Einblick Wie Künstliche Intelligenz die Rechtsberatung verändert Rückblick Die wichtigsten BAG-Urteile in den vergangenen Monaten Ausblick Wie das Arbeitsrecht der Zukunft aussehen könnte personalmagazin plus 07.23 Kanzleien im Arbeitsrecht Übersicht, Trends, Profile plus
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Editorial 3 plus Liebe Leserinnen und Leser, der Umbruch in der Arbeitswelt setzt sich fort. Weitgreifende Veränderungen, die schon vor Corona begonnen haben und sich während der Pandemie beschleunigt haben, nehmen unvermindert ihren Lauf. Prozesse werden digitalisiert, künstliche Intelligenz hält Einzug, neue Technologien krempeln ganze Branchen um. Auch die gesellschaftlichen Entwicklungen spiegeln sich in der Arbeitswelt und führen dazu, dass Unternehmenskultur und Führungsverständnis sich wandeln. Ein wacheres Bewusstsein für die Benachteiligung von Minderheiten bewirkt langfristig eine Veränderung der Rahmenbedingungen. Der Diskriminierungsschutz wird ausgebaut, neue Karrierepfade erschüttern die Dominanz von alt, weiß und männlich in den Führungsetagen, das betriebliche Miteinander wird inklusiver und ungerechte Bezahlung wird zunehmend durch Transparenzregelungen erschwert. Ein neues, moderneres Arbeitsrecht muss sowohl den Veränderungen der Gesellschaft als auch den sich ändernden Wünschen der Beschäftigten gerecht werden. Die Flexibilität, die sich die Betriebe erhoffen und die sich die Beschäftigten wünschen, wird nur möglich sein, wenn der Gesetzgeber das Arbeitsrecht so gestaltet, dass es die ganze Breite an Lebenswirklichkeit, die wir heute haben, abbilden kann, ohne dabei seine Schutzfunktion zu verlieren oder bürokratische Auswüchse zu verursachen. Diese Gestaltungsaufgabe wird für die Politik eine ständige Herausforderung in den kommenden Jahren sein. Um die Handlungsspielräume einer sich stetig ändernden Arbeitswelt in optimaler Weise zu nutzen, wird bei vielen Fragestellungen eine gute Beratung vonnöten sein. Die 13. Auflage dieses Kompendiums wird Ihnen bei der Auswahl eines arbeitsrechtlichen Beraters gute Dienste leisten. Viel Spaß beim Lesen! Frank Bollinger Redaktion Personalmagazin Inhalt 04 Zeitenwende für HR Welche Chancen bringt LegalTech für HR? Ein Beispiel für die Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten 08 Anforderungen an ein modernes Arbeitsrecht Wie muss das Arbeitsrecht sich wandeln, um auch in der Welt von morgen noch tauglich und praktikabel zu sein? 11 Nicht mehr wegzudenken KI ist in der Praxis der Rechtsberatung längst angekommen. Den Menschen wird sie dennoch nicht ersetzen. 14 Diskriminierung durch Diskriminierungsschutz? Das AGG soll fortentwickelt werden. Wo sind Diskriminierungsverbote notwendig? 16 Das BAG sorgt für Klarheit Eine Übersicht über die wichtigsten Urteile des Bundesarbeitsgerichts im letzten Jahr 20 Kanzleiporträts 22 ACT Legal Germany 24 Advant Beiten 26 Arqis 28 Esche Schümann Commichau 30 Fringspartners Arbeitsrecht 32 Görg 34 Kliemt Arbeitsrecht 36 McDermott Will & Emery 38 Melchers 40 Menold Bezler 42 Pusch Wahlig 44 Seitz 46 SKW Schwarz 48 Taylor Wessing 50 Impressum personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Titel: Carolin Eitel „Das Arbeitsrecht muss die ganze Breite der Lebenswirklichkeit abbilden können.“
personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Von Ricarda Müller und Björn Otto, Illustration Carolin Eitel Zeitenwende für HR
5 Digitalisierung von HR-Prozessen Die Digitalisierung schreitet unaufhörlich voran. Zahlreiche Tätigkeiten, die bislang durch den Menschen ausgeführt wurden, können nunmehr (weitgehend) automatisiert erfolgen. Auch Personalprozesse werden zunehmend digitalisiert. Welche Chancen ergeben sich hieraus für Unternehmen und deren HRAbteilungen? Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von „LegalTech“ werden hier am Beispiel der Sozialauswahl illustriert. Digitalisierung ist integraler Bestandteil des menschlichen Alltags: Sie beeinflusst, wie wir kommunizieren, konsumieren, lernen und unsere Freizeit gestalten. Nicht zuletzt durch die Berichterstattung über „große Sprachmodelle“ wie „GPT-3“, mit dem Texte erstellt, Fragen beantwortet und Aufgaben gelöst werden können, ist die „digitale Revolution“ in aller Munde. Digitalisierung und HR Digitale Anwendungen und Softwarelösungen sind im HR-Bereich in vielen Unternehmen bereits fest etabliert und kommen insbesondere in Form von Bewerbermanagement-Tools, Lohn- und Gehaltsabrechnungssystemen, digitalen Personalakten, aber auch umfassenden Personalmanagement- oder „HCM“- Systemen zum Einsatz. Dabei sollen durch digitalisierte und automatisierte Prozessabläufe vor allem administrative Aufgaben schneller bewältigt und „Zeitfresser“ im HR-Bereich verschlankt werden. Neben der automatisierten Abarbeitung von Routineaufgaben bieten Softwarelösungen die Möglichkeit, bei Personalentscheidungen zu unterstützen, um diese effektiver, einfacher und schneller treffen zu können. Entsprechende Tools werden oft bereits im Bewerbungsverfahren genutzt. Hier ist die Anzahl an Interessenten vielfach so groß, dass sich Arbeitgeber einer künstlichen Intelligenz bedienen, die Bewerbungen vor- oder auch aussortiert. Teilweise sind derartige Systeme sogar in der Lage, Persönlichkeitsprofile der Kandidaten zu erstellen, indem sie eingehende „Bewerbungsvideos“ mit Blick auf Mimik, Gestik, Sprache und schließlich den Inhalt der getätigten Äußerungen analysieren. Während des laufenden Arbeitsverhältnisses besteht beispielsweise durch das Erstellen softwaregestützter „Rankings“ unter den Mitarbeitern die Möglichkeit, automatisierte Vorschläge für Beförderungsentscheidungen zu erhalten. Beendigung des Arbeitsverhältnisses / Sozialauswahl „Legal-Tech-Lösungen“ können auch bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen unterstützen, insbesondere dann, wenn im Rahmen betriebsbedingter Kündigungen die Durchführung einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG erforderlich ist. Viele Unternehmen ermitteln derzeit noch „händisch“ oder anhand teilautomatisierter Excel-Tabellen, welchen Arbeitnehmern auf Grundlage der gesetzlich vorgegebenen Kriterien (Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung und Unterhaltspflichten) als den jeweils „sozial Stärkeren“ zu kündigen ist. Sozialdaten auf diesemWege zu erheben und zu gewichten, ist jedoch nicht nur zeitintensiv, sondern auch fehleranfällig und stößt spätestens in größeren Umstrukturierungs- oder Transformationsprojekten an Grenzen. Softwaregestützte Sozialauswahl Hier kommen softwarebasierte Sozialauswahl-Tools ins Spiel, mit deren Hilfe die Sozialauswahl weitestgehend automatisiert durchgeführt werden kann. Durch die hiermit einhergehende Zusammenführung und Optimierung der Abläufe werden nicht nur Zeitaufwand und Kosten eines Projekts deutlich reduziert, sondern gleichzeitig auch die Effizienz und Rechtssicherheit des Auswahlprozesses signifikant gesteigert. Eine derartige Softwarelösung ist „CMS-Select“, an dessen Beispiel die Funktionsweise automatisierter SozialauswahlTools im Folgenden exemplarisch illustriert wird. Damit das Tool einen Vorschlag für die Sozialauswahl unterbreiten kann, werden zunächst die durchzuführenden Maßnahmen (beispielweise „Einstellung des Technischen Kundendienstes“ oder „Schließung der Produktion“) definiert und anschließend die relevanten Ausgangsdaten für das Projekt in das System übertragen. Erfasst werden müssen insbesondere die Sozialdaten der unmittelbar vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffenen Mitarbeiter, aber auch die der Kollegen, die mit ihnen „vergleichbar“ sind und somit nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in die Sozialauswahl einbezogen werden (etwa BAG, Urteil vom 20.6.2013, Az. 2 AZR 271/12). Die entsprechenden „Vergleichsgruppen“ können sodann in der Software hinterlegt werden. Um die gesetzlichen Anforderungen des § 1 KSchG hinreichend abbilden zu können, sollten überdies auch freie Arbeitsplätze im Unternehmen vermerkt werden, auf denen geeignete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehen.
6 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Sind alle Parameter eingegeben, simuliert das Programm die Sozialauswahl. Zur Gewichtung der Sozialdaten kann es auf zahlreiche „Punkteschemata“ zurückgreifen, deren Rechtmäßigkeit bereits durch die Rechtsprechung bestätigt wurde. Aus den verschiedenen Vorschlägen kann nun das Ergebnis herausgesucht werden, das den unternehmerischen Vorstellungen am besten entspricht. Dabei ist es nicht nur möglich, die Auswahl innerhalb von der Rechtsprechung „akzeptierter“ Punkteschemata zu „steuern“, indem das System beispielsweise angewiesen wird, gezielt eine „ausgeglichene Altersstruktur“ im Betrieb zu sichern. Optional können auch eigene, unternehmensspezifische Auswahlrichtlinien hinterlegt und die Sozialauswahl sodann auf dieser Grundlage durchgespielt werden. Die hierdurch gewonnene Flexibilität bietet dem Anwender die Möglichkeit, Spielräume, die sich zugunsten des Arbeitgebers bei der Durchführung der Sozialauswahl bieten, bestmöglich zu nutzen und aktuelle Rechtsprechungsentwicklungen aufzugreifen. So kann beispielsweise – wie das BAG erst kürzlich entschieden hat (BAG, Urteil vom 8.12.2022, Az. 6 AZR 31/22) – bei der Gewichtung des Lebensalters zulasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Gleiches soll gelten, wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Soll die durch das BAG hervorgehobene „Ambivalenz“ des Auswahlkriteriums „Lebensalter“ zum Ausdruck gebracht werden, indem beispielsweise rentennahe Arbeitnehmer vergleichsweise wenige (oder gegebenenfalls keine) Punkte für das Alter erhalten, ist es ohne Weiteres möglich, eine entsprechende Vorlage in das System zu übernehmen und die Sozialauswahl auf dieser Grundlage zu simulieren. Feinjustierung Die ermittelten Ergebnisse lassen sich sodann anhand unternehmensspezifischer Kriterien und Bedürfnisse „feinjustieren“, indem etwa Leistungsträger von der Sozialauswahl ausgenommen, Vergleichsgruppen neu sortiert oder ursprünglich geplante Maßnahmen angepasst werden. So können – auch parallel – eine Vielzahl von Beispielsberechnungen durchgeführt und datenschutzkonform abgebildet werden. Regelmäßig sind Sozialauswahl-Tools auch mit Exportfunktionen ausgestattet, sodass die Resultate – zum Beispiel in Form von Excel-Listen – visualisiert und bei Bedarf auch an die Arbeitnehmervertreter übergeben bzw. im Streitfall bei Gericht verwendet werden können. Einsatz bei Umstrukturierungsprojekten und Transformationsprozessen Bereits aufgrund ihrer Komplexität bietet es sich an, softwarebasierte Sozialauswahl-Tools im Rahmen von Umstrukturierungsvorhaben zu nutzen, die eine große Anzahl von Arbeitnehmern betreffen. Hier lohnt es sich, die Sozialauswahl bereits zu Beginn des Projekts – zunächst hypothetisch – durchzuspielen, um die Auswirkungen verschiedener Planungsszenarien frühzeitig durchdenken und die Erkenntnisse sodann in den Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen mit dem Betriebsrat verwerten zu können. Ergänzt man die Software mit einem automatisierten „Abfindungsrechner“, ist es möglich, die potenziellen Projektkosten – etwa die Höhe etwaig zu zahlender Sozialplanabfindungen oder die „Kosten“ eines Freiwilligenprogramms – im Auge zu behalten. Schließlich lassen sich auch weitere, typischerweise im Rahmen von Umstrukturierungsprojekten benötigte Dokumente wie Kündigungsschreiben, Betriebsratsanhörungen oder Begleitschreiben zur Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit auf Grundlage der im System hinterlegten Daten automatisiert erstellen oder vorbereiten. Auch abseits großer (Umstrukturierungs-)Projekte kann derartige Software helfen, die im Einzelfall getroffene Sozialauswahl im Rahmen eines gerichtlichen Kündigungsschutzprozesses rechtssicher darzulegen oder Personal- oder Trennungsgespräche mit einzelnen Mitarbeitern effektiv vorzubereiten. Ausblick „Digitalisierung! Zugleich Fluch, Verheißung und alternativlos, das Großthema der Stunde.“ – diese Einschätzung des Bloggers und Autors Sascha Lobo aus dem Jahr 2016 ist nach wie vor aktuell. Während Digitalisierung angesichts der damit verbundenen Arbeitsentlastung und Prozessoptimierung für viele HR-Abteilungen eher Verheißung als Fluch bedeuten sollte, kommen Software-Lösungen (jedenfalls bislang) nicht ohne menschliches Zutun aus. Während ein letztes manuelles „Feintuning“ oft unerlässlich ist, um automatisiert erstellte Sozialauswahlergebnisse optimal an die unternehmerischen Vorstellungen anpassen und mit den Arbeitnehmervertretern besprechen zu können, liegt es insbesondere bei der Nutzung von „Bewerbungs-Tools“ in der Hand der Personalverantwortlichen, darauf zu achten, dass automatisiert getroffene Entscheidungen diskriminierungsfrei und im Rahmen der geltenden (datenschutz-)rechtlichen Bestimmungen getroffen werden. Ganz ohne den Menschen geht es also (noch) nicht – irgendwie auch ein bisschen beruhigend. DR. BJÖRN OTTO ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS Hasche Sigle in Köln. Er betreut nationale und internationale Mandanten in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. DR. RICARDA MÜLLER ist Rechtsanwältin bei CMS Hasche Sigle. Vom Kölner Standort aus betreut sie regelmäßig Umstrukturierungs- und Transformationsprozesse in nationalen und internationalen Unternehmen(sgruppen).
8 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Bevor man über ein Arbeitsrecht der Zukunft spricht, sollten die Anforderungen der „Kunden“ an ein modernes Arbeitsrecht überprüft werden. Denn nicht nur die Gesellschaft als solche befindet sich im Wandel, sondern auch die Beschäftigten und deren Bedürfnisse. Von Alexander R. Zumkeller Anforderungen an ein modernes Arbeitsrecht Das Erwerbspotenzial geht massiv zurück. Nach Angaben des IAB von 47,5 Millionen Beschäftigten 2019 auf nurmehr 40,1 Millionen Beschäftigte im Jahr 2035. Der Kannibalismus Industrie versus Handwerk und Handel stellt sich schon mittelfristig eher als Übel dar, denn was täten wir ohne Bäcker, Metzger, Kfz-Mechaniker, Installateure … mir scheint klar: die Zukunft liegt in der Automatisierung und in Künstlicher Intelligenz (KI), die wir in Deutschland beide allzu zaghaft angehen. Aber sie ermöglichen, dass wir nach wie vor Produktion und Dienstleistung aufrechterhalten. Sie sind für die jungen Menschen von heute – die Erwerbstätigen von morgen – die natürlichen Verbündeten und Das eigentliche Problem? Diese Generation kann sich ihre Arbeitsplätze frei aussuchen. Möchte flexible und auf sie zugeschnittene Arbeitsplätze. Ist mobil – wenn wir das (in Deutschland) nicht bieten können, dann eben anderswo. Statt ein Immigrationsland zu werden, droht Deutschland eher ein Emigrationsland zu werden. Da müssen Arbeitgeber gegensteuern, und das geht nur mit einem modernen Arbeitsrecht! Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben Berufs- und Privatleben müssen vereinbar gemacht werden. Privatleben ist dabei mehr als Familie, Vereinbarkeit ist nicht, wie noch in den 1980er-Jahren, der gemiedene Gegner. Automatisierung und KI machen etwas mit der Arbeit: sie machen sie komplexer und sie machen sie flexibler. Flexibilität fordern viele Bewerber heute bereits im Bewerbungsgespräch ein: flexible Lage und Dauer von Arbeitszeit, flexibler Arbeitsort, Sabbatical und Urlaubsdauer. Für die Generation Y oder noch mehr Z völlig selbstverständliche Themen. Zudem wollen die jungen Arbeitnehmer bei der Arbeit einem Purpose folgen – nicht alleine das Geldverdienen ist wichtig. Sie sind technologieaffin und immer online, ungeduldig und fordernd, gesundheits- und umweltbewusst.
9 Modernisierung des Arbeitsrechts weit umfassender und sollte beispielsweise auch Möglichkeiten sozialen Engagements einräumen. Starre Arbeitszeiten, Ruhezeiten, Wochenarbeitszeiten erfüllen diese Anforderung nicht. Arbeiten wann und solange man möchte – unter Beachtung der betrieblich unabdingbaren Belange – ist ein wichtiges Ziel der Stakeholdergruppe der Beschäftigten. Hier wird man einwenden, dass das nicht für jeden gilt und nicht für jeden machbar sei. Das mag zum Teil sein, ist häufig aber eine nur wenig reflektierte Antwort. Eine Vielzahl von Unternehmen leben vor, was machbar ist – weite „Gleitzeiträume“, lange Verteilzeiträume, Wechsel der Arbeitszeitdauern, bis hin zur Viertagewoche. Mit den Vorstellungen und der Technik der 1960er-Jahre ist das nicht machbar, aber mit KI und Automatisierung, Virtual Reality und Collaborative Robots (cobot) ist vieles umsetzbar. Was wir aber brauchen, neben dem Mindset, nicht gleich eine Abwehrhaltung einzunehmen, sondern Lösungen zu suchen, ist ein flexibleres Arbeitsrecht. Mit Einführung der tariflichen 35-Stunden-Woche wollte man den Arbeitsschutz der Beschäftigten sicherstellen. Dieser muss erhalten bleiben, keine Frage, denn Beschäftigte sind das höchste Gut der Unternehmen. Aber der Schutz sollte der jeweiligen Tätigkeit angemessen sein. Natürlich gibt es Jobs, bei denen man nach vier Stunden dringend eine Pause braucht und man nach 35 Stunden in der Woche kaputt ist. Aber es gibt eben auch andere, und davon immer mehr. Daher ist Baustein Nr. 1 eines modernen Arbeitsrechts die Deregulierung in den Tarifverträgen, die Anpassung der starren Arbeitszeitregelungen auf die wirklichen Arbeitsschutzfunktionen, die Vereinfachung von Langzeitkonten sowie des Einsatzes von Cobots und KI. Flexibilisierung von Ort und Zeit Die Flexibilisierung der Arbeitszeit habe ich schon erwähnt und auch, dass Gesundheitsschutz nach wie vor „Nummer 1“ bleiben muss. Aber warum nicht auch hier moderne Technik einsetzen? Es gibt uns nichts vor: kein Beschäftigter bleibt wegen dieser „Leistungen“ bei einem Unternehmen und kein neuer Beschäftigter wird damit gewonnen. Modern wird dagegen wieder die betriebliche Altersversorgung. Gerade bei einer Generation, die mehr Flexibilität wünscht, denn das setzt sich bis ins Alter fort. Flexibilität würde auch bedeuten, Einmalzahlungen, wenn man das wünscht, in ein Langzeitkonto einzahlen – aber auch herausholen – zu können, die Arbeitszeit vom Entgelt abzukoppeln und sie vielmehr an die jeweils aktuellen Lebensabschnittsbedürfnisse anzupassen. Mit einem extrem flexiblen Langzeitkonto, das idealerweise portabel ist, ließe sich in der „Sturm und Drang-Zeit“ mehr arbeiten und weniger verdienen, in der Familienphase weniger arbeiten und mehr verdienen, je nach Wunsch. Technisch umsetzbar wäre so etwas, allerdings fehlen die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Instrumente dazu. Vielleicht fehlt auch (noch) die Fantasie der Tarifpartner, der Beschäftigten und Arbeitgeber. Baustein Nr. 3 wäre demnach die Möglichkeit der Trennung von Arbeitszeit und Vergütung, einfach zu führende Langzeitkonten und deren Portabilität sowie eine einfachere Handhabung im Steuerrecht. Einfach und Digital Wir erinnern uns, was die Generation Z beschreibt: Technologieaffin und immer online. Und in dieser Zeit wagt es der Gesetzgeber, in die 1960er-Jahre zurückzufallen: Originalschriftlicher Arbeitsvertragsnachweis, Betriebsversammlungen nicht mehr virtuell (unlängst ist § 129 BetrVG ausgelaufen) und zwingende Gängelei durch Arbeitszeiterfassung (der Entwurf liegt nun endlich vor). Bereiche, in denen das Arbeitsrecht politisch-dogmatisch gesteuert wird, statt durch die Bedürfnisse der Beschäftigten und das damit gerne mal in sich Widersprüche generiert. Nachweisgesetz, das heißt Nachweis nur in Papier und mit Unterschrift, digital ist Satanswerk. Arbeitszeiterfassung, das heißt keinesfalls Papier und Unterschrift, nur digital kommt von den Engeln. Das verstehe, wer will. mittlerweile „Uhren“, die - am Handgelenk getragen – signalisieren, wie müde man ist, ob man Erholung braucht und dergleichen. Die logische Weiterentwicklung wäre, dass diese Uhr mir sagt, ob ich noch arbeiten darf oder eine Pause oder Ruhezeit einlegen muss. Ein Gedanke, der den Verantwortlichen im BMAS vermutlich einen kalten Schauer über den Rücken fahren lässt (hoffentlich!). Von Bedeutung ist auch der Arbeitsort. Auch hier wieder keine Frage, dass der Arbeitsschutz wichtig ist. Aber Arbeitsschutz ist auch individuell: während ich beispielsweise in einer dieser modernen Kaffee-Verteilstationen oder Fastfood-Restaurants keine fünf Zeilen kreativ zusammenbrächte, arbeiten neue Generationen, Ergonomie hin oder her, an solchen Stätten höchst produktiv, effizient und effektiv. Und warum nicht im Ausland arbeiten? Die Antwort ist einfach: der Regulierung wegen. Arbeitserlaubnis oder zumindest -anmeldung, mangelnder Sozialversicherungsschutz, Steuerfragen und vieles mehr. Nochmal: wenn wir nicht agieren, unsere Beschäftigten in Deutschland zu halten, sind sie in der Lage und gewillt, dem Standort Deutschland den Rücken zu kehren! Stattdessen haben wir Papierkram ohne Ende, ich sage nur „A1-Bescheinigung“. Baustein Nr. 2 eines modernen Arbeitsrechts ist daher die Vereinfachung von Sozialversicherung und Steuer. Temporäre Arbeit im Ausland muss einfacher werden! Benefits – mehr Schein als Sein? Mit einem Obstkorb am Eingang ködert man niemanden. Das mag hübsch aussehen, aber einen Apfel kann sich jeder Beschäftigte selbst leisten. Entgeltumwandlung zugunsten eines Leasingfahrrads oder sogenannte Rabattplattformen kommen hingegen „gut an“. Unreflektiert mag das auch Vorteile bringen. Tiefer untersucht entpuppt sich das Leasingrad als teurer als bei Barzahlung, die Einsparungen gehen zulasten der Sozialversicherung – und der späteren Rente! – und Preissuchmaschinen im Internet sind auch nicht schlechter als die Rabattplattformen. Machen wir
10 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Klarer Baustein Nr. 4 daher: Digital, wo immer möglich. Bei Arbeitsvertrag, Befristung, Betriebsversammlungen und überall sonst. Ist Diversity der Schlüssel? Die meisten Unternehmen setzen auf Diversity (und meinen zumeist Genderdiversity). Das ist richtig, oder anders gesagt: Wir haben den Zustand, den wir brauchen, erst erreicht, wenn wir darüber nicht mehr sprechen brauchen. Aber ist das eine lohnenswerte Sache? Sind Quoten, wie sie etwa das FüPoG vorsieht, sinnvoll? Eher nein. Schon mathematisch ist das wenig sinnstiftend. Der Frauenanteil unter MINT-Akademikern wird sich bis 2030 einer Studie zufolge von heute rund sieben Prozent auf nur 14,8 Prozent erhöhen. Erstens. Und zweitens: es wird immer weniger MINT-Absolventen geben. Also: wir suchen 100 Prozent, der „Topf“ gibt uns aber nur 80 Prozent. Und aus diesen 80 Prozent meint doch niemand ernsthaft, dass jedes (!) Unternehmen 50 Prozent Frauen oder Männer abbekommt? Gleichzeitig ist die Anzahl der weiblichen Jura-Absolventen mittlerweile höher als 50 Prozent – es wäre also seltsam, wenn Juristinnen bei der Einstellung unterrepräsentiert wären. Heute ist das so. „Damals“, eine mittlere Karriere unterstellt, also vielleicht vor 25 Jahren, war der Frauenanteil unter Akademikern in Summe deutlich niedriger. Wie – auch hier nicht politisch-dogmatisch, sondern rein evaluatorisch-mathematisch – sollen damit heute 50 Prozent Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten zu finden sein? Diversity ist zwingend nötig, sollte aber umfassender gedacht werden: Diversity heißt auch Alter, junges Alter genauso wie hohes Alter. Viele Unternehmen haben schon entdeckt, wie wertvoll „Senior Experts“ sind. Viele Unternehmen bilden aus, weil sie damit an junge Talente kommen, die dann weiter- und fortgebildet werden sollen und können. Kann das Arbeitsrecht hier helfen? Ja, mit einem fünften Baustein: wenn schon Quoten (ich bin dagegen, aber stehe vielleicht einsam in der Wüste damit – also gleich ein Kompromiss), dann erstens branchenbezogen (ja, ich erwarte in der Kosmetikindustrie – derzeit noch – mehr Frauen in Führungspositionen als in der Stahlindustrie), und zweitens retrospektiv berechnet, denn wenn vor 25 Jahren in einem Berufsfeld nur 7 Prozent weibliche Abgänger abgeschlossen haben, können sich heute nicht 50 Prozent Frauen in Führungspositionen befinden (7 Prozent aber schon). Beschäftigung darf im Alter nicht erschwert werden mit Altersschutz, höheren Urlaubsansprüchen und dergleichen, wie das in machen Tarifverträgen zu finden ist, sondern Erschwernisse müssen abgebaut werden. Lebensarbeitszeit bis 70? Die Gesamtarbeitszeit muss erhöht werden, das ist ein zusätzlicher Baustein zu Migration, zu Automatisierung, zu Reaktivierung in das Erwerbsleben. Nicht nur die Produktivität wird benötigt, sondern auch das Rentensystem verlangt dies unzweifelhaft. Natürlich passt das nicht auf jeden individuellen Beschäftigten und jede Beschäftigung, aber im Durchschnitt ist ein Erwerbsleben von 35*35, also 35 Jahre mit 35 Stunden Wochenarbeitszeit, schlicht nicht ausreichend. Ich möchte nicht festlegen, was die „richtige“ Formel wäre. Aber auf jeden Fall führt uns das zu Baustein Nr. 6: Flexibilisierung von Arbeitszeit und Lebensarbeitszeit, Unterbrechungen ohne sozialversicherungsrechtliche Risiken, „Beschäftigte“ müssen auch sozialversichert sein, wenn sie ein „eigenfinanziertes“ Sabbatical (ohne Zeitwertkonten) einschieben, ältere Beschäftigte, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze noch arbeiten, müssen rentenwirksam etwas davon haben. Tarifverträge müssen flexibler werden, was die Dauer der Arbeitszeit angeht (ebenso wie das Arbeitszeitgesetz). Fazit: Mehr Spielräume nötig Ein modernes Arbeitsrecht richtet sich an den Bedürfnissen der Zukunft aus, sowohl an äußeren Bedürfnissen als auch an denen der Beschäftigten. Modernes Arbeitsrecht muss flexibler werden, einfacher, transparenter und digitaler. Modernes Arbeitsrecht lässt den Vertragspartnern und Betriebspartnern mehr Spielräume und muss daher massiv dereguliert werden. Die Einführung von Automatisierung und KI muss erleichtert werden. Das Arbeitsrecht muss sich den neuen Generationen die bald unsere Arbeitsplätze einnehmen, anpassen: Technologieaffin und immer online, ungeduldig und fordernd, gesundheits- und umweltbewusst. Und zu weiten Teilen selbstbestimmt – Bevormundung von Gesetzgeber, Tarifpartnern oder auch Betriebspartnern in einem Übermaß wird nicht goutiert werden! ALEXANDER R. ZUMKELLER ist Arbeitsdirektor und Country HR Manager der Deutschen ABB, Präsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) sowie Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator.
11 Künstliche Intelligenz Werden Mandantinnen und Mandanten zukünftig hinterfragen (müssen), in welchem Umfang ihr Anwalt oder ihre Anwältin zu einer rechtlichen Ausarbeitung noch beigetragen hat? Und aus wessen Feder stammt eigentlich der nachfolgende Beitrag? Von Constanze Salomon, Sophia von Hertell und Kilian Springer Aktuell gibt es keine konkrete gesetzliche Verpflichtung, wonach durch Künstliche Intelligenz (KI) generierte Texte als solche zu kennzeichnen sind. Die Pläne der EU lassen jedoch erkennen, dass Transparenzpflichten für KI-Systeme helfen sollen, Bedenken und Unsicherheiten auszuräumen. Der Entwurf einer Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften über KI liegt bereits vor. Es wird damit gerechnet, dass diese KI-Verordnung im Jahr 2024 in Kraft tritt und anschließend innerhalb von 24 Monaten in allen Mitgliedstaaten unmittelbar Geltung erlangt. Zuletzt hat das EU-Parlament im Februar dieses Jahres noch einmal Änderungsvorschläge vorgelegt, wonach unter anderem weitere KI-Systeme der im Entwurf besonders streng regulierten Hochrisiko-KI zugeordnet werden sollen – und zwar auch solche KI-Textgeneratoren, deren Output nicht ohne Weiteres erkennen lässt, ob er von menschlicher oder künstlicher Intelligenz erzeugt wurde. Ergänzend sind zwei EU-Richtlinien geplant, die die Haftung von KI regulieren sollen. KI – Was steckt technisch dahinter? Im Allgemeinen werden unter KI Computersysteme oder softwaregesteuerte Maschinen verstanden, die ähnlich wie ein Mensch kognitive Funktionen wahrnehmen, beispielsweise Lernen, Problemlösen, Sprachverarbeitung, Wahrnehmung oder Entscheidungsfindung – und zwar so weit, dass es nicht mehr leichtfällt oder sogar unmöglich wird, ihren Output von dem eines Menschen zu unterscheiden. Technisch liegt KI-Systemen eine Machine- oder Deep-Learning Software zugrunde. Dabei hängen die konkreten Fähigkeiten der KI von der Art und Menge der genutzten Daten, der Softwarestruktur und der Art und Weise des Trainings ab. Für ChatGPT wurden etwa Milliarden US-Dollar auch in die Entwicklung eines speziellen Supercomputers investiert, der das leistungsintensive Training der Software überhaupt erst ermöglicht hat. Die EU spannt den Bogen bei ihrer Definition von KI indes außerordentlich weit, und zwar indem sie gemäß dem aktuellen Entwurf der KI-Verordnung auf jede Software abstellt, die „Ergebnisse wie Inhalte, Vorhersagen, Empfehlungen oder Entscheidungen hervorbringen kann, die das Umfeld beeinflussen, mit dem sie interagieren“. Diese Definition wird in ihrer Breite stark kritisiert, weil streng genommen jede zweite Software unter die geplante KI-Regulierung fiele und damit erheblich in den Markt eingegriffen werde. Die aktuell amMarkt verfügbaren KI-Systeme können nur begrenzte, beziehungsweise konkret definierte Aufgaben erfüllen, beispielsweise das Erkennen eines bestimmten Tieres, das Auslesen von Fahrzeugpapieren oder das Erstellen von Texten. Eine KI, die verschiedenartige Aufgaben lösen kann, vor der sich selbst große Tech-Leader wie Bill Gates oder Elon Musk fürchten, ist indes noch in weiter Ferne. Von Bedeutung für die Rechtsberatungspraxis ist hingegen der Durchbruch der “Generative AI”, die gänzlich neue Inhalte erstellen kann und zu der ChatGPT, die aktuell wohl bekannteste KI-Software, zählt. KI in der Rechtsberatungspraxis KI ist angekommen und wird zukünftig weder auf Mandanten- noch auf Beraterseite wegzudenken sein. In der Tat sind die Einsatzmöglichkeiten vielfältig. Aktuell werden vor allem auf der Basis von “Discriminative AI” basierende, intelligente Assistenzsoftware, KI-Tools für Recherchen in und Analysen von umfangreichen Vertragsunterlagen, Schriftsätzen, Gutachten, Rechtsprechung und sonstigen rechtlich relevanten Dokumenten, internes Knowledge Management oder ÜberNicht mehr wegzudenken
12 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin plus: Kanzleien 2023 setzungen genannt. Mit dem Aufkommen der “Generative AI” wird der Einfluss von KI auf die Rechtsberatungspraxis weiter zunehmen, sei es bei der Erstellung von E-Mails, bei der Auswertung und Zusammenfassung von Rechercheergebnissen oder bei der Erstellung von Präsentationen. All dies ist bereits möglich und muss nur noch für die speziellen Bedürfnisse des Rechtsmarktes aufbereitet werden. Die wesentlichen Vorteile des Einsatzes von KI im Bereich der Rechtsberatung liegen auf der Hand: Zeit- und Kosteneffizienz. Bereits heute kommunizieren intelligente Chatbots beeindruckend schnell. Zudem muss eine KI kein streikendes Kita-Personal ersetzen, wird nicht unerwartet krank oder geht in Elternzeit. Der Wettbewerb um Trainingsdaten für Legal KI hat bereits begonnen. Schon heute sind die wichtigsten rechtlichen Recherchetools, Datenbanken und Formularsammlungen nur gegen Zahlung einer erheblichen Lizenzgebühr erreichbar und die erlaubten Nutzungen streng reglementiert. Weil Urheber wissenschaftlicher Beiträge im Grundsatz frei darüber entscheiden können, wer diese zu welchen Zwecken nutzen darf, dürfte mit dem fortschreitenden Erfolg von KI-Tools im Rücken zukünftig auch die Anzahl der frei zugänglichen rechtlichen Beiträge im Netz deutlich zurückgehen. Wo stößt KI in der Rechtsberatung an ihre Grenzen? Nach der aktuellen Gesetzeslage in Deutschland sind der KI in der Rechtsberatung klare rechtliche Grenzen gesetzt. So sind aufgrund der Vorgaben des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich Anwälte zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen befugt; hierbei handelt es sich definitionsgemäß um jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, die eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert (§§ 2, 3 RDG). Zwar hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 2021 klargestellt, dass die Erstellung von Vertragsentwürfen mithilfe eines digitalen Rechtsdokumentengenerators, bei dem anhand von Fragen und vom Nutzer auszuwählenden Antworten standardisierte Klauseln abgerufen Eine KI muss kein streikendes Kita-Personal ersetzen, wird nicht unerwartet krank und geht nicht in Elternzeit.
13 Künstliche Intelligenz Rechtsanwältin CONSTANZE SALOMON ist Managerin bei der globalen Beratungs- und Prüfungsgesellschaft Mazars. Sie berät nationale und internationale Mandanten in allen Bereichen des gewerblichen Rechtsschutzes sowie an der Schnittstelle zum Vertriebsrecht. Rechtsanwältin SOPHIA VON HERTELL ist als Managerin bei Mazars tätig und betreut am Dresdner Standort die arbeitsrechtliche Beratung der Mandanten. Sie berät nationale und internationale Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts und vertritt diese sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich. KILIAN SPRINGER ist Legal Tech Manager bei Mazars und betreut die Service Line Law vom digitalen Prozess bis hin zur Entwicklung digitaler Produkte. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich technischer Lösungen, wobei er sich bereits seit vielen Jahren insbesondere mit Anwendungsmöglichkeiten für KI im Rechtsmarkt befasst. werden können, nicht als Rechtsdienstleistung aufzufassen ist (BGH, Urteil vom 9.9.2021, Az. I ZR 113/20). Das Potenzial von KI in der Rechtsberatung soll sich zukünftig aber gerade dort entfalten, wo es um die Erarbeitung rechtlich vertretbarer Lösungen für den Einzelfall geht. Diese Fälle können nach Maßgabe des aktuellen RDG daher grundsätzlich nur unter Einbindung eines Rechtsanwalts gelöst werden. Sichergestellt sein muss weiterhin, dass die KI berufsrechtliche Vorgaben unterstützt und einhält, insbesondere müssen das anwaltliche Berufsgeheimnis sowie sonstige Verschwiegenheitspflichten und nicht zuletzt auch datenschutzrechtliche Vorgaben gewahrt werden. Letzteres gilt insbesondere beim Einsatz von KI im Bereich des Arbeitsrechts. Letztlich ist es aus Sicht der Anbieter und Nutzer von Legal KI zwar erstrebenswert, möglichst viele mandatsbezogene Trainingsdaten zu nutzen, um die KI immer leistungsfähiger zu machen. Zulasten dieser Weiterentwicklung der KI können hierfür jedoch nicht ohne Weiteres mandats- oder personenbezogene Daten Dritter einbezogen oder an Dritte, etwa den KI-Anbieter, weitergegeben werden. Kommuniziert man mit ChatGPT, wird schließlich ein weiterer Aspekt der Anwendung von KI in der Rechtsberatung offensichtlich: Je präziser die Fragestellung ist, desto „brauchbarer“ wird der KI-generierte Output. Die Aufklärung des Sachverhalts und die Ermittlung der konkreten Aufgabenstellungen des Mandanten gehören zu den wesentlichen anwaltlichen Beratungsaufgaben und bilden regelmäßig die Grundlage für eine erfolgreiche Mandatsbearbeitung. Während das Erkennen relevanter persönlicher Präferenzen durch die KI als nächster Schritt der Weiterentwicklung von “Generative AI” gilt und in absehbarer Zeit Marktreife erlangen könnte, vermag eine KI das Zwischenmenschliche – in der Kommunikation mit demMandanten also insbesondere das Verständnis seiner Körpersprache sowie des Gesamteindrucks der Person – nicht zu ersetzen. Der Betrieb der Zukunft – mehr Roboter als Menschen? Auch in der Personalarbeit ist KI auf dem Vormarsch, angefangen von der Personalauswahl bis hin zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Doch wo ist der Einsatz von KI wirklich sinnvoll? Auswahlprozesse sind schon heute vielfach automatisiert. Eine gut programmierte Software kann die Bewerber vorsortieren und eine erste Auswahl liefern. Als Vorteil kann auf den ersten Blick eine objektive Erstauswahl gesehen werden. Benachteiligungen, auch Diskriminierungen sollen durch das automatisierte Verfahren ausgeschaltet werden. Doch es stellen sich auch Hürden: nicht nur, dass der ausgewogene Blick eines erfahrenen Personalers fehlt, um einen geeigneten Kandidaten zu finden. Es kann zudem auch zu Fehlern bei der Auswahl kommen, wenn der dem KI-System zugrunde liegende Algorithmus bestimmte Merkmale über- oder unterrepräsentiert. So musste unter anderem Amazon eine Personalsoftware wieder aus dem Verkehr ziehen, weil dem Algorithmus zu viele männliche Daten zugrunde lagen und es so zu einer Diskriminierung von Frauen kam. Das geltende Recht gebietet eine weitere Einschränkung. Die einschlägigen KI-Tools nutzen, erheben und verarbeiten personenbezogene Daten. Art. 22 DSGVO verbietet jedoch gerade automatisierte Einzelfallentscheidungen. In demMoment, in dem ein System einen Bewerber also automatisch aus dem Bewerberkreis eliminiert oder ihm gar eine Absage schickt, verstieße es gegen die DSGVO. Der kritische menschliche Blick wird hier also richtigerweise vom Gesetz gefordert. Im laufenden Arbeitsverhältnis könnte KI zunehmend den Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts unterstützen. Dieses muss billigem Ermessen gerecht werden. Sobald eine gewisse Entscheidungsfreiheit besteht und mithin emotionale (menschliche) Intelligenz eine entscheidende Rolle spielt, wird KI voraussichtlich an ihre Grenzen stoßen. Schließlich ist bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, jedenfalls bei der Vorauswahl des zu Kündigenden, an KI zu denken. Aufgrund der bereits oben erläuterten Problematik der Anforderungen der DSGVO jedoch nur als mögliche Unterstützung bei der Entscheidungsfindung, keinesfalls wird sie die menschliche Handlung ersetzen. Und was sagt ChatGPT über die Zukunft von KI in der Rechtsberatung? Während dieser Beitrag ohne Verwendung von KI verfasst wurde und damit die zu Beginn aufgeworfene Frage beantwortet ist, soll KI als zunehmend wichtiger Sparringspartner der Rechtsberatung die abschließenden Worte übernehmen. Fragt man ChatGPT, ob sich KI in der Rechtsberatung durchsetzen wird, erhält man folgende Antwort und damit ein Szenario nahegelegt, das durchaus wahrscheinlich erscheint: „Insgesamt wird KI wahrscheinlich eine immer größere Rolle in der Rechtsberatung spielen, aber sie wird nicht in der Lage sein, die menschliche Expertise und menschliche Beratung vollständig zu ersetzen. Stattdessen wird es wahrscheinlich eine Ergänzung zur menschlichen Arbeit sein und den Anwälten helfen, ihre Arbeit schneller, effektiver und effizienter zu erledigen.“
Eine Fortentwicklung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition vorgesehen und wird von verschiedenen Seiten derzeit eingefordert und angemahnt. Prof. Dr. Gregor Thüsing beleuchtet den Stand der aktuellen Diskussion und wirft einen Blick über den Tellerrand, wie anderswo versucht wird, Diskriminierung vorzubeugen. Von Gregor Thüsing Diskriminierung durch Diskriminierungsschutz? „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ dichtete Wolf Biermann, und Bertolt Brecht berichtet, dass Herr Keuner erbleichte, als man ihm sagte, er habe sich all die Jahre nicht verändert. So ist es gut und richtig, dass zuweilen darüber nachgedacht wird, bewährte Gesetze anzupassen. Gesellschaft ordnet sich in Recht, und eine geänderte Gesellschaft verlangt geänderte Regeln. Im Koalitionsvertrag heißt es vielleicht gerade deshalb: „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten.“ Diese Forderung unterstützten auch andere. Das aus rund 100 Organisationen bestehende Bündnis „AGG Reform-Jetzt!“ fordert eine schnelle und tiefgreifende Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und hat damit einige Aufmerksamkeit erzielt. Nicht jede dieser Organisationen mag man für wichtig oder richtig halten – aber eine Diskussion darüber, welches Gesetz wir wollen und welcher Diskriminierungsschutz sinnvoll ist, ist gut. Weitere Diskriminierungsmerkmale vorstellbar Ich selbst habe mich jüngst etwa für eine Einbeziehung der Fürsorgeverantwortung als Diskriminierungsmerkmal ausgesprochen und dies in einer ausführlichen Expertise für die Anti-Diskriminierungsstel14 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Foto: Thekla Ehling
le des Bundes begründet. Die Elternschaft und die Fürsorge für pflegebedürftige Angehörige gehört bislang nicht zu den aufgezählten Merkmalen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das ist unbefriedigend, schon weil manchmal hinter der Benachteiligung wegen einer Fürsorgeleistung indirekt oder direkt eine Benachteiligung wegen des Geschlechts steckt. Das kann eine Benachteiligung von Frauen wegen des Geschlechts sein, weil überwiegend Frauen wegen der Fürsorge für ihre Kinder oder pflegebedürftige Angehörige in Teilzeit arbeiten. Gleichbehandlungsgrundsatz und Diskriminierungsverbote Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist – entgegen seinem Namen – kein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Es verfolgt sein Ziel durch besondere Diskriminierungsverbote. Es wird keine generelle Pflicht zur Gleichbehandlung aufgegeben, sondern nur das Verbot der Benachteiligung aus bestimmten, ausdrücklich normierten Gründen statuiert. Dies unterscheidet das Gesetz vom allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieses Rechtsinstitut – etabliert in der Rechtsprechung seit den Tagen des Reichsarbeitsgerichts – verbietet dem Arbeitgeber eine Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer aus sachfremden Gründen gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage. Der allgemeine Gleichheitssatz spricht die Verteilungsgerechtigkeit bei der Zuweisung von Gütern oder Lasten an. Die besonderen Diskriminierungsverbote haben ihre Wurzeln in der Anerkennung der Menschenwürde; sie verbieten es, bestimmte Merkmale als Unterscheidungskriterium einer Regelung oder einseitigen Maßnahme zu benutzen, wenn dadurch Personen herabgesetzt, ausgegrenzt oder sonst benachteiligt werden. Die Unterschiede dieser Rechtsinstitute führen dazu, dass in der Gewährleistung eines besonderen Gleichheitsschutzes eine Ungleichbehandlung liegt, die einer Rechtfertigung bedarf. Der Diskriminierungsschutz wurde durch das AGG erheblich erweitert, aber dennoch bleibt er unvollkommen. Solange man sich auf eine Liste unzulässiger Diskriminierungsmerkmale beschränkt, wird es immer auch sachfremde Diskriminierungen geben, die zulässig bleiben. Unterschiedliche nationale Schwerpunkte Verschiedene nationale Regelungen zeigen, dass hier durchaus unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden können. Irland kennt etwa zusätzlich noch das Verbot, wegen des Familienstatus oder der Zugehörigkeit zum fahrenden Volk zu diskriminieren, Frankreich verbietet dem Arbeitgeber die Diskriminierung aufgrund der politischen Überzeugung seines Arbeitnehmers, seines Familienstands und seiner Sitten, sowie seiner Vermögenssituation, das niederländische allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet die Diskriminierung aufgrund der Nationalität. Ein Blick auf die andere Seite des Atlantiks zeigt eine noch größere Vielfalt verbotener Differenzierungsmerkmale, verfügen doch die meisten Einzelstaaten der USA über ihre eigenen Antidiskriminierungsgesetze. In Massachusetts sind beispielsweise Ungleichbehandlungen anhand der Merkmale „race, color, religious creed, national origin, sex, sexual orientation“ untersagt, Wisconsin fügt dieser Liste weitere hinzu: „age, race, creed, color, disability, marital status, sex, national origin, ancestry, arrest record, conviction record, membership in the national guard“. Einen noch längeren Verbotskatalog kennt das Gleichbehandlungsgesetz Südafrikas: „race, gender, sex, pregnancy, marital status, ethnic or social origin, colour, sexual orientation, age, disability, religion, conscience, belief, culture, language and birth“ gehören dort zu den verbotenen Unterscheidungsmerkmalen. All dies sind vielleicht nicht minder wichtige Diskriminierungsgründe, und dennoch lässt sie das deutsche Recht außen vor. Wer einzelne Gruppen herausgreift und sie unter einen Gleichheitsschutz stellt, den er anderen nicht gewährt, trifft eine Ungleichbehandlung, für die Gründe nicht immer zu finden sind, die jedenfalls selbst der Rechtfertigung bedarf. Eben daher finden sich im Mutterland des Diskriminierungsrechts, den Vereinigten Staaten, auch Anti-Antidiskriminierungsgesetze. Der Landesgesetzgeber verbietet darin den Städten und Gemeinden, Gesetze zu schaffen, die bestimmte Personengruppen – meist Homosexuelle – unter einen besonderen Diskriminierungsschutz stellen. Weiterentwicklung des Diskriminierungsschutzes muss diskutiert werden Diskriminierungsschutz entwickelt sich schrittweise. Am Anfang stand in den USA der Diskriminierungsschutz wegen der Rasse und Ethnie, doch wurde Title VII Civil Rights Act direkt schon im Gesetzgebungsverfahren auch auf Geschlecht und Religion erweitert. Spätere Erweiterungen dieses Rechtsinstituts folgten: Der Age Discrimination in Employment Act verbietet seit 1967 die Diskriminierung wegen des Alters, der Americans with Disabilities Act seit 1990 die Diskriminierung wegen der Behinderung. Zeitlich verzögert tastete man sich in Europa Schritt für Schritt voran. Auch der europäische Diskriminierungsschutz entwickelt sich fort. Knüpfte er ursprünglich allein am Geschlecht an, folgte der Diskriminierungsschutz wegen besonderer Beschäftigungsformen (Teilzeitrichtlinie 97/81/EG, Befristungsrichtlinie 1999/70/ EG), um dann um weitere, personenbezogene Merkmale erweitert zu werden (RL 2000/43/EG, RL 2000/78/EG). Der Diskriminierungsschutz ist also offen für Weiterentwicklung und Fortbildung. Jede Diskussion, die hier Notwendigkeiten – oder eben auch fehlende Notwendigkeiten – neuer Regelungen nüchtern, ideologiefrei und evidenzbasiert aufzeigt, ist zu begrüßen. PROF. DR. GREGOR THÜSING ist Inhaber und Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 15 Diskriminierungsschutz
16 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Das BAG sorgt für Klarheit Seit 2019 war unklar, wie mit der Zeiterfassung zu verfahren ist. Das BAG hat allen Diskussionen ein Ende gemacht. Auch in anderen wichtigen Fragen hat das oberste deutsche Arbeitsgericht mehr Rechtsklarheit geschaffen. Ein Überblick über die wichtigsten Urteile. Von Frank Bollinger
17 Rechtsprechungsrückblick Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten per Tarifvertrag ist zulässig Tarifvertragsparteien dürfen die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern rechtmäßig durch Tarifvertrag verlängern. Damit gilt eine tarifliche Regelung zur Höchstüberlassungsdauer in einer Branche auch für dort eingesetzte Leiharbeitnehmer und deren Arbeitgeber als Verleiher. Bei § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG handelt es sich um eine Regelungsermächtigung, die es den Tarifvertragsparteien erlaubt, eine abweichende Überlassungshöchstdauer festzulegen. Eine Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten bewegt sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis. BAG, Urteil vom 14. September 2022, Az. 4 AZR 83/21 Freistellungstage sind bei Krankheit nachzugewähren Wenn ein Tarifvertrag bezahlte Freistellungstage vorsieht, ist fraglich, wie es zu beurteilen ist, wenn Arbeitnehmende am Freistellungstag krank werden. Einige Untergerichte waren der Ansicht, dass Arbeitgeber die Freistellungstage bei Krankheit nicht neu gewähren müssen, andere urteilten, dass der tarifliche Freistellungsanspruch bestehen bleibt. Im konkreten Fall des Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie NRW hat das BAG klargestellt, dass tarifliche Freistellungstage, die wegen einer besonderen Belastung gewährt werden, nicht erfüllt sind, wenn der Arbeitnehmende arbeitsunfähig erkrankt ist. BAG, Urteil vom 23. Februar 2022, Az. 10 AZR 99/21 Arbeitgeber sind zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet Das BAG sorgt für Klarheit: Arbeitgeber müssen Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit erfassen – einschließlich Überstunden und Pausenzeiten. Ein Schicht- oder Dienstplan wird künftig nicht mehr ausreichend sein. Die Arbeitszeitdaten müssen nicht nur erhoben, sondern so erfasst und aufgezeichnet werden, dass eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden möglich ist. Die Pflicht besteht bereits jetzt, unabhängig vom Tätigwerden des Gesetzgebers. BAG, Beschluss vom 13. September 2022, Az. 1 ABR 22/21
18 Kanzleien im Arbeitsrecht Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung bei fehlendem Betriebsratsbeschluss Eine Betriebsvereinbarung, die der Betriebsratsvorsitzende unterzeichnet hat, ohne dass ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss dafür vorlag, ist unwirksam. Arbeitgeber können nicht darauf vertrauen, dass ein solcher Beschluss vorliegt. Es gelten nicht die Grundsätze der Anscheinsvollmacht. Arbeitgeber sollten daher künftig zur Sicherheit zeitnah eine Sitzungsniederschrift vom Betriebsrat anfordern, aus der sich die Beschlussfassung ergibt. BAG, Urteil vom 8. Februar 2022, Az. 1 AZR 233/21 Schlussformulierung eines Arbeitszeugnisses – kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel Ein Arbeitgeber, der seinem ausscheidenden Arbeitnehmer gegenüber weder Dank empfindet noch ihm eine positive Zukunft wünscht, kann nicht gezwungen werden, in einem Arbeitszeugnis aus Höflichkeit oder aufgrund einer Erwartungshaltung Dritter eine unwahre Erklärung über seine innere Haltung abzugeben, so das BAG. BAG, Urteil vom 25. Januar 2022, Az. 9 AZR 146/21 Schwerbehindertenvertretung bleibt bei Absinken der Wahlberechtigten im Amt Um in einem Betrieb eine Schwerbehindertenvertretung bilden zu können, müssen mindestens fünf schwerbehinderte Menschen dort beschäftigt sein. Sinkt die Zahl während der Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung unter diesen Schwellenwert, endet deren Amtszeit deswegen nicht vorzeitig. BAG, Beschluss vom 19. Oktober 2022, Az. 7 ABR 27/21 Aufhebungsvertrag – Gebot fairen Verhandelns Ein Aufhebungsvertrag, mit dem ein Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet wird, kann unwirksam sein, wenn er in einer unfairen Verhandlungssituation zustande gekommen ist. Ein Arbeitgeber verstößt jedoch nicht gegen das Gebot fairen Verhandelns, wenn er vom Arbeitnehmer eine sofortige Unterzeichnung des Vertrags erwartet, entschied das BAG. BAG, Urteil vom 24. Februar 2022, Az. 6 AZR 333/21 FRANK BOLLINGER ist Redakteur beim Personalmagazin und beobachtet die arbeitsrechtliche Rechtsprechung. personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Sonderkündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte Eine Kündigung oder eine Abberufung eines Datenschutzbeauftragten darf gemäß § 38 Abs. 2, § 6 Abs. 4 BDSG nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes erfolgen. Die Frage, ob dieser deutsche Sonderkündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte mit der europäischen DSGVO vereinbar ist, hatte das BAG dem EuGH vorgelegt. Nachdem der EuGH klargestellt hatte, dass der Sonderkündigungsschutz nicht gegen europäisches Recht verstößt, entschied das BAG den Fall einer internen Datenschutzbeauftragten, die betriebsbedingt gekündigt worden war, um ihre Aufgabe an externe Datenschutzbeauftragte zu verlagern, zugunsten der Datenschutzbeauftragten und erklärte ihre Kündigung für unzulässig. BAG, Urteil vom 25. August 2022, Az. 2 AZR 225/20
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