Der aktuelle Beschluss des BAG vom 13. September 2022 zu der Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung sorgt momentan für viele Diskussionen in den Unternehmen. Können Sie hier einen erhöhten Beratungsbedarf erkennen? Dominik Gallini: Diese Frage können wir klar mit „Ja“ beantworten. Wir haben zu Jahresbeginn ein Seminar zu dieser Thematik für Mandanten und interessierte Unternehmen durchgeführt. Der Zuspruch war groß. Zwischenzeitlich haben unsere Kolleginnen und Kollegen auch Inhouse-Schulungen und externe Seminare durchgeführt. In allen Veranstaltungen und in der täglichen Praxis ist festzustellen, dass die Verunsicherung und damit der Beratungsbedarf branchenübergreifend hoch ist. Alle Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler sind intensiv mit den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes und der Rechtsprechung zur Arbeitszeiterfassung beschäftigt. Das Thema wird Unternehmen noch eine Weile beschäftigen. Bei der Beauftragung externer Dienstleister haben Unternehmen ständig mit dem Problem der Scheinselbstständigkeit zu kämpfen. Welches Vorgehen empfehlen Sie, um nicht in die Scheinselbstständigkeitsfalle zu tappen? Samuel Gruber: Das Phänomen Scheinselbstständigkeit zeigt sich in verschiedenen Ausgestaltungen und kann Auswirkungen in mehrere Richtungen haben. So sind mit dem Thema regelmäßig unterschiedliche Gerichtszweige befasst. Neben den Arbeits- und Sozialgerichten werden damit in Zusammenhang stehende Fragestellungen auch von Straf- und sogar von land und in Staaten mit Sozialversicherungsabkommen. Auch steuerrechtlich ist eine vorherige Prüfung unabdingbar, zum Beispiel um die Gründung einer Betriebsstätte oder eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Last, but not least ist das Aufenthaltsrecht des jeweiligen Reiselandes zu beachten. Das heißt, es ist die Frage zu klären, ob der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin möglicherweise ein Visum zur Einreise und/oder eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung benötigt. Finanzgerichten entschieden. Für das beauftragende Unternehmen sind die drohenden Rechtsfolgen nahezu ausnahmslos äußerst unangenehm. Bei der Beratung klopfen wir die neuralgischen Punkte, die auf eine Scheinselbstständigkeit und damit auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis hindeuten, sorgfältig ab. So ist es natürlich wichtig, gut gestaltete Verträge mit den Auftragnehmern abzuschließen. Dennoch kommt es immer auf das „gelebte“ Vertragsverhältnis an. Die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses ist also entscheidend. Wir entwickeln für den Mandanten ein maßgeschneidertes Konzept, um in seinen individuellen Anwendungsfällen Risiken zu vermeiden. Workation heißt der Trend, dass Arbeitnehmer vielfach ihre Arbeitsleistung aus dem Ausland erbringen; oft nicht nur für kurze Dauer, sondern über längere Phasen hinweg. Was müssen Arbeitgeber dabei im Blick haben? Gallini: Auch hier gilt es, mehrere Rechtsgebiete „auf dem Schirm“ zu haben. Andernfalls kann es für Unternehmen ein böses Erwachen geben. Arbeitsrechtlich sollte man eine wirksame Grundlage schaffen, zum Beispiel durch eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag oder durch eine Betriebsvereinbarung. Es stellt sich zusätzlich die Frage, ob das nationale Arbeitsrecht des Reiselandes zu beachten ist. Zu klären ist ferner, welches Sozialversicherungsrecht während der Workation im Ausland Anwendung findet. Ohne sogenannte A1-Bescheinigung sollte man eine Remote Work im Ausland nicht antreten lassen, zumindest im EU-Aus- „ Das Thema Arbeitszeiterfassung wird Unternehmen noch eine Weile beschäftigen.“ Dominik Gallini Melchers Interview mit Dominik Gallini und Samuel Gruber 39
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