Personalmagazin plus 7/2023

6 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Sind alle Parameter eingegeben, simuliert das Programm die Sozialauswahl. Zur Gewichtung der Sozialdaten kann es auf zahlreiche „Punkteschemata“ zurückgreifen, deren Rechtmäßigkeit bereits durch die Rechtsprechung bestätigt wurde. Aus den verschiedenen Vorschlägen kann nun das Ergebnis herausgesucht werden, das den unternehmerischen Vorstellungen am besten entspricht. Dabei ist es nicht nur möglich, die Auswahl innerhalb von der Rechtsprechung „akzeptierter“ Punkteschemata zu „steuern“, indem das System beispielsweise angewiesen wird, gezielt eine „ausgeglichene Altersstruktur“ im Betrieb zu sichern. Optional können auch eigene, unternehmensspezifische Auswahlrichtlinien hinterlegt und die Sozialauswahl sodann auf dieser Grundlage durchgespielt werden. Die hierdurch gewonnene Flexibilität bietet dem Anwender die Möglichkeit, Spielräume, die sich zugunsten des Arbeitgebers bei der Durchführung der Sozialauswahl bieten, bestmöglich zu nutzen und aktuelle Rechtsprechungsentwicklungen aufzugreifen. So kann beispielsweise – wie das BAG erst kürzlich entschieden hat (BAG, Urteil vom 8.12.2022, Az. 6 AZR 31/22) – bei der Gewichtung des Lebensalters zulasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Gleiches soll gelten, wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Soll die durch das BAG hervorgehobene „Ambivalenz“ des Auswahlkriteriums „Lebensalter“ zum Ausdruck gebracht werden, indem beispielsweise rentennahe Arbeitnehmer vergleichsweise wenige (oder gegebenenfalls keine) Punkte für das Alter erhalten, ist es ohne Weiteres möglich, eine entsprechende Vorlage in das System zu übernehmen und die Sozialauswahl auf dieser Grundlage zu simulieren. Feinjustierung Die ermittelten Ergebnisse lassen sich sodann anhand unternehmensspezifischer Kriterien und Bedürfnisse „feinjustieren“, indem etwa Leistungsträger von der Sozialauswahl ausgenommen, Vergleichsgruppen neu sortiert oder ursprünglich geplante Maßnahmen angepasst werden. So können – auch parallel – eine Vielzahl von Beispielsberechnungen durchgeführt und datenschutzkonform abgebildet werden. Regelmäßig sind Sozialauswahl-Tools auch mit Exportfunktionen ausgestattet, sodass die Resultate – zum Beispiel in Form von Excel-Listen – visualisiert und bei Bedarf auch an die Arbeitnehmervertreter übergeben bzw. im Streitfall bei Gericht verwendet werden können. Einsatz bei Umstrukturierungsprojekten und Transformationsprozessen Bereits aufgrund ihrer Komplexität bietet es sich an, softwarebasierte Sozialauswahl-Tools im Rahmen von Umstrukturierungsvorhaben zu nutzen, die eine große Anzahl von Arbeitnehmern betreffen. Hier lohnt es sich, die Sozialauswahl bereits zu Beginn des Projekts – zunächst hypothetisch – durchzuspielen, um die Auswirkungen verschiedener Planungsszenarien frühzeitig durchdenken und die Erkenntnisse sodann in den Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen mit dem Betriebsrat verwerten zu können. Ergänzt man die Software mit einem automatisierten „Abfindungsrechner“, ist es möglich, die potenziellen Projektkosten – etwa die Höhe etwaig zu zahlender Sozialplanabfindungen oder die „Kosten“ eines Freiwilligenprogramms – im Auge zu behalten. Schließlich lassen sich auch weitere, typischerweise im Rahmen von Umstrukturierungsprojekten benötigte Dokumente wie Kündigungsschreiben, Betriebsratsanhörungen oder Begleitschreiben zur Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit auf Grundlage der im System hinterlegten Daten automatisiert erstellen oder vorbereiten. Auch abseits großer (Umstrukturierungs-)Projekte kann derartige Software helfen, die im Einzelfall getroffene Sozialauswahl im Rahmen eines gerichtlichen Kündigungsschutzprozesses rechtssicher darzulegen oder Personal- oder Trennungsgespräche mit einzelnen Mitarbeitern effektiv vorzubereiten. Ausblick „Digitalisierung! Zugleich Fluch, Verheißung und alternativlos, das Großthema der Stunde.“ – diese Einschätzung des Bloggers und Autors Sascha Lobo aus dem Jahr 2016 ist nach wie vor aktuell. Während Digitalisierung angesichts der damit verbundenen Arbeitsentlastung und Prozessoptimierung für viele HR-Abteilungen eher Verheißung als Fluch bedeuten sollte, kommen Software-Lösungen (jedenfalls bislang) nicht ohne menschliches Zutun aus. Während ein letztes manuelles „Feintuning“ oft unerlässlich ist, um automatisiert erstellte Sozialauswahlergebnisse optimal an die unternehmerischen Vorstellungen anpassen und mit den Arbeitnehmervertretern besprechen zu können, liegt es insbesondere bei der Nutzung von „Bewerbungs-Tools“ in der Hand der Personalverantwortlichen, darauf zu achten, dass automatisiert getroffene Entscheidungen diskriminierungsfrei und im Rahmen der geltenden (datenschutz-)rechtlichen Bestimmungen getroffen werden. Ganz ohne den Menschen geht es also (noch) nicht – irgendwie auch ein bisschen beruhigend. DR. BJÖRN OTTO ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS Hasche Sigle in Köln. Er betreut nationale und internationale Mandanten in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. DR. RICARDA MÜLLER ist Rechtsanwältin bei CMS Hasche Sigle. Vom Kölner Standort aus betreut sie regelmäßig Umstrukturierungs- und Transformationsprozesse in nationalen und internationalen Unternehmen(sgruppen).

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