Personalmagazin plus Kanzleien 7/2024

15 AGG-Hopping „Bürokauffrau/Sekretärin“ bei der Beklagten. Nachdem er hierauf keine Rückmeldung erhalten hatte, erhob er Klage auf Geltendmachung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Wie schon die erste Instanz nahm das LAG Hamm jedoch an, dass der Geltendmachung der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehe. Objektive Anzeichen für diese Annahme ergäben sich neben der Entfernung zwischen Wohnort und potenzieller Arbeitsstelle (= rund 170 Kilometer), dem Inhalt und der Art und Weise der Bewerbung (Rechtschreib- und Grammatikfehler, die ihn als Bürokraft ungeeignet auswiesen, sowie Fehlen von aussagekräftigen Unterlagen, wie etwa Zeugnissen) sowie der Unvereinbarkeit einer Vollzeitstelle mit dem vom Kläger nach eigenen Angaben aufgenommenen Vollzeitstudium zum Wirtschaftsjurist, insbesondere aus dem Umstand, dass der Kläger sich auf eine Vielzahl entsprechender Stellen beworben und sein „Geschäftsmodell“ gezielt an aus Vorprozessen gewonnene Erkenntnisse angepasst habe. Auch das subjektive Element für einen Rechtsmissbrauch liege vor. Dieses ergebe sich zum einen aus den genannten objektiven Umständen. Zum anderen habe der Kläger bis zuletzt nichts vorgetragen, aus dem sich ein anderes Motiv für die Bewerbung auf die konkrete Stelle als die Geltendmachung von Entschädigungszahlungen ergebe. Strafbarkeit Neben dem Einwand des Rechtsmissbrauchs sollten Unternehmen bei dem dringenden Verdacht eines AGG-Hoppers auch stets eine Strafanzeige in Erwägung ziehen. Schließlich können Bewerbungen auf diskriminierende Stellenangebote mit dem (alleinigen) Ziel, einen Entschädigungsanspruch zu erlangen, einen strafbaren Betrug im Sinne von § 263 StGB darstellen. Wie der BGH in einer Entscheidung vom 4. Mai 2022 (Az. 1 StR 3/21) festgestellt hat, ist dies dann der Fall, wenn der AGG-Hopper damit rechnet, dass durch sein Vorbringen die auf Beklagtenseite auftretenden Personen getäuscht werden und diese irrtumsbedingt zu einer Vermögensverfügung veranlasst werden. In Fällen, in denen der Arbeitgeber im Verfahren den Rechtsmissbrauchseinwand erhoben hat, liegt eine Täuschung nach Auffassung des Gerichts durch ausdrückliche Erklärung vor, wenn der AGG-Hopper dieses Vorbringen explizit bestritten und sich nicht nur auf die Beweislastregelungen zurückgezogen hat. Gleiches soll gelten, wenn der AGG-Hopper im Prozess vorträgt, er habe sich subjektiv ernsthaft beworben. Handlungsempfehlungen für die Praxis Zur Vorbeugung von AGG-Klagen sowie im Umgang mit AGGHoppern sollten Unternehmen Folgendes beachten: • Mitarbeiter – insbesondere im Personalbereich – sollten regelmäßig zu den Grundsätzen des AGG geschult und für potenzielle Diskriminierungssituationen sensibilisiert werden. Hierzu können auch Verhaltensrichtlinien beitragen. Dies ermöglicht es, potenzielle Diskriminierungsfälle frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. • Relevante Entscheidungen und Prozesse sollten schriftlich festgehalten und sorgfältig dokumentiert werden („Dokumentation und Transparenz“). Nur dies ermöglicht es, sich erfolgreich gegen eine AGG-Klage zu verteidigen. • Des Weiteren sollten regelmäßig Risikobewertungen durchgeführt werden, um potenzielle Diskriminierungsrisiken im Unternehmen zu identifizieren. Dies gilt insbesondere für Einstellungs-, Beförderungs- und Entlassungsverfahren. • Beschwerden über mögliche Diskriminierungen sollten ernst genommen und darauf angemessen und transparent reagiert werden. • Besteht der Verdacht einer missbräuchlichen Geltendmachung von Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüchen, sollten Arbeitgeber auf entsprechende Forderungen hin schon außergerichtlich die ausdrückliche Frage nach der Ernsthaftigkeit der Bewerbung stellen und die Antwort dokumentieren. Im Fall der gerichtlichen Geltendmachung sollte sodann der Einwand des Rechtsmissbrauchs erhoben werden. Denn dieser zwingt den Anspruchsteller dazu, „Farbe zu bekennen“ und erhöht mithin den – auch strafrechtlichen – Druck auf den mutmaßlichen AGG-Hopper. Fazit: Mögliche Angriffsflächen vermeiden Das Risiko aus Unternehmenssicht, Opfer von AGG-Hoppern zu werden, ist nach wie vor hoch. Und die Möglichkeiten, sich gegen entsprechende Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüche mit Erfolg wehren zu können, sind überschaubar. Zwar sieht die Rechtsprechung bisweilen das Problem; die genannte Entscheidung des LAG Hamm stellt insoweit einen Lichtblick dar, der hoffen lässt. Gleichwohl hängen die Trauben für die erfolgreiche Durchsetzung des Einwands des Rechtsmissbrauchs nach wie vor hoch. Umso wichtiger ist es in der Praxis, mögliche Angriffsflächen sorgsam im Blick zu behalten und jeglichen Anschein diskriminierender Verhaltensweisen von vornherein zu vermeiden. LISA-LORRAINE CHRIST, LL.M. ist Rechtsanwältin bei Küttner Rechtsanwälte und berät schwerpunktmäßig Unternehmen bei der laufenden Personalarbeit und sämtlichen Fragen im Zusammenhang mit Digitalisierung sowie im Bereich Datenschutz. THOMAS NIKLAS ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Küttner Rechtsanwälte und verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Vorbereitung und Durchführung von Outsourcing- und Restrukturierungsvorhaben.

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