Welches Thema hat die Arbeitsrechtler von McDermott zu Beginn des Jahres besonders in Anspruch genommen? Volker Teigelkötter: Das sind mit deutlichem Abstand die Fragen zur angemessenen Vergütung freigestellter Mitglieder des Betriebsrats. Treiber für die dahin gehende Flut an Anfragen und Mandaten ist das Urteil des BGH vom 10. Januar 2023 im Strafverfahren gegen einige Manager des VW-Konzerns. Aufgrund zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung bereits laufender Mandate war ein wissenschaftlicher Mitarbeiter von mir bei der Urteilsverkündung anwesend, sodass wir bereits einige Wochen vor der schriftlichen Urteilsbegründung die arbeitsrechtliche Auffassung des 6. Strafsenats kannten. Seitdem ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht mindestens ein Anwalt unserer Praxisgruppe mit Fragen zur richtigen Bildung der Vergleichsgruppe und der betriebsüblichen Entwicklung der Mitglieder dieser Vergleichsgruppe beschäftigt war. Worin liegen die besonderen Herausforderungen der Beratung zur angemessenen Betriebsratsvergütung? Einerseits in der geforderten Detailgenauigkeit, verbunden mit der Notwendigkeit, die Entwicklung seit dem ersten Tag der Amtsübernahme nachzuvollziehen, was in manchen Fällen die Überprüfung eines Zeitraums von bis zu drei Jahrzehnten bedeutet. Andererseits war – jedenfalls nach unserer Beobachtung – die im zu korrigierenden Einzelfall zu hohe Vergütung eines Betriebsratsmitglieds in der Regel durch die Wertschätzung der (ehrenamtlichen) Arbeit und deren Bedeutung für das Unternehmen motiviert, d.h. sie wurde ohne jegliche Begünstigungsabsicht in leider zu optimistischer Auslegung der der Arbeitnehmenden vorsieht, ist keine Überraschung. Mit großer Spannung war doch vielmehr erwartet worden, ob und ggf. welche Ausnahmen der Gesetzesentwurf zulassen würde. Die Ausnahmeregelung des Referentenentwurfs ist jedoch praxisfern und in sich widersprüchlich: So sollen nur solche Arbeitnehmenden von der Aufzeichnungspflicht entbunden werden dürfen, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen werden kann oder nicht im Voraus festgelegt wird. Laut der eigenen Entwurfsbegründung denkt das BMAS dabei an Führungskräfte, herausgehobene Experten und Wissenschaftler. Obwohl es also auch nach Auffassung des BMAS Beschäftigte gibt, für die eine Aufzeichnungspflicht im Sinne des Gesetzes von vornherein nicht passt, müssen diese durch gesonderte Vereinbarungen von der Aufzeichnungspflicht entbunden werden – ansonsten gilt die eigentlich unpassende Aufzeichnungspflicht auch für sie. Bereits dieser Widerspruch ist nicht zu erklären. Bei den gesonderten Vereinbarungen für diese Beschäftigten muss es sich zudem um Tarifverträge handeln. Beschäftigte nicht tarifgebundener Arbeitgeber und auch außertariflich Beschäftigte in tarifgebundenen Branchen können nach dem Referentenentwurf also unter keinen Umständen von der Aufzeichnungspflicht entbunden werden – ob eine solche Aufzeichnungspflicht nun zu ihrer Tätigkeit passt oder nicht. Warum das BMAS nicht einmal den Versuch unternommen hat, europarechtskonforme Ausnahmen unmittelbar im Gesetz zu regeln, ist nicht nachzuvollziehen. Es bleibt die Hoffnung auf Überarbeitung im weiteren Gesetzgebungsverfahren, in besonderemMaße für unsere eigene Anwaltsbranche. BAG-Rechtsprechung gewährt. Es bedarf deshalb sensibler rechtlicher Überzeugungsarbeit, um die Verantwortlichen dazu zu veranlassen, das Entgelt dieser geschätzten Betriebsratsmitglieder unverzüglich – teilweise signifikant – zu reduzieren und gleichzeitig zu viel gezahlte Vergütung zurückzufordern. Die Befürchtung, dass der Betriebsfrieden durch derartige, rechtliche unvermeidbare Schritte in Gefahr geraten kann, ist gut nachvollziehbar. Themenwechsel: Was halten Sie vom Referentenentwurf zur Zeiterfassung aus dem BMAS? Der Entwurf ist nach einer vierjährigen Wartezeit eine Enttäuschung für die Praxis. Dass er eine Pflicht zur täglichen elektronischen Aufzeichnung der Arbeitszeit „ Der Referentenentwurf zur Zeiterfassung ist eine Enttäuschung für die Praxis.“ Volker Teigelkötter McDermott Will & Emery Interview mit Volker Teigelkötter, Leiter der Praxisgruppe Arbeitsrecht 37
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