Aktuell hört und liest man vermehrt von alternativen Vertretungsorganen (AVO). Was ist das? Andrea Panzer-Heemeier: Alternative Vertretungsorgane sind – als Alternative zu einem Betriebsrat – Gremien, die die Interessen der Belegschaft bündeln und gegenüber dem Arbeitgeber vertreten. Die genauen Bezeichnungen sind unterschiedlich und reichen von Belegschaftsausschuss über Vertrauensausschuss bis zu Employee Advisory Board. Aktuell die bekanntesten Fälle dürften Hertha BSC und das HassoPlattner-Institut sein. Insbesondere in Unternehmen ohne lange Historie der arbeiten. Welche Rechte das AVO im Einzelnen hat, regelt die Satzung. AVOs sind weniger bürokratisch und daher teilweise praxistauglicher. Schließlich ist es auch bei Existenz eines AVOs weiterhin jederzeit möglich, einen Betriebsrat zu gründen. Bei der Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts müssen Arbeitnehmervertreter eingebunden werden. Gilt ein AVO als Arbeitnehmervertretung in diesem Sinne? Panzer-Heemeier: Am 22. März dieses Jahres hat das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf zur Umsetzung der EU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) veröffentlicht. Dieser sieht vor, die Vorgaben der CSRD im Wesentlichen eins zu eins umzusetzen. Nach § 289b Abs. 6 HGBE sind Arbeitnehmervertreter auf geeigneter Ebene bei der Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts über die vorgesehenen Inhalte des Nachhaltigkeitsberichts zu unterrichten und mit ihnen die Informationen sowie die Mittel zur Einholung und Überprüfung der Informationen zu erörtern. Die Arbeitnehmervertreter können damit ihre Expertise, insbesondere hinsichtlich Sozial- und Menschenrechtsfaktoren sowie Arbeitnehmerbelangen, beisteuern. Laut der Gesetzesbegründung wird die relevante Arbeitnehmervertretung regelmäßig der Betriebsrat sein. Existiert jedoch kein Betriebsrat, sondern ein AVO, erscheint es aus unserer Sicht zwingend, dieses als relevante Arbeitnehmervertretung anzusehen. Das AVO kann entsprechend dem Ziel der Beteiligungsregelung ebenso viel Expertise bezüglich Arbeitnehmerbelangen haben wie ein Betriebsrat. Mitarbeitervertretung, unter KMUs sowie Startups erfreuen sich AVOs einer steigenden Beliebtheit. Während auf der einen Seite die Anzahl der Betriebsräte und damit die Zahl der mitbestimmten Unternehmen sinkt (laut Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) zwischen 1996 und 2001 um ein Drittel; Studien zufolge beträgt die Zahl der Betriebe mit Betriebsrat nur noch zwischen acht und elf Prozent), steigt die Anzahl der AVOs, wobei es hier keine konkreten Zahlen zu geben scheint. Ist die AVO ein Instrument, Betriebsräte zu verhindern? Stellt es vielleicht sogar eine Wahlverhinderung/Behinderung des Arbeitgebers dar, wenn er ein solches Gremium initiiert oder die Bildung zulässt? Tobias Neufeld: Aus meiner Sicht absolut nicht. AVOs stellen grundsätzlich keine Wahlbehinderung oder -beeinflussung nach § 20 BetrVG dar. Natürlich gibt es Kritiker, die behaupten, derartige AVOs dienten allein dem Ziel, Betriebsräte zu vermeiden und die gesetzliche Mitbestimmung zu umgehen. Solche Konstellationen mag es geben. Aus unserer Erfahrung heraus ist das größtenteils jedoch nicht der Fall. Motivation zur Gründung eines AVOs anstelle eines Betriebsrats ist die größere Flexibilität und Individualität sowie auf der anderen Seite die Starrheit des BetrVG, das mit seinem Formzwang, den Fristen und dem analogen Leitbild im digitalen Zeitalter häufig als langsam und unpassend empfunden wird. Mitglieder, Besetzung des AVO, Vergütung, Wahlsystem und Dauer der Mitgliedschaft können frei gestaltet werden. Anders als Betriebsräte können AVOs komplett digital und ortsunabhängig „ Motivation zur Gründung eines AVOs anstelle eines Betriebsrats ist die größere Flexibilität und Individualität.“ Tobias Neufeld Arqis Interview mit Andrea Panzer-Heemeier und Tobias Neufeld 33
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