale Streitbeilegung hierzulande noch in den Kinderschuhen steckt, ist das Konzept blinder Gebote (engl. Double Blind Bidding) in den USA seit Anfang der 2000er-Jahre am Markt etabliert. So konnte allein der US-Anbieter Cybersettle über 200.000 Rechtsstreitigkeiten im Umfang von über einer Milliarde USD erfolgreich klären. Die Einigungsquote lag bei 67 Prozent binnen weniger Wochen. Dienstleistung für HRAbteilungen Das Geschäftsmodell beschreiben die Gründer als Justice-as-a-Service. Dahinter steht die Idee, Streitbeilegung – das Kerngeschäft der Justiz – als eine private, digitale Dienstleistung anzubieten. ändern können. Das ist die Aufgabe des Gesetzgebers und der Justiz. Und so entschieden wir uns, eine echte Alternative zu den Gerichten zu entwickeln“, erinnert sich Co-Founder Tim Kniepkamp. Die Juristen erprobten verschiedene Mechanismen der Streitbeilegung und holten den Informatiker Philipp Hertel ins Team. In einem Buch stießen sie letztlich auf ein innovatives Konzept zur Schlichtung, das besonders hohe Einigungsquoten versprach. Das Konzept erschien ideal für Kündigungssachen, die besonders kostenintensiv und einigungsfreudig sind. Im Frühjahr 2023 stiegen die Gründer in Vollzeit ein und zogen für das Unternehmen nach München. Dort werden sie seither vom Zentrum für Gründung und Innovation in Europa, der Unternehmertum GmbH und einer Initiative des Bayrischen Justizministeriums gefördert. Wie funktioniert die digitale Streitbeilegung? Suitcase prüft nicht, ob die Kündigung rechtens ist; dafür sind Gerichte zuständig. Stattdessen setzt das Startup bei den Interessen der Parteien an: Was würde der Arbeitnehmer akzeptieren, um nicht vor Gericht zu ziehen? Was wäre der Arbeitgeber bereit zu zahlen, um nicht verklagt zu werden? Um sich auf ein Gebot festzulegen, erhalten die Parteien einen Einigungsvorschlag von
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